KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse

Gutachten über Klasse OI a:

Die Klasse OIa, die jetzt noch 15 Schülerinnen hat, wurde Ostern 1946 als OIIa neu zusammengestellt.

Die Schülerinnen, die aus recht verschiedenen Schulen kamen, brachten sehr verschiedene Vorbildung mit. Nur sehr langsam haben sie sich zu einer geschlossenen Gemeinschaft zusammengefunden. Alle 15 Oberprimanerinnen sind ausnahmslos wertvolle junge Menschen, die zielstrebig an ihrer Charakterbildung arbeiteten und immer starkes Interesse für alle menschlichen und philosophischen Probleme zeigten.

Im Unterricht arbeitete die Klasse ruhig, aber mit gleichbleibendem Fleiss. Bei vielen guten Durchschnittsbegabungen kann die Klasse aber die Leistungen nicht aufweisen, die wir von einer Oberprima nach achtjährigem Besuch einer höheren Schule erwarten, da einerseits immer wieder Lücken der Mittelstufe, die in den langen Kriegsjahren entstanden, auszufüllen waren; anderseits die unzureichende Ernährung, die weiten Schulwege, die beengten Wohnungsverhältnisse, häusliche Pflichten und der Büchermangel nicht volle Leistungsfähigkeit zuliessen.


Beurteilung

Gertrud M. ist ein stilles Mädchen, das sich oft ängstlich nach aussen abschliesst und sehr verträumt ist. Sie besitzt klares Denkvermögen und gute Ausdrucksfähigkeit. Ihre Leistungen können aber nicht der guten Veranlagung entsprechen, da sie häufig durch Krankheit, bedingt durch die schlechte Ernährungslage, am Unterricht nicht teilnehmen konnte. In den letzten Monaten hat sie allerdings wieder mit Zähigkeit versucht, die vorher entstandenen Lücken aufzuholen. Ihre Vorliebe gehört den sprachlichen und kulturkundlichen Fächern. Sie will Bibliothekarin werden.

In der Klassengemeinschaft tritt sie nicht besonders hervor, sie ist aber keineswegs unbeliebt.

