KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs B

1.) Alles, was uns begegnet, läßt Spuren zurück, alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei. (Goethe) (Nach eigenen Erlebnissen)

2.) Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern. (Vorgelegt wird: 1.) Ein sibirisches Märchen: Das Fisch-Mädchen, 2.) ein deutsches Märchen: Die Sterntaler, 3) ein französisches Märchen: Cendrillon.

3.) Vergleich zweier Mutterbildnisse: (Christoph Amberger: Margarete Welser. Hans Thoma: Bildnis der Mutter des Künstlers)


Lebenslauf

Am 31. August 1927 wurde ich in Jülich geboren. Nach einigen Jahren zogen meine Eltern nach Hanau. An die Zeit, in der wir dort wohnten, kann ich mich nur dunkel erinnern. Als ich vier Jahre alt war, wurde mein Vater nach Rodenkirchen versetzt. Mit dieser Zeit beginnen nun meine ersten deutlichen Erinnerungen an meine Kindheit. Zuerst kam ich mit fremden Menschen wenig in Berührung, denn meine drei Brüder genügten mir als Spielgefährten. So blieb mir in diesem abgeschlossenen, behüteten Leben der Kinderglaube lange Zeit erhalten. Als Älteste von vier Geschwistern lernte ich schon früh, für andere Menschen zu sorgen und meine eigenen Ansprüche in der Gemeinschaft zurückzustellen. Auf diese Entwicklung hatte meine Mutter, deren Bereitschaft und hingebende Liebe ich täglich neu erlebte, einen entscheidenden Einfluss.

Als ich Ostern 1934 in die Volksschule kam, trat ich zum erstenmal aus dem kleinen Kreis der Familie und meiner Spielgefährten in eine grössere Gemeinschaft von vielen verschiedenen Menschen. Da ich mich nicht schnell an fremde Menschen anschliessen konnte, stand ich zu keiner Kameradin in näherer Verbindung. Dagegen war ich für den Unterricht sehr aufgeschlossen. Ich freute mich, dass ich alles schnell und leicht begriff und ging darum gern zur Schule. Mit grossem Eifer lernte ich lesen, und wenn ich dann ein Buch in die Hand nahm, vergass ich alles um mich her. Am liebsten las ich solche Bücher, deren Stoff der Geschichte entnommen war, weil ich für dieses Gebiet grosses Interesse hatte und ich von Menschen, die wirklich gelebt hatten, lernen wollte. Meine liebste Beschäftigung ist das Lesen bis heute geblieben. Mein Interesse gilt aber nicht mehr geschichtlichen Stoffen allein, weil ich nun erkannt habe, dass sich auch in den Gestalten jedes Dichters wirkliches Leben verbirgt.

Von 1938 an besuchte ich die Kaiserin-Augusta Schule. Hier lernte ich viele mir bis jetzt unbekannte Dinge kennen, die mein Verlangen, immer mehr zu lernen und zu erfahren, noch bestärkten. Dieses Gefühl war zuerst durch meinen Vater in mir geweckt worden, als ich auf unseren Spaziergängen sein Wissen um so viele Dinge erfuhr. In der Schule wandte sich meine Neigung mehreren Fächern zu: Deutsch, Englisch und Geschichte. Dann kamen in den höheren Klassen die Fächer dazu, die mir, entsprechend meiner Begabung, besonders zusagen mussten. Mit grosser Freude lernte ich die klare, logisch aufgebaute lateinische Sprache. Dann weckten die Naturwissenschaften: Physik und Chemie, mein Interesse. Denn auf rein verstandesmässige Weise konnte man in die Geheimnisse der Natur eindringen, ihre Gesetze und den Aufbau der Stoffe erforschen. Dagegen erforderte Deutsch mehr gefühlsmässiges Erfassen, das meiner Begabung weniger entspricht. So bereitete mir Deutsch manchmal Schwierigkeiten. Doch meine besonderen Anstrengungen wurden durch das, was mir reiche Deutschstunden für meine persönliche Entwicklung geschenkt haben, belohnt.

In den schweren Kriegsjahren wurde unser Unterricht oft gestört, bis dann im Herbst 1944 die Schule ganz geschlossen wurde. Im Januar des nächsten Jahres wurden wir nach Frankfurt an der Oder evakuiert, aber auch dort hatte ich keine Möglichkeit, die Schule weiter zu besuchen, denn die russische Armee besetzte schon einige Tage nach unserer Ankunft unserer Ort. Mein um zwei Jahre jüngerer Bruder wurde von der russischen Polizei verhaftet, ohne dass wir etwas über sein weiteres Schicksal erfuhren. Nach langen Monaten voller Entbehrungen und grauenvoller Erlebnisse kehrten wir nach Hause zurück. Immer quälte uns noch die Sorge um meinen Bruder, bis uns dann das Weihnachtsfest 1945 die grosse Freude brachte, dass er ganz unerwartet heimkehrte. Nun mahnt mich keine harte Tatsache an die Wirklichkeit dieser Zeit mehr, und so erscheint sie mir manchmal wie ein böser Traum. Die dauernden äusseren Aufregungen scheinen wie ein Schutz der Natur gewirkt zu haben, der es verhinderte, dass diese schrecklichen Erlebnisse tiefer in die Seele eindrangen. Doch diese Zeit hat mir auch ein beglückendes Erlebnis geschenkt, denn in der Fremde habe ich erst recht erkannt, was mir die Heimat, die Schule und unsere Klassengemeinschaft bedeuteten. Ich freute mich sehr, als im November 1945 die Schule wiederbegann, denn ich sehnte mich danach, meinem Leben nach dieser täglichen Sorge um das Notwendigste wieder einen wesentlicheren Sinn zu geben. Nun besuche ich wieder wie vorher die Kaiserin-Augusta Schule, um mich auf meine Reifeprüfung vorzubereiten. Dann möchte ich gerne die Naturwissenschaften, denen ich schon früh meine Neigung zuwandte, studieren.

