DKG (Köln)

Gesamtbeurteilung des Sonderlehrgangs D

Kursus D

Dreizehn Teilnehmer zählt der letzte Abiturientenkursus des Dreikönigsgymnasiums. Das Gesamtbild dieser Klasse ist ansprechend und erfreulich. Es herrscht das gleiche Streben, dieselbe Besinnlichkeit, die zähe Entschlossenheit mit der Not fertigzuwerden, vor, wie beim ersten Abiturientenkursus. Bezeichnend ist es, daß die Mehrzahl der Schüler philosophischen Fragen ein besonderes Interesse entgegenbringt, das weitaus größer ist als es früher üblich war. Die Lebensbedingungen fast aller Teilnehmer sind mehr oder weniger hart, der Ernst ihrer Zukunft drängt sie dazu, ihre Bildung möglichst vielseitig und tief auszuweiten. Alle ohne Ausnahme möchten ein akademisches Studium ergreifen. Die Befähigung dazu wird man keinem von ihnen abstreiten können; ob sich aber die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht als stärker erweisen werden, wird die Zukunft lehren.

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs D

1.) Der Mensch, ein Kind der Zeit, ein Herr der Zeit.

2.) Die tiefsten Wirkungen sind den Toten vorbehalten (Gorch Fock).

3.) Was erschwert uns den Glauben an die Zukunft unserer Vaterstadt, was hält ihn aufrecht?

Erläuterung zu 2) a) Die Lösung in der Form einer feierlichen Ansprache oder c) einer Abhandlung steht zur Wahl.


Beurteilung

Schüler E., Heinrich

aus Sürth kam 1939 als ein schwacher Schüler in die unterste Klasse des Dreikönigsgymnasiums. Es fiel ihm damals in allen Fächern schwer, sich zu behaupten. Im Laufe der Jahre hat er sich langsam emporgearbeitet; was die Volksschule versäumte, hat er ergänzt und ist nunmehr zu einem recht brauchbaren Schüler aufgewachsen, der besonders in der Mathematik und den Naturwissenschaften Gutes leistet. Seine Erholung sucht er vor allem in der Gartenarbeit und in der Musikpflege. Im Kirchenchor und im Männergesangverein seines Heimatortes ist er ein schlecht zu entbehrender Bassist. Er möchte Naturwissenschaften studieren.

Lebenslauf

Ich bitte um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1948.

Ich, Heinz Erpenbach, einziger Sohn des ehemaligen Landwirtes Heinrich E. und seiner Ehefrau Anna, geb. P., bin geboren am 5. Januar 1929 in Köln. In der Basilika St. Ursula zu Köln empfing ich die Taufe der röm. kath. Kirche. Meine Kindheit verlebte ich in meinem Elternhause zu Sürth.

Ostern 1935 wurde ich in die Volksschule Sürth aufgenommen, wo mir in einem vierjährigen Lehrgang die Grundlage zur höheren Schule gegeben wurde. Es war dies für mich die schönste und sorgenfreieste Zeit. Nach Erledigung der Schulaufgaben verbrachte ich den Rest des Tages meistens in der freien Natur. Dazu bot mir unser großer Garten zu allen Jahreszeiten die beste Gelegenheit. Der glücklichste Tag meiner Kindheit war der Tag meiner ersten heiligen Kommunion.

Mit dem Übergang Ostern 1939 zum Dreikönigsgymnasium nach Köln begann für mich ein ganz anderes Leben. Täglich mußte ich nun aus unserm stillen Landdorf hinaus in das Getriebe einer Großstadt zur Schule fahren. Und wieviel neue Eindrücke bot mir die Schule! Diese große Schar jüngerer und älterer Schüler gegenüber der kleinen Anzahl von Knaben und Mädchen in unserem Dorfe. Hier für alle Fächer einen besonderen Lehrer, dort nur eine Klassenlehrerin! Erst ganz allmählich und mit viel Mühe fand ich mich zurecht und wurde in dem neuen Schulbetrieb heimisch. Allzuschnell aber wurde unser friedliches Leben durch den Ausbruch des zweiten Weltkrieges unterbrochen, der allerdings in den ersten Jahren unsere Heimat mit seinen Schrecknissen weniger berührte.

Mit elf Jahren schickten mich meine Eltern nach einer schweren Krankheit in den Sommerferien zu Bekannten nach Hohenberg an der Eger. Dies war meine erste längere Reise, die mir einen großen Teil unseres schönen Vaterlandes zeigte und sehr viele Eindrücke vermittelte, die ich auf späteren Reisen in dieselbe Gegend erst recht erfaßte und noch vertiefte. Ich denke da an die wuchtigen romanischen, an die himmelanstürmenden gotischen und die lebensfrohen barocken Bauten. Außerdem kam ich unter fremde Menschen und lernte, mich anderen Verhältnissen anpassen.

