KAS (Köln)

Gesamtbeurteilung der Klasse OI Rb

Gesamtgutachten über die Klasse OI Rb:

Die Arbeit in der Klasse OI Rb war in ersten[!] Linie deshalb so angenehm und befriedigend, weil die Mädchen viele menschliche Vorzüge besitzen. Ein schönes Gefühl der Gemeinschaft verband in der rechten Weise Lehrende und Schülerinnen. Wenn auch in der Klasse die Kräfte hier und da auseinanderstrebten, so bietet sie doch in der Gesamtheit ein einheitliches Bild. Auf der Studienfahrt zum Bodensee im Herbst dieses Jahres hat sich die Kameradschaft, zu der die Klasse allmählich zusammengewachsen war, besonders betätigt und bestätigt.

In der OI R b gibt es nur wenige wirklich gute (keine hervorragende) Begabungen. Es herrscht ein gutes Mittelmass vor, wobei allgemein die intuitive und gefühlsmässige Befähigung die rein verstandesmässige überwiegt. In diesem Zusammenhang mag auch die grosse Liebe zur Musik erwähnt werden. Die Schülerinnen haben in den vergangenen Jahren ein ernstes Streben und stetigen Fleiss gezeigt. Im Unterricht waren sie, teils lebhaft mitwirkend und selbständig urteilend, teils in stiller Aufmerksamkeit folgend, dankbar für alle Anregungen, die man ihnen bot. Hier und da wurden die Leistungen durch mangelndes Selbstvertrauen beeinträchtigt. Viele Schül. wurden auch aussergewöhnlich stark zu Hause (durch Krankheit der Mutter oder wirtschaftliche Schwierigkeiten) belastet. Die tapfere Art, mit der manche ihr Schicksal bisher gemeistert hat, verdient alle Anerkennung. Die Lebensläufe geben nur in etwa ein Bild von den Nöten und Erschütterungen, die in den meisten Fällen durch die Kriegs- und Nachkriegsjahre hervorgerufen wurden.

Wissenslücken, die z.T. schon während des Krieges entstanden waren, konnten in den späteren Jahren nicht überall ausgeglichen werden. Auf die allgemeine Leistungsminderung infolge der unzulänglichen Raumverhältnisse in der Schule und zu Hause muss in diesem Zusammenhang wieder besonders hingewiesen werden. Der Unterricht im Lateinischen und Französischen, der nach dem Kriege gleichzeitig einsetzte, hatte unter dem Lehrbuchmangel besonders zu leiden. Es sei noch darauf hingewiesen, dass bei der Verminderung der Lateinstunden auf 3 in der Woche (tatsächlich waren es durchschnittlich nur 2 infolge Ausfalls des Unterrichts durch schriftliche Arbeiten, freie Tage etc.) der Leistungsstand von Ostern 1950 nur mit Mühe gehalten, keinesfalls gesteigert werden konnte. - So können auch in diesem Jahre noch keine Reifeprüfungsleistungen erwartet werden, die denen früherer „Normaljahre“ entsprechen.


Beurteilung

Sie hat es nicht leicht in ihrem jungen Leben gehabt. Disharmonie im Elternhaus und später grosse wirtschaftliche Not lasteten schwer auf ihr. Sie ist scheu und zurückhaltend, manchmal gehemmt durch zu geringes Selbstvertrauen.

Starke Inanspruchnahme im väterlichen Betrieb, die ihr oft nur wenige Stunden Schlaf liess, beeinträchtigte zeitweilig stark ihre Leistungsfähigkeit in der Schule. Besonderes Interesse und gute Begabung zeigt sie für Erdkunde und Geschichte, sehr gute für Musik und Sport, wo sie Hervorragendes leistet.

Trotz der noch beträchtlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten möchte Ellen Lehrerin im höheren Schuldienst werden. Ihr feinfühliges, warmherziges Wesen sowie ihre schon mehrfach erprobte pädagogische Begabung lassen sie bei richtiger Wahl der Fächer hierzu gut geeignet erscheinen.

Lebenslauf

Am 25. September 1930 kam ich als Tochter des Konditormeisters Heinrich B. und seiner Ehefrau Charlotte, geborene B., in Köln zur Welt.

Ab Ostern 1936 Besuch der Volksschule.

Im Herbst 1941 Eintritt in die Kaiserin-Augusta-Schule.

Im Mai 1944 Übersiedlung nach Zeulenroda in Thüringen. Besuch der dortigen Oberschule.

Von Januar 1945 bis November 1945 kein Unterricht.

Ab November 1945 wieder Besuch der Kaiserin-Augusta-Schule.

Im März 1946 Versetzung in die Obertertia.

Ostern 1950 Versetzung in die Oberprima.

Ich erinnere mich gerne an meine Kindheit. Es war eine glückliche Zeit. Von klein auf lebten mein Bruder und ich bei meinem Großvater und bei meiner Tante, da meine Eltern sich wegen des Geschäftes uns Kindern nicht widmen konnten.

Beide waren herzensgut, versuchten alles Unschöne und Belastende von uns fernzuhalten und gönnten uns viele Freuden. Mit fünfeinhalb Jahren ging ich zur Schule, in der ich mich zuerst gar nicht wohl fühlte. Ich kam mir ziemlich unbeholfen unter den vielen Mädchen vor, denn bis dahin war ich nie mit einem größeren Kreis in Berührung gekommen.

Als ich zu meinem sechsten Geburtstag eine Flöte erhielt, begann meine Freude an der Musik. Ich war recht stolz auf die ersten Töne, die ich hervorbrachte, erklärte schon nach kurzer Zeit, Flöte spielen zu können, und wollte noch ein anderes Instrument lernen.

