DKG (Köln)

Gesamtbeurteilung der Oberprima 1950

Klassencharakteristik

Die jetzt zur Reifeprüfung heranstehende Klasse ist erst 1946 aus drei verschiedenen Klassen zusammengestellt worden. Die Verschiedenheit des schulischen Entwicklungsganges macht sich heute noch stark bemerkbar. Dazu kommen die Unterschiede in der Begabungslage: etwa die Hälfte der Klasse besitzt eine feststellbare theoretische Begabung. Die andere Hälfte verdankt die Versetzung nach Oberprima eher ihrem grossen Fleiss. Die Klasse zählt nur wenige überdurchschnittliche Begabungen. Wie schwer ihr im ganzen der Weg nach Oberprima gefallen ist, erhellt daraus, dass sie bei der Versetzung nach Oberprima sich um sechs Schüler verringerte.

Das geistige Leben der Klasse ist vorherrschend durch Rezeptivität bestimmt. Ein stärkerer geistiger Elan ist nur bei einem Drittel vorhanden. Die meisten Schüler haben infolge der sozialen Stellung ihrer Eltern sehr stark unter den vergangenen Notjahren gelitten; bei allen fielen entscheidende Jahre der Pubertät in die schwerste Zeit des Krieges.

Dennoch zeichnet sich die Klasse besonders seit Unterprima durch zunehmendes Bemühen, reifen Ernst und Arbeitswilligkeit aus. Die Schüler setzen im allgemeinen alles daran, das gesteckte Ziel zu erreichen. Bei nicht wenigen geht das soweit, dass sie bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit auch die Zeit ausserhalb des Unterrichts für die Arbeit in der Schule verwenden, sei es, um in eigner Arbeit die in der Schule empfangenen Anregungen für den Unterricht und das persönliche Wachstum zu vertiefen, sei es, um durch Ausfüllung der Lücken aus der Kriegszeit sich auf dem Klassenstand zu halten. Die Ehrfurcht vor den geistigen Werten ists bei allen wirksam. Die charakterliche Haltung der 18 Oberprimaner ist einwandfrei. Man kann sagen, dass sich alle um die Verwirklichung sittlicher Ordnung in ihrem Leben redlich bemühen. Es ist zu erwarten, dass sie in ihrem weiteren Werdegang zu gefestigten Charakteren heranwachsen.

Bis auf zwei wollen nach Ablegung der Reifeprüfung alle ein akademisches Studium beginnen.

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1950

1.) Wie läßt sich aus der Geschichte erweisen, daß Ideen stärker sind als die ihnen entgegenstehende politische Wirklichkeit?

2.) Weshalb ist die Bildung einer westeuropäischen Union eine notwendige Aufgabe?

3.) Haben kontemplative Orden auch in unserer Zeit noch eine Bedeutung?

 

Die Themen 1 und 2 verlangen beide die Fähigkeit zu politisch-geschichtlichem Denken. Es fehlt ein Thema, das die Stellungnahme zu einer literarischen oder allgemein künstlerischen Frage erfordert oder die Arbeit an einem literarischen Text. Ich bitte, Thema 1 oder 2 ersetzen zu wollen.

An Stelle des 2. Themas wird vorgeschlagen:

Der Gestaltbegriff in Goethes Gedicht „Die Metamorphose der Tiere“.


Bewertung

Schüler J.

Bei betonter innerer und äusserer Korrektheit - der Vater ist pensionierter Beamter des gehobenen mittleren Dienstes - neigt er zu Leichtfertigkeit und unangebrachter Grosszügigkeit. Er urteilt dann vorschnell und zieht weitreichende Folgerungen, ohne sich Rechenschaft zu geben, ob sein Urteil auf genügender Sachkenntnis beruht. Darauf aufmerksam gemacht, hat er freilich genügend Selbsterkenntnis, sich mit Anstand zurückzuziehen.

J. besitzt eine hinreichende theoretische Begabung. Das zeigt sich vor allem in den sprachlichen Fächern. Positiv und negativ zugleich ist hier hervorzuheben, dass er oft, ohne die grammatischen Zusammenhänge zu erkennen, ein differenziertes Einfühlungsvermögen in lateinische und griechische Texte entwickelt. In den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern waren seine Leistungen nicht immer voll ausreichend. Die Gründe dafür sind mangelnde Begabung, aber auch mangelnder Einsatz seiner Kräfte.

