KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs A

1.) Erinnerung an ...

2.) Wie verwirklicht Michael in Wiecherts „Hirtennovelle“ das Wort Carossas „Im engsten Kreise wag’s, dich reich zu leben“?

3.) Nicht der ist auf der Welt verwaist,
dem Vater und Mutter gestorben,
sondern wer für Herz und Geist
keine Lieb’ und kein Wissen erworben.
(Rückert)


Lebenslauf

Ich wurde am 15.7.25 als einziges Kind des Versicherungsdirektors Hans K. und seiner Ehefrau Charlotte geb. M. in Berlin geboren. An meine frühe Kindheit habe ich wenig Erinnerung. Köln wurde die eigentliche Hüterin meiner Jugend. Mit sieben Jahren kam ich auf die Grundschule. Anfangs war das Lernen mir eine leichte Sache. Im zweiten Jahre machte mir das Rechnen mehr Kopfzerbrechen. Aufsätze dagegen schrieb ich gern; Themen, bei denen man frei phantasieren konnte, waren mir die liebsten. Im Frühjahr 1936 kam ich auf die Höhere Schule. Deutschkundliche Fächer betrieb ich am liebsten. Die Kölner Schuljahre gaben mir eine gute Grundlage für das, was ich später gelernt habe, und ich möchte sie deshalb in meinem Leben nicht missen. Nachdem mein Vater vom Militär einberufen worden war, und ein Jahr nach Ausbruch des Krieges unsere Wohnung durch Bombenangriff schwer beschädigt wurde, zogen wir nach Süddeutschland, zunächst nach Tübingen. In dem alten Universitätsstädtchen weilte ich sehr gern. Die Landschaft, die Menschen in ihrer freimütigen, offenen Art gefielen mir sehr, und das schwäbische Erbe meiner Mutter wurde in mir wach. Ich machte mit andern Mädels Ausflüge ins schwäbische Land, erfreute mich an den Buchenwäldern und Burgen und Schlössern und genoß die schwäbischen Leibspeisen. - Im darauffolgenden Jahre zogen wir nach Stuttgart. Hier kam ich in eine strenge Schule, die mir aber recht lieb wurde. Ich lernte die Werke der schwäbischen Dichter Schiller, Hölderlin, Möricke, Hauff, Scheffel und anderer kennen, lernte Latein und begeisterte mich für die Antike. Die Lehrer öffneten uns jungen Menschen Auge und Ohr für alles Schöne. Zur Hölderlinfeier inszenierten wir mit Hilfe unseres Klassenlehrers eine Aufführung des von ihm dramatisierten Hyperions, die mir noch recht lebhaft in Erinnerung ist. Auch in Biologie habe ich etwas gelernt. Wenn ich auch vieles davon vergessen habe, so ist mir doch eines geblieben, nämlich die Liebe für Pflanzen und Tiere.

Der Tod meines Großvaters machte unserm Aufenthalt in Stuttgart ein Ende. Nur ungern verließ ich diese schöne Stadt mit ihren Berghalden, wundervollen Gärten und weißen Häusern. Als ich sie wiedersah, war sie ein Trümmerfeld. - Wir zogen nun nach Urach, einem kleinen Städtchen am Fuße der Alb. Ich mußte zur Schule in das 20 km entfernte Reutlingen fahren, da keine Höhere Mädchen-Schule in dem Orte war. Aber gerade dieser Umstand war neu und reizvoll für mich. Das tägliche Zusammentreffen mit vielerlei Menschen, die ständig wechselnden Gesichter, gaben immer erneuten Anlaß zum Nachdenken; aus ihren Gesprächen konnte man so mannigfache Sorgen und kleine Alltagsnöte heraushören. In der Schule strebte ich weiter in allen Fächern und lernte so viel als möglich.

