DKG (Köln)

Gesamtbeurteilung des Sonderlehrgangs D

Kursus D

Dreizehn Teilnehmer zählt der letzte Abiturientenkursus des Dreikönigsgymnasiums. Das Gesamtbild dieser Klasse ist ansprechend und erfreulich. Es herrscht das gleiche Streben, dieselbe Besinnlichkeit, die zähe Entschlossenheit mit der Not fertigzuwerden, vor, wie beim ersten Abiturientenkursus. Bezeichnend ist es, daß die Mehrzahl der Schüler philosophischen Fragen ein besonderes Interesse entgegenbringt, das weitaus größer ist als es früher üblich war. Die Lebensbedingungen fast aller Teilnehmer sind mehr oder weniger hart, der Ernst ihrer Zukunft drängt sie dazu, ihre Bildung möglichst vielseitig und tief auszuweiten. Alle ohne Ausnahme möchten ein akademisches Studium ergreifen. Die Befähigung dazu wird man keinem von ihnen abstreiten können; ob sich aber die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht als stärker erweisen werden, wird die Zukunft lehren.

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs D

1.) Der Mensch, ein Kind der Zeit, ein Herr der Zeit.

2.) Die tiefsten Wirkungen sind den Toten vorbehalten (Gorch Fock).

3.) Was erschwert uns den Glauben an die Zukunft unserer Vaterstadt, was hält ihn aufrecht?

Erläuterung zu 2) a) Die Lösung in der Form einer feierlichen Ansprache oder c) einer Abhandlung steht zur Wahl.


Beurteilung

Schüler W., Helmut Josef

Ein Herzfehler hat ihn frühzeitig gelehrt, mit seinen Kräften behutsam umzugehen. Vielleicht ist dieser Fehler auch die Ursache, daß nüchterne Bedächtigkeit und eine gewisse frühreife Denkweise das Wesen dieses Schülers ausmachen. Seine gute Begabung und sein nie aussetzender Fleiß haben ihn zum Erfolg geführt; er steht bei der Spitze der Klasse. Für das Studium der alten Sprachen, das er erwählen will, bringt er gründliche Kenntnisse, das nötige Verständnis und die Liebe zur Sache mit. Sorgfalt und Exaktheit in seinen Niederschriften sind Vorzüge, die ihn auszeichnen.

Lebenslauf

Ich bitte um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1948.

Am 19. November 1928 wurde ich als Sohn des Kaufmanns August W. und der Magdalene geb. W. in Rodenkirchen geboren. Meine ersten Kindheitsjahre verliefen ruhig und ungetrübt; des öftern unternahmen meine Eltern mit mir Ferienfahrten und erschlossen mir so schon sehr früh den Sinn für die Schönheit der Heimat. Sonst war ich immer zu Hause. Ostern 1935, mit 6 Jahren, kam ich in die Volksschule zu Rodenkirchen. Ich hatte das Glück, einen sehr verständigen und gewissenhaften Menschen zum Lehrer zu haben, der seine Pflichten genau nahm und sich neben Elternhaus und Geistlichkeit wacker mühte, uns zu leiten. Schon früh wurde ich Meßdiener und kam auch bald in einen neu errichteten Knabenchor. So war meine Freizeit ausgefüllt, und ich widmete mich gern und rege diesem Tun. Nach vier Jahren auf der Elementarschule wurde ich Ostern 1939 in die Sexta des Dreikönigsgymnasiums aufgenommen. Drei Monate konnte ich noch dem „Bund der Neudeutschen" angehören, bis dieser dann von der Gestapo aufgelöst wurde.

Ich war noch nicht 11 Jahre alt, als der Krieg ausbrach. Mein Vater wurde trotz seines Alters zur Wehrmacht einberufen, kam dann aber nach einem Jahr wieder nach Hause. Ich hatte in dieser Zeit zu Hause viel zu helfen. Meine Freizeit füllte ich mit dem Lesen von Erzählungs- und Unterhaltungsbüchern aus. So war ich an den freien Nachmittagen und Sonntagen stets zu Hause und hatte wenig Interesse an den Spielen meiner Kameraden. In der Schule lernte ich gerne an den alten Sprachen, hatte aber auch Freude an den anderen Wissensgebieten. In einem Schulkameraden fand ich einen guten Freund, dem ich mich auch heute noch verbunden fühle. Zur selben Zeit begann ich ein besonderes Verständnis für die Musik zu entwickeln, ich nahm bei einem hervorragenden Geiger aus dem Prisca-Quartett Violinunterricht, den ich dann mehrere Jahre fortsetzte, bis sich schließlich die Kriegsereignisse soweit zuspitzten, daß ein Unterricht unmöglich wurde.