Charakterlich sauber, ist er insgesamt eine erfreuliche Erscheinung. Seine Berufswahl - er will Rechtswissenschaft studieren -, ist als eine Verlegenheitslösung anzusehen. Musikalisch ungewöhnlich begabt, wollte er zuerst Musikwissenschaft studieren. Darin aber sieht er keine sichere Existenzgrundlage.

Lebenslauf

Hiermit bitte ich um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1950.

Am 7. Dezember 1928 wurde ich als fünftes Kind des Regierungsamtmanns Conrad J. und seiner Ehefrau Franziska geb. T. zu Essen-Borbeck geboren. Hier verbrachte ich meine erste Kindheit. Ostern 1935 wurde ich Schüler der katholischen Volksschule Borbeck III. Jedoch blieb ich dort nur etwa zwei Wochen, da mein Vater nach Köln versetzt wurde und die Familie mitzog. Hier besuchte ich die katholische Volksschule in Köln-Lindenthal, Gleueler[=?] Straße. Nach Beendigung des vierten Schuljahres wurde ich Ostern 1939 in die erste Klasse der Oberschule für Jungen in Köln-Lindenthal, Gyrhoffstraße[=?], aufgenommen. Im Sommer 1941 wechselte ich in die zweite Klasse des Staatlichen Dreikönigsgymnasiums über.

In Köln hatte ich das Glück, in charakterlicher, religiöser und schulfachlicher Hinsicht vier Jahre lang die Erziehung durch eine Lehrerin zu erfahren, deren Einstellung zu allen Bereichen des menschlichen Lebens den Ansprüchen meiner Eltern voll entsprach. Als ich jedoch Schüler der örtlich am nächsten liegenden Lindenthaler Oberschule für Jungen wurde, mußten meine Eltern feststellen, daß dort ein Geist herrschte, der nicht in Einklang stand mit ihrer eigenen weltanschaulichen und religiösen Gesinnung; damit soll kein Urteil über die einzelnen Lehrer dieser Anstalt gesprochen sein. Um mich aber einem Einfluß zu entziehen, der vielleicht im Laufe der Zeit und im Zusammenwirken mit der damaligen staatlichen Jugenderziehung nachteilig auf meine charakterliche und geistige Entwicklung gewirkt hätte, meldete mich mein Vater von dieser Schule ab.

Da das Dreikönigsgymnasium auch zu dieser Zeit als eine Stätte christlich-humanistischer Gesinnung galt, ließ mich mein Vater von nun ab diese Schule besuchen. Er meldete mich jedoch nicht auf Quarta an, in die ich im Sommer 1941 auf der Lindenthaler Oberschule bereits versetzt worden war, sondern auf Quinta. Im andern Falle hätte ich den Stoff für zwei Jahre Latein in kürzester Zeit nachholen und sofort mit Griechisch als zweiter Fremdsprache beginnen müssen. Dazu noch kam meine Schwäche in Mathematik. So aber konnte ich mir in Privatstunden, die mir ein Oberprimaner erteilte, eine solide Grundkenntnis der lateinischen Grammatik aneignen. Diesem Umstand verdanke ich es, daß ich im Lateinischen bis heute nie ernstlich versagt habe. Überhaupt bin ich von Natur aus für Sprachen veranlagt. Dies zeigte sich bereits in meiner vierjährigen Volksschulzeit. Damals traten schon meine Fähigkeiten vor allem in den deutschkundlichen Fächern hervor. Auch auf der Lindenthaler Oberschule waren meine Zeugnisprädikate im Deutschen und Englischen durchweg gut.

1944 wurde ich nach den Sommerferien zu Schanzarbeiten am Westwall herangezogen. Nach zwei Wochen jedoch mußte unser Lager aufgelöst werden. Ohne die Versetzung in ein anderes Lager abzuwarten, kehrte ich daraufhin zu meinen Eltern zurück. Mit diesen verließ ich Ende 1944 Köln. Im Januar 1945 mußte ich an einem Wehrertüchtigungslehrgang von einmonatiger Dauer in Hattingen teilnehmen. Der weltanschauliche Unterricht, der dort im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie täglich erteilt wurde, konnte auf meine geistige Entwicklung keinen Einfluß mehr ausüben, außer vielleicht, daß ich durch meine Selbstbehauptung dort gelernt habe, meinen Standpunkt auch in gesinnungsfeindlicher Umgebung zu behaupten.

