KAS (Köln)

Klasse OI R

Von dieser Klasse konnten bislang lediglich die Lebensläufe der Schülerinnen aufgefunden werden.


Lebenslauf

Am 29. März 1929
wurde ich geboren.

Eltern:
Volksschullehrer Joseph H. +
Paula H., geb. E..

5. April 1929:
Taufe in St. Severin

April 1935-37:
Besuch der Volksschule Zwirnerstraße, Köln

April 1937-40:
Besuch der Volksschule Mainzerstraße, Köln

März 1940:
Empfang der ersten heiligen Kommunion

1940-44: Besuch der Kaiserin-Augusta-Schule, Köln
November 1944:
Evakuierung nach Jena

Januar - März 1945:
Besuch der Ernst Moritz Arndt-Schule, Jena

August 1945:
Rückkehr nach Köln

November 1945:
Eintritt in die 5 Rb der Kaiserin-Augusta-Schule, Köln

Januar 1946:
Überweisung in die 6 Rb der Kaiserin-Augusta-Schule

Meine Kinderzeit war bis auf die Kriegsjahre glücklich und sorglos. Ich wuchs zwischen zwei Menschen auf, die sich prachtvoll ergänzten: zwischen meiner sehr lebhaften, lustigen Mutter und meinem ernsteren, bedächtigen Vater. Sie schufen mir ein behagliches, friedvolles Heim. Bis zum Eintritt in die Volksschule war mein Bruder mein einziger Spielkamerad. Soweit ich mich erinnere, habe ich mich nie gelangweilt, da meine Eltern sich viel mit uns befaßten. Sie bereiteten uns mit Kleinigkeiten immer neue Überraschungen. So lernte ich früh, mich am Kleinen zu erfreuen; dies kann ich heute noch. Meine Eltern waren musikalisch. Vater spielte sehr gut Geige und, wie er mir später erzählte, auch Orgel. Mutter besaß eine klangvolle Sopranstimme. Leider hatte ich als Kind keine Geduld, ein Instrument zu erlernen. Aber Lieder erfaßte ich leicht in Melodie und Text. So war Gesang von Kindheit an eines meiner Hauptvergnügen. Ob in der Schule, in der Kirche oder zu Hause gesungen wurde, stets war ich mit Lust und Liebe dabei. Mit vierzehn Jahren kam ich durch eine Freundin in die Rundfunkspielschar. Hier wurde ich mit den alten, schönen Volksliedern vertraut und erhielt auch viel Gelegenheit, Konzerte zu besuchen. Ich verstand zwar von den großen Werken nur wenig, doch hatte ich meine Freude an Melodie und Rhythmus. Erst später gelangte ich unter sehr guter Anleitung zum besseren Verständnis der Musik.

Nicht nur die Liebe zum Gesang, auch das besondere Interesse für Bücher habe ich von Mutter geerbt. Zuerst fesselten mich Märchen, Sagen und Legenden; später zeigte ich eine besondere Vorliebe für Fabeln. Als ich einige Jahre die höhere Schule besucht hatte, begeisterte ich mich für historische Geschichten und historische Romane. Herrlich war es für mich, als wir Dramen zu lesen begannen. In meiner Phantasie stellte ich mir die Handlung bildhaft vor und konnte es kaum erwarten, solch ein Werk auf der Bühne zu sehen. Dies war mir aber erst nach dem Kriege vergönnt. Ich wurde eine eifrige Theaterbesucherin. Doch nicht nur das Schauspiel, auch die Oper lockt mich dorthin.

Mit der Natur wurde ich durch meinen Vater vertraut. Bei Ausflügen zeigte er mir hier eine Blume, erklärte mir dort die Art eines Käfers, an denen ich besonderes Gefallen fand. Auch mit Mutter habe ich später viele Wanderungen im Sommer und Winter gemacht, als mein Vater wegen seines Leidens nicht mehr dazu fähig war.

So verlief mein Leben sorgenfrei, bis der Krieg seine Schatten darüber warf. Bei jedem Luftangriff zitterte ich um das Leben meiner Angehörigen weit mehr als um mein eigenes. Auch sah ich, wie das Blasenleiden meines Vaters durch den langen Aufenthalt in den feuchtkalten Luftschutzkellern immer schlimmer wurde. Und eines Tages zählten auch wir zu denen, die kein Heim mehr besaßen. Ich werde nie die grauenvolle Nacht vergessen, als unser Haus in Flammen stand. Da mein Vater zur Zeit der größten Schonung bedurfte, lastete die Sorge für die Bergung der Möbel und die Regelung aller weiteren Angelegenheiten auf meiner Mutter. Mein Bruder und ich standen ihr nach besten Kräften zur Seite. In dieser Zeit wurde ich ernster und selbständiger. Da mein Vater sich einer Operation unterziehen mußte, ließen wir uns nach Jena evakuieren. Wir Kinder wurden ziemlich auf eigene Füße gestellt, da wir, von Mutter getrennt, in verschiedenen Familien untergebracht waren. Ich lernte mich noch mehr anpassen und auf meine Umgebung Rücksicht nehmen.