Abituraufsatz

Die Volksmärchen: Eine Brücke zwischen den Völkern.

(vorlegt wird: Ein sibirisches Märchen: Das Fisch-Mädchen, ein deutsches Märchen: Die Sterntaler und ein französisches Märchen: Cendrillon)

A. Einleitung mit selbständigem Inhalt ist da._

B._

I. Das Gemeinsame der Volksmärchen schafft eine Verbindung.

II. Die Volksmärchen erleichtern das Verständnis für die Verschiedenheit.

C. C fehlt_

A In dem Kunstwerk offenbart sich das Wesen des Menschen, der das Werk geschaffen hat. Es zeigt uns seine Gedanken über die Welt und das menschliche Leben. Die Volksmärchen sind, da sie nicht das Werk eines besonderen Menschen sind, sondern viele Menschen ihre Gedanken zu ihnen beigetragen haben, ein Ausdruck des Wesens eines Volkes. Darum können wir auch über diese Dichtung einen Zugang zu den Völkern finden.

B I Jedes Volk besitzt einen Schatz von Märchen, und wenn wir uns näher mit ihnen befassen, erkennen wir, dass sie viele gemeinsame Züge aufweisen. Die Menschen, von denen uns die Märchen erzählen, sind meist Kinder oder einfache Menschen, die durch ihre Lebensweise mit der Natur in enger Berührung stehen. Sie sind natürlich, unverbildet und dem Geheimnisvollen in der Natur nahe. Die Natur ist belebt mit allerlei Gestalten, und sie gewährt den armen und verlassenen Menschen, denen die anderen keine Liebe erweisen, Hilfe. Diese Hilfe geschieht meist auf zauberische Weise, mit dem Zauberstab verwandelt die gute Fee den Kürbis in eine prachtvolle Kutsche, das verwandelte Fischmädchen kann ohne Schaden ihren Leib aufschneiden und daraus Fische zur Mahlzeit holen, die Sterne fallen als goldene Taler vom Himmel. Wir sehen, dass die Völker ähnliche Gedanken über die Menschen und die Natur gehabt haben. Denn hinter diesen oft wunderbaren Erlebnissen steht ein wirkliches Erleben. Wenn die Natur, im Märchen in Zaubergestalten verkörpert, den Menschen in der Not hilft, so verbirgt sich dahinter das Erlebnis der heilenden Wirkung der Natur. Diese gemeinsamen Gedanken zeigen, dass die Völker in einer inneren Beziehung zu einander stehen, dass ihr Wesen in manchen Zügen verwandt ist. Dieses Gefühl der Verwandtschaft schafft eine Verbindung zu dem anderen Volk.

B II Doch die Volksmärchen enthüllen uns nicht allein die gemeinsamen Wesenszüge, sondern sie offenbaren uns auch die Verschiedenheiten der Völker. Das sibirische Märchen ist wohl das ursprünglichste und einfachste der drei Märchen. Sein Personenkreis ist äusserst beschränkt, und es zeigt uns das Leben sehr einfacher Menschen. Sein trauriges Ende verrät uns die Lebenshaltung der Menschen, die es gedichtet haben. Hinter dem Märchen verbirgt sich die Erkenntnis, dass der Mensch oft durch eigene Schuld sein Glück zerstört, dass der Mensch für sein Eingreifen in die Natur gestraft wird. Das deutsche Märchen ist in seinem Wesen auch sehr einfach. Doch in ihm schwingt ein tieferes Gefühl als in dem sibirischen Märchen. In Weinfacher , ergreifender Weise erzählt es uns von einem Kind, das I_ selbst arm und verlassen I_ für die Not anderer Menschen ein offenes, bereites Herz hat. So zeigt sich uns in diesem Märchen die innige, gläubige Seele des Deutschen. Aus dem französischen Märchen erkennen wir, dass dieses Volk grösseren Wert auf die malerische Ausschmückung des Märchens legt. Hierin äussert sich die Phantasie und der Schönheitssinn der Franzosen. In diesem Märchen wird auch dem Bösen Verzeihung gewährt, und das verrät uns den weicheren Charakter des Volkes. Auf diesem Weg über das Volksmärchen finden wir leicht das Verständnis für das andere Volk. AIn dem Erlebnis dieser einfachen, aber reizvollen Kunst werden die Grenzen zwischen den Völkern unvermerkt überbrückt.

Nur die naheliegenden Gedanken hat die Verfasserin aufgeschrieben, und so sind die Ausführungen zum Thema nicht tiefgründig, aber klar und schlicht bis zur Kargheit. Für diese übertriebene Zurückhaltung entschädigt die Echtheit des Aufsatzes, die sich auch in der einfachen Sprache kundtut:

Befriedigend.

Die Jahresleistungen waren meistens Befriedigend.

22.II.47. T. Rolff