Vom Beginn des planmäßigen Schulunterrichts im November 1945 bis Ostern 1946 holte ich den in mehr als einjähriger Unterbrechung versäumten oder vergessenen Unterrichtsstoff nach. Dann wurde ich zunächst in die Obertertia eingewiesen, konnte jedoch schon zu Beginn des Herbsttertials mit zwei weiteren Klassenkameraden in die Untersekunda aufgenommen werden. Dieser Sprung verursachte einen starken Rückgang in meinen mathematischen Leistungen, dessen Folgen mir auch heute noch zuweilen die Mitarbeit im Unterricht erschweren, zumal ich für Naturwissenschaften weniger talentiert bin. Der Anschluß an alle anderen Fächer jedoch, besonders an die sprachlichen, machte mir keine Schwierigkeiten. Vor allem begann ich, dem Latein-, Griechisch- und Deutschunterricht mit innerer Anteilnahme und persönlichem Interesse zu folgen. Durch die Beschäftigung mit den Schriften Ciceros, Platos und - in allerdings nur wenigen Philosophiestunden - des hl. Thomas von Aquin kam ich zum ersten Mal mit der Philosophie in Berührung. Ich konnte so mein logisches und kritisches Denkvermögen schulen; und das ist nach meiner Meinung eine der wesentlichen Aufgaben des humanistischen Gymnasiums: die Erziehung zu einem selbständig denkenden Menschen. Auch der Deutschunterricht wurde in diesem Sinne durchgeführt. Der Deutschlehrer machte uns hauptsächlich mit Goethe und seiner Beziehung zur antiken und scholastischen Philosophie bekannt. Wenn das auch nur eine kursorische Überschau über die philosophischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhänge sein konnte, so wurde ich doch in einem Maße angesprochen, daß ich den Wunsch habe, diesen Dingen auch in privater Beschäftigung nachzugehen.

Mein Interesse gehört neben diesen Schulfächern vor allem der Musik. Meine Veranlagung für sie ist wohl noch ausgeprägter als meine sprachliche. Schon früh wurde sie durch das Musizieren meiner älteren Geschwister angeregt. Mit etwa zehn Jahren bekam ich die ersten Unterweisungen im Klavierspiel, und mit dreizehn Jahren besuchte ich die Rheinische Musikschule in Köln, die allerdings nach [unleserlich]½ Jahren aus kriegsbedingten Gründen schließen mußte. In dieser Zeit befaßte ich mich besonders intensiv mit Joh.Seb. Bach, der für mich bis heute noch als der bedeutendste Musiker gilt. Besonders die zwingende Logik - im musikalischen Sinne verstanden -, die fast mathematische Folgerichtigkeit und die Souveränität über die Materie in seinen Werken beeindruckten mich tief. Das Ideal des musikalischen Kunstwerkes erscheint mir heute noch in seinen Kompositionen: die Vereinigung von strenger Form und gefühlvollem Inhalt. Erst verhältnismäßig spät lernte ich die Klassiker, Romantiker und Nachromantiker schätzen.

Meine Absicht, Musik zu studieren, habe ich nach langem Überlegen aufgegeben; denn die Dirigenten- und Komponistenlaufbahn, die einzuschlagen ich ursprünglich beabsichtigt hatte, leistet allzu wenig Gewähr für eine spätere Existenz, da schon immer nur wenige Dirigentenstellen zu besetzen waren. Wenn ich mich nunmehr für das Studium der Rechtswissenschaft entschieden habe, so deswegen, weil ich glaube, hier hinsichtlich einer endgültigen Berufswahl den meisten Spielraum zu haben.

In das Zeugnis der Reife bitte ich einen Vermerk über mein Religionsbekenntnis aufzunehmen.

Abituraufsatz

Deutscher Prüfungsaufsatz.

Haben kontemplative Orden auch in unserer Zeit noch eine Bedeutung?

Plan.

1. Einleitung: Die heutige Trennung zwischen kontemplativem und tätigem Leben im Gegensatz zum Mittelalter.

2. Hauptteil: Die Bedeutung der kontemplativen Orden

a) für die >Staat< paßte besser zu der [...?..] von b + c!Politik ,

b) die Kirche

und c) vor Gott.