In den folgenden Jahren wurden wir in der Schule weiter geformt und gebildet. Alle Fächer erforderten ein bewußtes, gleichmäßiges Arbeiten. Trotzdem hoben sich bald meine Lieblingsfächer, Mathematik und Naturwissenschaften, heraus. Auch bei meinen Hausarbeiten war ich immer bestrebt, mein Allgemeinwissen zu erweitern, doch bereitete mir die Arbeit für meine Neigungsfächer besondere Freude. In meiner Freizeit befaßte ich mich mit Lektüre, Musik und Gesang, mit Wanderungen, Theater- und Konzertbesuchen. Außerdem betätigte ich mich in katholischen Jugendgruppen. Mit dankbarer Freude gedenke ich auch der Lehrer, Geistlichen und Freunde, die mir fördernd auf meinem Bildungswege zur Seite standen.

Unsere Fortbildung in der Schule und zu Hause war leider in den letzten Kriegsjahren durch Luftangriffe stark gehemmt und der Unterricht im November 1944 zum Stillstand gebracht worden. Damals suchte ich mich allein weiterzubilden, was aber schließlich auch unmöglich wurde, denn die Fliegerangriffe wurden immer häufiger und noch verheerender, so daß die Bevölkerung den größten Teil des Tages und der Nacht in Kellern oder Bunkern zubringen mußte. Erschütternd war für mich im Bunker das leise Beten, das Zittern und Beben von Frauen und Kindern bei dem Bombenhagel, wo alle sich Gottes Fügung und Vorsehung überließen. Diese Erlebnisse haben meinen Frohsinn sehr beeinträchtigt. Oft faßte mich grausiges Entsetzen, wenn ich solche Angriffe beobachtete und das schöne, alte Köln in Trümmer und Asche sinken sah. Da war es mir manchmal, als ob der Tod wie ein Windzug über das Land zog. Stand ich dann nachher vor den Ruinen und den verkohlten Leichen, so mußte ich mich immer wieder fragen, wie es möglich sei, daß Menschengeist und Technik zu solch einem Frevel gebraucht werden. Nie, das war mein Entschluß vor diesen Stätten, werde ich mein Können in den Dienst einer solch vernichtenden Sache stellen. Einige Monate vor dem Einzug der Amerikaner wurden wir noch zu Schanzarbeiten im Westen der Heimat eingesetzt.

Im März 1945 rückten dann die Besatzungstruppen ein. Hierdurch wurde unser staatliches und bürgerliches Leben in andere Bahnen gelenkt. Bis zur Wiedereröffnung der Schule im November desselben Jahres unterstützte ich meine Eltern bei der Arbeit. Mein Vater wurde mit siebzig Jahren zum Vorsteher des Ortes ernannt. Ich half ihm bei der Erledigung der schriftlichen Sachen und besorgte zugleich meiner Mutter die Einkäufe für ihr Lebensmittelgeschäft.

Ich war froh, als dann der Schulbetrieb wieder einsetzte. Mit neuem Eifer suchte ich das Versäumte nachzuholen, um auf schnellstem Wege zum Ziele zu kommen. Mein ganzes Bestreben geht darauf hin, meine Eltern recht bald unterstützen zu können. Nach bestandenem Abitur möchte ich zur Universität, um Mathematik und Naturwissenschaften zu studieren. Diese Fächer machen mir, wie gesagt, besondere Freude. Aber das ist es nicht allein, sondern mein Ideal sehe ich darin, einmal bei der Erziehung und Förderung der Jugend mitarbeiten zu dürfen.

Abituraufsatz

Reifeprüfung im Ostertermin 1948

Deutscher Prüfungsaufsatz Köln, den 2. Februar 1948

Die tiefsten Wirkungen sind den Toten vorbehalten (Gorch Fock).

A. A(Logik)Warum übt der Tote eine tiefe Wirkung auf den Lebenden aus und was bedeutet Sprachlich [...?..] Umschreibung des The-mas!Wirkung ?

B. Wie stellt sich der Alltagsmensch dazu?

C. Tote, die eine tiefe Wirkung auf den Einzelnen und auf die Allgemeinheit aus-üben.

D. Das Wirken eines Toten auf den Einzelnen und die In der Ausführung über-schneiden sich A und D inhaltlich, ferner Gedanken von D und E!Familie .

E. Warum sind diese tiefen Wirkungen eines Toten von so großem In der Aus-führung bietet E eine [..?..] unzählig [..?..] Gedanken!Wert ?