Lebenslauf

Am 5. August 1928 wurde ich in Köln als Tochter des Vermessungstechnikers Otto M. und seiner Ehefrau Sibylle geb. E. geboren. Meine ersten Lebensjahre verliefen ohne besondere Ereignisse. Sobald ich laufen konnte, wurde mein zwei Jahre älterer Bruder mein Spielkamerad. Wir waren unzertrennlich. Festtage waren für uns, wenn wir unsere Großmutter besuchen durften. Sie hatte hinter ihrem Haus einen großen Garten. Er war für uns ein Märchenreich. Dort spielten wir Prinzen und Könige, Helden und Räuber. Als mein Bruder in die Volksschule kam, war ich vier Jahre alt. Ich beneidete ihn sehr, und oft schnallte ich mir seinen Tornister um und spazierte damit umher. Dabei war der Schulranzen beinahe größer als das ganze kleine Persönchen. Zwei Jahre darauf, im April 1935, wurde ich endlich eingeschult. Ich ging sehr gern zur Schule, und das Lernen machte mir nicht viele Schwierigkeiten. Als ich die ersten Ferien bekam, weinte ich. Ich wollte keine Ferien haben. Heute hat sich diese Arbeitswut etwas gelegt. Zum mindesten weine ich nicht mehr, wenn ich Ferien bekomme. Je älter ich wurde, umso stiller und verträumter wurde ich. Dies fiel auch meinen Lehrerinnen auf und sie hielten mich oft den anderen frischen und geschwätzigen Mitschülerinnen als Musterkind vor. Dies war mir sehr peinlich, denn ich selbst wußte nur zu genau, daß ich kein solches war. Ich bemühte mich deshalb, so lebhaft wie die anderen zu sein, aber es war ein schwacher Versuch. Immer wieder fiel ich in meine Verträumtheit zurück. Ich hatte mir eine eigene, kleine Welt gebaut und niemanden ließ ich daran teilnehmen als meinen Bruder. - Mit zehn Jahren ging ich zur ersten heiligen Kommunion. Ich muß sagen, daß mir damals die ganze Bedeutung dieser Handlung sehr unklar war. Viel später erst kam mir das Verständnis für religiöse Dinge. - Als 1939 der Krieg ausbrach, war ich elf Jahre alt. Die beiden ersten Kriegsjahre brachten kaum eine Veränderung für mich. 1941 bestand ich die Aufnahmeprüfung zur Aufbauschule Köln, Spichernstraße. Damit begann ein neuer Lebensabschnitt für mich. Meine Interessen wurden in neue Bahnen gelenkt. Hier fand ich auch meine erste Freundin - Maria war ein blondes, frisches Mädchen, und ihre lebhafte Art riß mich mit. Gemeinsame Interessen verbanden uns. Unsere Lieblingsfächer waren Deutsch, Englisch und Geschichte. - In den folgenden Jahren wurde der Unterricht durch die häufigen Luftangriffe immer unregelmäßiger. Anfang 1944 wurde mein Bruder eingezogen. Damit wurde es zu Hause sehr still. - Im Oktober 1944 war kein Schulunterricht mehr möglich. Unsere Klasse kam zum Landeinsatz, 15 km hinter der deutschen Front. Dort sollten wir helfen, die Ernte einzubringen. Das war für mich die schlimmste Zeit des Krieges. Täglich donnerten über uns die Verbände dahin und warfen die Bomben auf Köln, und wir wußten nicht, ob unsere Eltern noch lebten. Wir sahen nur hinter uns eine stete Rauchwolke dort, wo Köln liegen mußte, und vor uns war der Geschützdonner der Front. Wir selbst wurden durch dauernde Tieffliegerangriffe bedroht. Hier erlebte ich alle Schrecken des Krieges. Ich sah die deutschen Verbände von der Front zurückfluten, ohne Waffen, ihre Toten auf den Autos, die sie dann auf den Friedhöfen hinter der Front beisetzten. Wir mußten als „deutsche Mädels" dabei Spalier stehen. Im November 1944 kehrte ich nach Köln zurück. Von hier aus wurden meine Mutter und ich 14 Tage später nach Thüringen evakuiert. Dort verlebte ich eine sehr schöne Zeit. Fern von den Schrecken des Krieges, ging ich in dem Städtchen Langensalza zur Schule. Im März 1945 erhielt ich dort das Zeugnis der mittleren Reife. Im gleichen Monat wurde ich in Mülhausen an der Oberschule für Mädchen angenommen. Ich konnte sie nur wenige Tage besuchen, denn am 4. April rückten die Amerikaner ein. In den folgenden Monaten arbeitete ich bei einem Bauern auf dem Felde, und ich muß sagen, daß mir die Landarbeit sehr viel Freude machte. Bis es dann auf einmal hieß, die Russen würden Thüringen besetzen. Da bekam ich Angst und machte mich schleunigst auf den Weg nach Köln. Teils zu Fuß, teils von Autos mitgenommen, kam ich am 9. Juli hier an und konnte zu meiner Freude feststellen, daß unser Haus noch stand und mein Vater inzwischen aus dem Volkssturm zurückgekehrt war. Im November 1945 wurde ich in die Kaiserin-Augusta-Schule aufgenommen. Dort kam ich in einen Kreis frisch-fröhlicher Mädels. Aber auch hier konnte ich mich von meiner Grübelei und Verträumtheit nicht freimachen, sodaß auf meinem Zeugnis oft zu lesen war, ich sei zu still im Unterricht. - In meiner Freizeit lese ich sehr viel. Den Klassikern gilt mein besonderes Interesse. - Im vergangenen Jahr war ich häufig krank. So hatte ich doppelt zu arbeiten, um das Versäumte aufzuholen. Augenblicklich ist es mein größter Wunsch, die Reifeprüfung zu bestehen. Ich möchte Bibliothekarin werden, um mein ganzes Interesse denen zuwenden zu können, die mir meine liebsten Freunde sind, den Büchern. Da Englisch zu meinen Lieblingsfächern gehört, bitte ich, im Englischen eine schriftliche Prüfungsarbeit machen zu dürfen.