KAS (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1932

1.) Weshalb kann ich trotz Ung[.?.] der Verhältnisse aufrechten Hauptes der Zukunft entgegenschreiten?

2.) Die Blinden von Kagoll (Robert Neumann). Die Novelle ist zu lesen und zu besprechen. (Reclam 7013)

3.) Folgende Gedichte sollen auf ihren Gehalt und ihre Art geprüft werden:
An den Mond (Goethe), Sehnsucht (Eichendorff), Der Pavillon (Rilke), Im Frühjahr (Th. Däubler).

4.) Aus meinen Reisen (Wanderungen): Eine Landschaft oder eine Stadt mit Bauten, Plätzen u. vergl.


Beurteilung

S., Aenne

Bei der Geburt wurde ihr die Hüfte ausgerenkt, so daß sie, das 4. Kind neben drei Stiefgeschwistern, ihrer Mutter Sorgenkind wurde. Sie muß auf so manches verzichten, was andere Mädchen ihres Alters erfreut. So vollzieht sich ihre ganze Entwicklung nach innen. In der Familie, in der Arbeit, im Gesang, in der Pflege eines religiösen Lebens sieht sie reichen Ersatz und ist damit glücklich. Ihr Leid macht sie besonders mitfühlend mit dem Leid anderer, und von diesem idealen Gesichtspunkt aus kommt sie zum Studieren der Medizin, um Kinderärztin zu werden.

Im Unterricht gehörte sie nicht zu den besonders aktiven Elementen, doch war sie gewissenhaft und fleißig und erreichte mit gut mittlerer Begabung neben genügenden auch gute Ergebnisse.

Lebenslauf

Ich wurde am 17. Dezember 1911 zu Essen als Tochter des Postamtmannes Anton S. geboren. Infolge des Krieges besuchte ich erst mit 7 ½ Jahren die Schule. Da mein Vater von Essen nach Köln versetzt wurde, wurde ich Ostern 1919 in die 10. Klasse des Lyzeums der Ursulinen, Köln, Machabäerstraße, aufgenommen. In der 4. Klasse stand es für mich fest, die dem Lyzeum angegliederte Studienanstalt zu besuchen, um später meinem größten Wunsche nachzugehen, nämlich Ärztin zu werden. An diesem Vorsatze habe ich festgehalten, und so geht mein Wunsch dahin, mich nach dem Abitur dem Studium der Medizin zu widmen. Ostern 1930 ging ich von der Obersekunda des Realgymnasiums der Ursulinen auf die Unterprima der Kaiserin Augusta Schule über.

Meine liebsten Fächer waren immer: Geschichte, Deutsch und Naturwissenschaft. Mit besonderem Interesse folgte ich im letzten Jahre dem Biologieunterricht, der mich auf meinen zukünftigen Beruf vorbereitet. Die Vorliebe für Geschichte und Deutsch liegt wohl in meinem Charakter begründet. Diese Fächer geben mir Raum für meine Phantasie. Infolge meiner Neigung zur Geschichte nehme ich Geschichte als Wahlfach. Außer den Arbeiten, die ich pflichtgemäß schreiben muß, wünsche ich eine schriftliche Arbeit in Latein zu machen.

Meine liebste Beschäftigung in den Freistunden ist zu lesen. Ganz besonders gern aber besuche ich das Theater oder Kino, dessen buntes Leben mir sehr viel Anregung gibt, ohne mich allerdings so stark zu fesseln, daß ich die Wirklichkeit vergesse. Meine freie Zeit fülle ich auch gerne damit aus, kunstgewerbliche Sachen zu basteln und vor allem zu musizieren. Das heißt nicht, daß ich besonders begabt bin auf diesen Gebieten, sondern daß ich mich an allem freue, was schön und harmonisch in Farbe und Form ist, daß ich mich freue zu singen, wie ich Freude daran habe zu lachen und froh zu sein.

Ich habe ein reges Interesse an allem, was in der Welt vorgeht, sei es auf dem Gebiete der Politik oder Wirtschaft, sei es von Land und Leuten. Mein sehnlichster Wunsch ist es, später, wenn ich finanziell dazu fähig bin, weite Reisen zu unternehmen, um ferne, schöne Länder kennen zu lernen und in ihre landschaftliche wie völkische Eigenheiten einzudringen.

Ich nehme in den beiden letzten Jahren an einer philosophischen Arbeitsgemeinschaft teil.

Ich bitte, mein Religionsbekenntnis auf dem Zeugnis zu vermerken.