„Friede sei um diesen Grabstein her, sanfter Friede Gottes! Ach, sie haben einen guten Mann begraben! Und mir war er mehr! - Träufte mir von Segen, dieser Mann wie ein milder Stern aus bessern Welten! Und ich kann's ihm nicht vergelten, was er mir getan! Er entschlief; sie gruben ihn hier ein. Leiser, süßer Trost, von Gott gegeben, und ein Ahnden von dem ew'gen Leben duft um sein Gebein! - Bis ihn Jesus Christus, groß und hehr, freundlich wird erwecken. - Ach, sie haben einen guten Mann begraben! Und mir war er Dichter: Matthias Claudius!mehr !"

Wohl jeder junge Mensch hat solche Gedanken an dem Grabe seines Vaters und trägt eine heimliche Sehnsucht nach ihm in seinem Herzen. Er möchte den Vater wiederhaben, der ihm gut war, der für ihn sorgte, ihn hegte von früh bis spät. Nun liegt Pron.besser: erdieser in der kühlen Erde, und der Junge kann sich seiner nur im Gedenken erinnern. Aber ist es nur allein im Erinnern an den Vater? Überflüssig: Fällt!Oder gehen vom Vater nicht auch jetzt noch Strahlen auf den Sohn über, die sich tief auswirken? Drückt er dem Sohn nicht jetzt erst sein Gepräge auf? Hebt sich doch der Vater jetzt für ihn immer klarer Gemeint wohl: als geistig-seelische Wesenheitab . Der Vater wirkt auf ihn, bringt in ihm etwas hervor, was er in seinem eigenen Leben schon verwirklicht hatte.

Wenn dies der Alltagsmensch hört, so lächelt er. Wie kann ein Toter auf Lebende noch wirken Z.:?, lautet seine Frage. Für ihn ist der Tote tot. Nur in der Macht des Lebenden liegt es, etwas zu wirken. Der Gestorbene liegt in der Erde, ist vergessen, ist ein Nichts. Und wie kann ein Nichts wirken?

Diese Ansicht ist leicht und hundertfach zu widerlegen. Greifen wir einmal bis zur Antike zurück. Will etwa einer leugnen, Plato sei nicht Gedk.: Das „heute noch" geht am Thema vorbei. Er hätte zeigen müssen, wie lebenswichtig sich die Gestalt Platos gerade erst nach seinem Tode im Wandel der Zeit auswirkt.heute noch von bedeutendem Einfluß auf die philosophischen Entwicklungen? Noch anschaulicher ist das Beispiel der christlichen RMartyrer aus der Katakombenzeit. Der Kaiser ließ sie ermorden, um das Christentum auszurotten. Warum erreichte er das nicht, sondern genau das Gegenteil? Worauf will man das zurückführen, wenn nicht auf die Wirkungen, die von den Toten ausgingen. Ihr Blut war die Saat auf einem fruchtbaren Boden. Ihr Vorbild wirkte auf die anderen, Sb.(ungelenk) u. A.: und führte zur Ausbreitung...was zu einer Verbreite-rung des Christentums führte. A(ungelenkt)Machen wir nun einen Sprung zu unsern großen Dichtern und Komponisten. Was zieht uns immer wieder zu ihren Werken hin? Ihre Schönheit? Ja, auch diese; St.(ungefügt): vor allemaber doch besonders ziehen sie uns an, weil sie auf uns eine be-stimmte, jedoch unaussprechliche Gedk.(klarer): geistigeWirkung aus-üben. Ich denke da an die A(unklar), meint wohl Gestal-tenPersönlichkeitsbilder in den Dichtungen Goethes und Schillers. Wie wir-ken diese auf uns! Diese Gestalten, die Gedk.(unreife Simplifikati-on!)Ebenbilder des Dichters , zeigen uns seine Beziehung zu Kultur, Ethik und Natur. Und werden wir nicht durch sie gezwungen, uns auch diesen Begriffen Rzu zuwenden , uns zu fragen, wie wir dazu stehen? Werden wir nicht A(salopp): fällt!in etwa sogar in unserm Handeln von ihnen beeinflußt? Wenn wir eine Symphonie von Beethoven hören, geht uns da nicht eine ganze Welt auf? Sind wir nicht durch die Darstellung in Bann Phrase!gehalten ? Ja, wir möchten so sein, wie sich die Gestalten z.B. Franz Moor, [..?..], [...?.], Wallenstein, Mephisto?in Dichtung und Musik uns darstellen. Es wird mir nicht allein, sondern allen so Wenig beweiskräftige Phrase!gehen . Die großen Männer wirken auf uns, ein Stück von ihnen nehmen wir auf, sie leben fort in Menschheit und Kultur.