Im Herbst 1944 wurde ich eingezogen zum Reichsarbeitsdienst, Ostern 1945 nach meiner Bewährung erhielt ich den Reifevermerk. Ich verbrachte den RAD in einem Lager in einem kleinen Ort an der Grenze zwischen Schwarzwald und Alb. Unsere Baracke lag auf eisiger Höhe. Ich wurde recht wind- und wetterfest und lernte jede Arbeit anpacken. Während dieses Halbjahres wurde ich eine Zeitlang in einer großen Munitionsfabrik eingesetzt. Dieser Einsatz hat trotz seiner Strapazen einen gewaltigen Eindruck auf mich gemacht. Ich erfuhr, was es heißt, Fabrikarbeiterin zu sein. Zu 30 Maiden wurden wir auf ein Werk von fast 10000 Arbeitskräften verteilt. Eine jede mußte an ihrem Posten, ganz auf sich gestellt, oft nur von Ausländern umgeben, ihre Pflicht erfüllen. Ganz besonders muß ich noch der Kameradschaft und Hilfsbereitschaft der deutschen Arbeiter gedenken, die sich der Maiden annahmen, wo sie nur immer konnten. Die Atmosphäre war damals schon so unheilschwanger, daß ich froh war, wieder in rein deutsche Umgebung zu kommen. In einem hübschen Lager im Schwarzwald betätigte ich mich in der Hauptsache als Küchenmaid und sammelte Erfahrungen auf hauswirtschaftlichem Gebiet. - Bald darauf kam ich an einen anderen Ort zum Kriegshilfsdienst. Bei diesem zweiten Fabrikeinsatz mußte ich ebenso wie beim ersten den Fleiß und die Ausdauer der Arbeiter bewundern.

Das Kriegsende erlebte ich in Urach, nachdem ich in abenteuerlicher Fahrt dorthin zurückgekehrt war. Einige Monate darauf kehrte mein Vater aus dem Kriege zurück. In der folgenden Zeit besuchte ich eine Nähschule bis zu unserer endlichen Rückkehr nach Köln im Frühjahr 1946. Da ich mit dem Reifevermerk nicht viel anfangen konnte, meldete ich mich auf der Schule an zum Sonderlehrgang. Nach anderthalbjähriger Unterbrechung im Lernen fiel mir das Konzentrieren nicht leicht, zumal ich durch häusliche Unregelmäßigkeiten oft wenig Zeit zum Lernen hatte. Ich habe im Sinne, Bibliothekarin zu werden, weil ich glaube, daß dieser Beruf mir täglich Gelegenheit gibt, meine literarischen Neigungen zu betätigen.

Abituraufsatz

Erinnerung an eine glückliche Zeit.

Der letzte Strahl der Abendsonne vergoldet die Höhen der Berge, die sich uns zur Rechten und zur Linken in seltsam plumper Gestalt aufdrängen. Nun versperrt uns so ein graugrüner O. KolossKolloß den Weg; das Züglein, in dem wir mit Sack und Pack unserm neuen Wohnsitz entgegensteuern, macht einen langen Pfiff und steht bald darauf mit einem Ruck still. Wir sind am Ziel. Durch ein Gewühl von Menschen, welches den Anschein erweckt, als sei dieser kleine Kurort der lebensvollste Platz der Welt, zwängen wir uns zum Bahnhof hinaus. Dann stehen wir draußen auf dem Holperpflaster, und die kleinen Giebelhäuser scheinen uns schmunzelnd anzublicken und uns zuzurufen: „Na, ihr Großstädter, ihr werdet schon sehen, wie es euch hier geht!" Vor uns treibt ein Bauer seine Kühe heimwärts, an dem Brunnen rechts sind ein paar alte Weiblein beschäftigt, in Eimern ihre Kartoffeln zu waschen, zur Linken spielen ein paar schmutzige Kinder. Als ich gar das trübe Wässerlein, die Erms, zu Gesicht bekomme, da wird mir ganz eng ums Herz, und ich muß unversehens an die hübsche, elegante Stadt denken, die wir hinter uns gelassen haben.