Doch mußte ich mich noch einige Jahre gedulden, bis ich Akkordeonunterricht nehmen durfte. Meinem Großvater und meiner Tante verdanke ich auch, daß ich schon als Kind viel reisen konnte. Damals machte das weite Meer einen tiefen Eindruck auf mich. Am liebsten sah ich es, wenn es recht stürmisch brauste und die weißen Schaumkronen auf mich zugestürzt kamen.

Unsere Wohnung in Köln lag einem öffentlichen Park gegenüber, der für uns Kinder der liebste Aufenthaltsort war. Wir schlossen uns zu einem munteren und wackeren Völkchen zusammen, und ich kann von mir wohl sagen, daß ich eine der Wildesten war, die den Jungen in ihren Wagnissen nicht nachstand, oft sehr zum Kummer meiner Tante, die Wunden und Schrammen verbinden und zerrissene Kleider flicken mußte. Ich erinnere mich, daß ich eines Tages nach hartem Steingefecht hinter Sandwällen mit blutüberströmten Gesicht nach Hause eilte und viele Tage mit verbundenem Kopf einhergehen mußte. Der Täter erkundigte sich sehr schüchtern nach meinem Befinden, und ich fand es anerkennenswert, als er mir zum Trost eine Apfelsine schenkte. Nachdem ich meinen zehnten Geburtstag gefeiert hatte, lernte ich durch eine Kinderlandverschickung Salzburg und die herrliche Alpenlandschaft kennen. Die Gletscher hatten für mich einen besonderen Reiz, doch durfte ich sie leider nie besteigen. Mir wurde zum ersten Mal wirklich bewußt, wie schön die Welt ist, und ich fühlte den heißen Wunsch, auch andere Länder und Menschen kennenzulernen. Nach meiner Konfirmation begann für mich ein neuer Lebensabschnitt. Zeulenroda in Thüringen wurde für fast ein Jahr mein Aufenthaltsort, wo ich bei der Schwester meines Vaters wohnte. Ich fühlte, daß ich nicht willkommen war und hielt mich zurück. Bald gewöhnte ich mich daran, auf mich selbst gestellt zu sein und allein mit mir fertig zu werden. Ich besuchte in Zeulenroda die Oberschule und wurde dort sehr freundlich in die Klassengemeinschaft aufgenommen.

Im Herbst 1944 ließ sich meine Mutter mit meinem Bruder nach Sachsen evakuieren, und im Januar 1945 siedelte auch ich nach Schönfeld über. Eine Schule konnte ich dort nicht besuchen. Meine einzige Beschäftigung bestand darin, Feldarbeit zu verrichten, die mich lehrte, wie mühsam der Bauer seinen Lebensunterhalt verdienen muß. Unsere Rückfahrt nach Köln war sehr beschwerlich. Wir fuhren neun Tage im Güterwagen, schutzlos gegen Wind und Wetter.

Am 25. November 1945 trat ich in die Kaiserin-Augusta-Schule ein und wurde im März 1946 in die Obertertia eingewiesen.

In meiner Freizeit beschäftigte ich mich am liebsten mit Handarbeit, Sport und Musik. Ich wäre gerne Pianistin geworden. Leider mußte ich aber schon nach drei Jahren aus finanziellen Gründen den Unterricht aufgeben. Meine liebsten Sportarten sind Turnen, Gymnastik und Schwimmen. Ich trieb damals viel Sport und nahm auch an Wettkämpfen teil, in denen ich öfter Erfolg hatte. Als meine Sportkameradin, die mit ihrem Gatten ein[e] Sportschule führt, erkrankte, vertrat ich sie für einige Monate und gab jeden Samstag Sportstunden. Es machte mir Freude, die Kinder zu unterrichten und ihre Fortschritte zu beobachten. Durch die Tätigkeit wurde ich angeregt, über die schöne und verantwortungsvolle Aufgabe einer Lehrerin nachzudenken.

Die letzten zwei Jahre wurde ich stark vom väterlichen Geschäft in Anspruch genommen. In den Abendstunden und sonntags mußte ich eine Verkäuferin ersetzen und hatte besonders im Sommer einen anstrengenden Dienst. Nach einer Auseinandersetzung mit meinem Vater vor einigen Monaten bin ich nicht mehr im Geschäft tätig. Meine Mutter, die von meinem Vater geschieden ist, und mich brachte ich dadurch in schwere finanzielle Bedrängnis. Ich glaubte, die Schule verlassen zu müssen und sah meine Pläne in ein Nichts zerfließen. Doch durch das Entgegenkommen, das ich in der Schule fand, war es mir möglich, meine Ausbildung fortzusetzen. In den großen Ferien nahm ich eine Stelle als Vertreterin an und konnte so meine Mutter mit einem kleinen Geldbetrag unterstützen. Mir wurde bewußt, daß mich ein Beruf in dieser Richtung nicht befriedigen könnte.

Eine schöne Entschädigung für diese Wochen war die Studienreise zum Bodensee. Die wundervolle Landschaft und die reichen Kunstschätze des Bodenseegebietes machten auf mich einen unvergeßlichen Eindruck. Ich war glücklich, nach manchen traurigen Stunden soviel Schönes erleben zu können und schöpfte Kraft und Mut für die mir bevorstehende Zeit.

Nach dem Abitur möchte ich studieren. Mein Entschluß steht noch nicht fest, welche Fächer ich nehme. Ich schwanke noch zwischen Erdkunde, Geschichte, Englisch und Sport. Ich bin mir klar darüber, daß ich keinen leichten Beruf gewählt habe und daß ich große Schwierigkeiten überwinden muß. Doch ist mein höchster Wunsch, mein Ziel zu erreichen.