Und wie wirkt der Tote in der Familie, im näheren Gedankl. Zusammenhang? Elementarer Verstoß gegen Gedankenordnung und Aufbau: vgl. S. 2!Kreise ? Ich erinnere mich da eines Falles in einem Krankenhause. Eine Mutter lag schwerkrank danieder und war dem Sterben nahe. Sie hatte zwei ver-heiratete Töchter, die sie noch kein einziges Mal während der Krankheit besucht hatten. Es ging zu Ende. Man ließ die Töchter rufen. Als sie kamen, drückte der Priester der Mutter gerade die Augen zu. Da warf sich die eine Tochter über sie und schrie: „Mutter, kannst du mir verzeihen?" Die tote Mutter hatte das Deu-tung des Vorganges? Sinn des Beispiels?vermocht , was die lebende nicht AT(Plusq.)fertigbrachte , die Rückkehr ihrer Töchter zu ihr. Und wie oft sieht der junge Mensch das Bild seiner Mutter, spürt die von ihr ausströmende Kraft, wenn er in Gefahr Gedanke müßte klarer und deutlicher entwickelt wer-den!ist . Die tote Mutter geht ihm über alles, Deutlicher: ihr geistiges Bildsie lebt in ihm fort. Sb.(ungefügt): Auch in der Bezhg. der Geschwis-ter untereinander...Auch die verstorbenen Eltern sind es, die in den Geschwis-tern wirken und fortleben, sie zusammenhalten in Freude und Leid, //Neuer Satz!_ nicht die Bandes des Blutes Gr.: Pluralist es. Und auf dem Gebiete des Zusammenhanglose, in billiger Redensartlichkeit hinge-worfene Andeutung, dabei im Keim ein fruchtbarer Gedanke!Staates und der Poli-tik ist es dasselbe . Ich weise nur auf den Tod Gandhis. Wie hat er schon ge-wirkt und wie wird er noch wirken?

Was ist nun der Wert dieser tiefen Einwirkungen, die von den Toten ausgehen? Ich glaube hierzu A.(Gezhg. zum Infinitiv): Fällt!brauche und kann ich auch nicht mehr viel sagen. Ich habe versucht zu zeigen, daß die Einwirkungen großer Persönlichkeiten von tiefem Wert sind für die kulturelle, sittliche und natür-liche Entwicklung des ? Vom Volk war bisher noch nicht die Re-de!Volkes . Und wie wertvoll die toten Eltern auf einen wirken, das weiß jeder selbst zu Redensart, zudem gedankl. Wiederholung, vgl. S. 2, 4f.!schätzen . Wie nun aber wirken die unzähligen Gr. -nTote des Krieges? Wirkt der Soldat Gedk.(unklar): in welchem Sinne?nur als Vor-bild oder ist sein Tod noch von tieferer Wirkung? Wirken die Gefallenen bei-der Seiten Gedk.(unlogisch): Auch die Vorbildlichkeit bezieht viel auf die Le-benden! Gedk. (unklar)nicht auch auf die Lebenden beider Völker? Ich bin überzeugt, daß ihr Tod nicht vergebens war, daß ihr Wirken sich in einer Verstän-digung ?beider Völker zeigen Worauf gründet sich diese hoffnungs-frohe Überzeugung?wird . Gedanklicher Zusammenhang?Zum Schluß möchte ich noch dessen erwähnen , dessen Tod für uns alle von größter Be-deutung und Wirkung Gedk.(unklar): istwar , des Todes Christi. Als Mensch ist er gestorben, als Gott nie. Als Gottmensch sind ihm die tiefsten Wir-kungen Gewiß nicht böse gemeint, u. doch befremdlich u. peinlich, wie hier letzte Dinge in den Bereich der gedankl. Plattheit gewaltsam herabgezogen wer-den!vorbehalten . Er hat gewirkt und wirkt noch. Durch sein Wirken sind wir erlöst, durch sein Wirken aber hält er uns auch hoch, gibt uns Kraft und wird uns einst an den Ort führen, den wir heute schon ersehnen, den Ort des Friedens und des Glücks.

Sprach- und Denkform des Verf. mutet ungefügt und ungehobelt an, und er entgeht nicht immer der Gefahr, sich im Gestrüpp billiger Redensartlichkeit zu ver-fangen. Dennoch möchte man meinen, daß Verf. dem Thema keineswegs ver-ständnislos gegenübersteht. Bei erheblichen Mängeln in der Entwicklung, Ord-nung und Führung der Gedanken entbehrt der Aufsatz [..?.] der wohlgefügten, an-sprechenden Form, bietet jedoch in seinen gedanklichen Ansätzen und guten Bei-spielen, die [..?..] im fruchtbaren Bezug zum Thema stehen, wertvollen Rohstoff für eine befriedigende Lösung. Daher könnte die Arbeit bei wohlwollender Beurtei-lung noch als schwach

genügend bezeichnet werden.

Schriftl. Kl.-Lstg.: schwach genügend.

Köln, den 20. Febr. 1948