Am nächsten Morgen ziehen wir in unser neues Heim ein, welches aus einem Zimmer von mäßiger Größe nebst einer kleinen Küche besteht. Es hat zwei Fenster, wovon eines den Ausblick nach Osten auf eine häßliche Fabrik zu eröffnet, die Sicht nach Norden durch das andere von einer grünen Bergwand eingeengt wird. Das Haus, an dessen Nordecke dieses kleine Gelaß zu denken ist, steht an einem windigen Platz am Talausgang, und wenn im Frühjahr oder im Herbst der Sturmwind durch die alten Buchenkronen zu Tale pfeift, dann stöhnt und ächzt das alte Gebäude in allen Fugen, und wir müssen die Fensterritzen mit Zeitungspapier verstopfen, damit wir nicht weggeblasen werden. - Jetzt aber, nachdem wir uns von unserem ersten Schrecken erholt haben, holen wir Besen und Schrubber, und mit vieler Mühe wird der düstere Raum vom Staub, den die Zeit hier angesiedelt, befreit. O, welch ein Festtag ist das, an dem endlich die Scheiben vom duftigen weißen Mull verhüllt sind, der bunte Teppich unsere Schritte sanft macht, und unsere lieben alten Bilder auf uns herabsehen, als wollten sie sagen: „Seht, wir sind auch wieder bei euch! Nun habt ihr euer kleines Reich, das Krieg und alle bösen Geister der Zeit euch zerstören wollten, nun habt ihr's wieder!"

Das Heim ist aufgebaut. Nun gilt es, die Gegend zu erkunden, zunächst einmal den Ort selbst zu erforschen.

Kommt man als Kurgast, so kennt man wohl die Kaffeehäuser, weiß die Spazierwege, die Ruhebänkchen zu nennen und vielleicht auch, wo man einen guten Abendschoppen bekommt. Die kleinen Winkel und Wege aber, wo die saftigsten Steinpilze, wo die meisten Hagebutten für das „Hegemark", wo die meisten Brombeeren, die meisten Himbeeren zu finden sind, wo im Frühjahr die schönsten Veilchen stehen, - all die heimlichen Wunder, die sind nur den Einheimischen vertraut, und ungern geben sie sie den Fremden preis. Man wird nicht leicht einer von den O. ihrenIhren ! Man muß erst einmal bei den Bauern gewesen sein, bei der Heu- und Getreideernte und beim Kartoffellesen geholfen haben, muß die einheimischen Gerichte genossen und mit ihrer Sprache vertraut geworden sein, dann erst versteht man auch das Leben der Kleinstädter, das dem bäuerlichen Leben gar nicht so fremd ist. Was für herrlich duftende Hefekränze und Zöpfe wurden doch in jenem Ort gebacken. Ich sehe sie, wenn die Frauen sie O. Samstagssamstags zum Bäcker tragen. Und ob es wohl sonst noch einen Ort auf der Welt gibt, wo die prallen weißen Federkissen so oft und gründlich zum Sonnen ausgelegt werden, und wo die Blumen vor dem Fenster und in den kleinen Vorgärten mit solcher Andacht gepflegt werden?

Eines aber macht den Hauptreiz der Stadt aus: die Berge. Sie sind die Schranken, die sie von der übrigen Welt Gr. trennentrennt . Aus deren enger Umklammerung herauszukommen, ist das immerwährende Bestreben der Einwohner, und darum trifft man auch viele zähe und fleißige Leute unter ihnen.

An einem goldigen Herbsttage erklettere ich einen der steilen Hänge. Noch liegt dampfender Frühnebel über dem Orte, und beschwerlich ist der Marsch über den rauhen, steinigen Pfad. Schmal ist der Raum, der mich vom Abgrund trennt. Das trockene Buchenlaub raschelt unter meinen Tritten, im Walde knackt es von vertrockneten Ästen. Doch Schritt um Schritt gewinne ich die Höhe. Die Nebel weichen rechts und links, und es wird hell, und dann am Ende des Waldes breitet sich die Hochebene vor meinen Blicken, vom Glanz der aufgehenden Sonne überstrahlt. Mir ist zumute wie einem Menschen, der nach viel Mühsal, Irrtum und Finsternis endlich wieder das Sonnenlicht erblickt.

Es ist der Verfasserin gelungen, ein farbiges u. lebendiges Bild der schwäbischen Kleinstadt heraufzubeschwören. Mit gutem Blick für das Kleine und Charakteristische und mit reichem Wortschatz veranschaulicht sie diese Stadt mit ihrem Leben u. ihren Bewohnern in origineller und treffender Weise. Gegenüber dieser frischen Schilderung wirkt der letzte Abschnitt der Arbeit matt.

Gut.

19.II.47. Kl.

Jahresleistung: genügend.