Der größte Schlag in meinem Leben war der Tod meines Vaters. Mit gesteigerter Liebe klammerte ich mich an Mutter; ich wich kaum von ihrer Seite, da ich eine fast krankhafte Angst hatte, ich könnte sie auch noch verlieren. Kurz nach dem Tode meines geliebten Vaters rüsteten wir uns zur Heimreise, da inzwischen russische Besatzung in Jena eingerückt war. Verhältnismäßig rasch gelangten wir nach Köln. Unter großer Mühe gelang uns der Aufbau unserer neuen, halbzerstörten Wohnung. Als wir uns nach einiger Zeit dort eingerichtet und eingelebt hatten, trat an mich ernstlich die Berufsfrage heran.

Von jeher ist es mein Wunsch gewesen, Lehrerin zu werden. Ich stellte es mir herrlich vor, immer mit Kindern umzugehen, ihnen vieles zu erklären und vielleicht bei ihnen so beliebt wie mein tüchtiger Vater zu sein. Schon mein erster Schultag war ein Freudentag. Vor den Lehrerinnen und Lehrern empfand ich weder Scheu noch Furcht, weil sie mir als Kollegen meines Vaters und als Besucher unseres Hauses bereits vertraut waren. Ich lernte leicht und gern. So beschlossen meine Eltern bald, mich zur höheren Schule zu schicken. Mit elf Jahren kam ich zur Kaiserin-Augusta-Schule und verlebte dort vier weitere schöne Schuljahre. Rasch gewann ich einige Freundinnen. Da unsere Klassenleiterin zugleich unsere Sportlehrerin war und wir uns sehr gut mit ihr verstanden, war die Turnstunde damals meine Lieblingsstunde. Aber auch Sprachen hatte ich sehr gern. Ich darf behaupten, daß ich im Anfang für jedes Fach gleichgroßes Interesse zeigte; viel geändert hat sich hieran nicht. Sollte ich jedoch meine Lieblingsstunden nennen, so würde ich Mathematik, Deutsch, Latein und Geschichte anführen. Je länger ich die Schule besuchte, umso weniger konnte ich mir ein Leben ohne sie vorstellen. So faßte ich den Entschluß, Studienrätin zu werden.

Infolge der immer heftiger werdenden Luftangriffe wurden die Schulen geschlossen und ich so aus meinem Wirkungskreis herausgerissen. Nach der Beendigung des Krieges und unserer Rückkehr wartete ich sehnsüchtig auf den Wiederbeginn. Der Tag kam, und meine liebe Mutter ermöglichte mir den weiteren Besuch meiner alten Schule, obwohl sie durch die hohen Krankenhausrechnungen meines Vaters und den Wohnungsaufbau in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Mit neuer Freude begann ich den Unterricht. Nach zwei Monaten wechselte ich bereits von der Obertertia in die Untersekunda über. Zwar ließ ich meine früheren Klassenkameradinnen nur ungern zurück, aber ich dachte an meine Mutter, der für ein Jahr die Schulgeldkosten erspart blieben.

In den letzten Jahren habe ich meine Schule noch besonders schätzen und lieben gelernt. Ich fand in den Lehrern und Lehrerinnen Menschen, die selbst für private Sorgen großes Verständnis zeigten und mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Im Unterricht befaßte ich mich mit Fragen, die sonst wohl nie an mich herangetreten wären. Durch die verschiedenen Erörterungen wurden die Stunden lebhaft und interessant. Ich erhielt auch Anregung zu Überlegungen und Versuchen außerhalb des Unterrichts. Hier konnte ich einmal beweisen, daß ich nicht nur die quecksilbrige Art meiner Mutter, sondern auch die geduldige, zähe meines Vaters geerbt hatte: sei es nun, daß ich lange nach einem guten Ausdruck bei Übersetzungen suchte oder immer wieder einen mißlungenen Versuch wiederholte. Besonders gerne beschäftigte ich mich mit Mathematik. Mein Lieblingsstoff in Deutschen blieb das Drama. Hinzu kam meine Vorliebe für Gedichte. Durch kleine Schulkonzerte und eigenes Chorsingen wurde meine Liebe zur Musik noch gesteigert. Die Fremdsprachen gestatteten mir einen tieferen Einblick in das Wesen anderer Völker, deren Dichter ich ebenfalls schätzen lernte. Ferner suchte ich schon auf dem Gebiete der Pädagogik Erfahrungen zu sammeln. Ich beobachtete oft genau, wie eine Lehrkraft unterrichtet und wodurch sie die Liebe und das Zutrauen der Schülerinnen gewinnt.

Seit meinem Wiedereintritt in die Schule dachte ich mit Bangen an mein teures Studium und an die offenbare Aussichtslosigkeit, schnell an der Universität angenommen zu werden. Ich hoffe aber, daß ich mein Ziel erreiche. Durch Stundengeben und andere Nebenarbeiten werde ich meiner Mutter einen Teil der Kosten tragen helfen.