Die christliche nicht nur die Theologie!_ Theologie ist eine Theologie des „sowohl als auch", sie sucht immer Pole oder Extreme miteinander zu vereinigen. Ihr Weg ist die aurea medioeritas[=?]. Im Mittelalter zeigte sich diese Einstellung deutlich in der Vereinigung von Politik und Religion, Handeln und Denken, weltlicher und geistlicher Macht. Aus dieser Haltung kam die Idee des imperium sacrum zustande, wurde die Forderung gestellt: ora et labora. Heute sind die Bereiche, die damals eine harmonische Einheit bildeten, streng, teilweise unversöhnlich getrennt. Nur A.unter wenigen Formen spricht heute noch der mittelalterliche Geist der Ausgeglichenheit zu uns. Hier sind vor allem die kontemplativen Orden zu nennen. Erscheinen sie auch manchem überlebt und nicht mehr existenzberechtigt, so haben sie doch heute eine vielleicht noch größere Bedeutung als damals. Unsere Zeit wertet den Menschen nach dem Z._ was er schafft; die Tat ist seine erste Pflicht. Der Existenzialismus geht sogar soweit, zu behaupten, die Tat mache den Menschen erst zum Menschen. Ganz im Gegensatz dazu steht die Forderung des hl. Benedikt: „ora et labora" oder, anders ausgedrückt „contemplare et age". Dabei liegt der Hauptakzent auf „ora" und „contemplare". Das Denken, die menschliche Vernunft steht also in der Wertordnung der menschlichen Eigenschaften an erster Stelle. Das Wesen des Menschen besteht nicht darin, daß er ein animal agnes[=?], sondern ein animal rationale ist. Diese Wahrheit, die für die klassische Philosophie der Antike, des Mittelalters und für Goethe - „Vernunft sei überall zugegen" - Selbstverständlichkeit war, ist dem modernen Menschen fremd geworden. Darin liegt eine große Gefahr für das Abendland. Politik, sowie überhaupt jegliches menschliche Handeln muß vom Geist her bestimmt werden, der Tat muß das Denken voraufgehen. Diese geistige A.Quelle, das geistige Rückgrat unserer Zeit müssen auch heute wieder die kontemplativen Orden sein. Neben der Differenzierter sprechen! Die Gedanken weiter ausführen!Aufgabe in der Politik und im außerkirchlichen Raum überhaupt, haben die kontemplativen Orden auch ihre Bedeutung für die Kirche. Viele Christen laufen heute Gefahr, sich in „aktuellen Problemen" zu verzetteln und die zentralen Anliegen der Kirche aus dem Auge zu verlieren. Sie können nicht mehr Bedeutendes und Bleibendes vom Unwesentlichen unterscheiden, zumindest messen sie dem Aktuellen fälschlicherweise die größere Bedeutung bei. Diesen A.Blick für das Ganze wieder zu gewinnen , ist eine wesentliche Aufgabe der kontemplativen Orden; den fundamentalen Grundwahrheiten der Theologie und Metaphysik nachzugehen, wie Thomas von Aquin, Bonaventura oder Albertus Magnus, das ist ihre hohe Bedeutung für die nicht nur!Kirche .

Fielen diese Gründe jedoch alle fort, so wäre die Existenzberechtigung der kontemplativen Orden dennoch nicht aufgehoben. Ihr letzter und erster Sinn liegt im Gottesdienst. Der Gottesdienst aber ist A.der erste und letzte Sinn eines jeden Menschen. Das Leben, das sich W.also ganz dem opus dei hingibt, also besonders das der kontemplativen Orden, entspricht der menschlichen Natur am meisten; indem der Mensch alle seine natürlichen Kräfte, die geistigen und körperlichen, in den Dienst Gottes stellt, sein Leben durch Tugend und Sakrament heiligt, wird sein Sein in den Bereich des übernatürlichen, göttlichen Lebens erhoben. Der Mensch erfährt so seine höchste Vollendung in der Gottähnlichkeit.

Vor Gott also wird das Leben der kontemplativen Orden, unabhängig vom Wandel der Zeiten, Sitten und Meinungen, seinen Wert und seine Bedeutung behalten.

Die Arbeit ist quantitativ nicht ganz ausreichend. Qualitativ dagegen befriedigt sie sehr viel mehr. Der Verf. hat auf durchaus selbständige Weise wesentliche und eindringende Gedanken zum Thema geäussert. Vor allem hat er den Begriff der contemplatio, auch in seinen natürlich-säkularen Merkmalen erfaßt.

Was er über die Beziehung von contemplatio und opus Dei, sowie zur [..?..] Dei zu sagen weiß, ist ebenso prägnant wie theologisch richtig.

gut.

5.II.50.