Inzwischen begann der Bombenkrieg im Westen; es erfolgten die ersten Luftangriffe auf die engere Heimat. So endete meine Kindheit schnell; wie die Erwachsenen mußte ich mich nun mit den furchtbaren Geschehnissen auseinandersetzen, und das war sehr schwer. Ich schaute zum ersten Mal in das harte Leben hinaus und hatte mich an den Anblick brennender Häuser und ungezählter Trümmer zu gewöhnen. Infolgedessen reifte und entwickelte ich mich viel schneller, als das sonst geschehen wäre. Dazu wurde ich gleich den Großen sehr ernst und nervös. Alle Angriffe mußten wir, meine Eltern und ich, in unserem Hauskeller über uns ergehen lassen. Dann wurde ich im Januar 1944 - ich war gerade fünfzehnjährig und saß in der Obertertia - als Flakhelfer einberufen. Infolge eines Darmleidens wurde ich aber bald wieder entlassen. Diese kurze Zeit war für mich ein harter Lehrmeister und recht unerquicklich. Ich erlebte manche Enttäuschung und litt als 15jähriger Junge sehr unter dem Kasernenleben.

Der Unterricht wurde unter schwierigen Bedingungen fortgesetzt bis September 1944. Im Sommer des gleichen Jahres unternahm ich noch mit Freunden eine kurze Reise nach Österreich, die insofern erwähnenswert ist, als sie mir einen starken Auftrieb gab und die frohen Seiten des Lebens wieder erstehen ließ. Meine Eltern und ich blieben weiter zu Hause - ein Einberufungsbefehl zur Wehrmacht erreichte mich nicht mehr - bis zum Einrücken der Amerikaner Anfang März 1945.

Man bestimmte meinen Vater zum Bürgermeister, und ich half ihm bis zum Wiederbeginn des Unterrichtes im November 1945 auf dem Amte. Diese Zeit war von großer Bedeutung für mich. Ich lernte viele Menschen kennen, kam in nähere Berührung mit dem aufkeimenden Leben der Parteien und gewann einen Einblick in die Tätigkeit der kommunalen Behörden. Tief beeindruckten mich vor allem die Mittel, mit denen die Parteien ihr politisches Feuer zu schüren begannen; geradezu entsetzt war ich über die Gemeinheiten, mit denen jedes gute Tun herabgesetzt und anständige Personen verunglimpft und angepöbelt wurden. Hieraus hatte ich für mich manche Konsequenzen zu ziehen.

Seit Kriegsende besuche ich öfters musikalische Veranstaltungen, hauptsächlich die Symphoniekonzerte des Kölner Gürzenichorchesters. Besondere Vorliebe habe ich für die Werke Bachs, Beethovens und Tschaikowskijs, vor allem die Symphonien Beethovens machen immer wieder den nachhaltigsten Eindruck auf mich. Die moderne Musik ist mir bis heute fremd geblieben. Obwohl ich das ernste Ringen um die „Form" durchaus verstehe, scheinen mir doch manche Kompositionen arm an innerer Substanz und Kraft zu sein. Ein Vortrag, den ich vor etwa anderthalb Jahren über den Russen Dostojewskij und seine Welt hörte, brachte mich dazu, mich mit diesem Denker eingehend zu befassen und gedanklich auseinanderzusetzen. Dostojewskijs Werke haben mir außerordentlich viel zu sagen, nicht nur, weil seine Gedanken mehr denn je wirklichkeitsnahe sind, sondern ganz besonders durch die christliche Sinndeutung, die er auch im größten Leid zu geben hat und durch die Fähigkeit, mit der dieser Russe unter Zuhilfenahme feinster psychologischer Gedankengänge „christliche Existenz" in eigentlicher Bedeutung des Wortes zum Vorwurf seiner Werke nimmt und die tiefsten Fragen aufrollt, mit denen seine Gestalten, Charaktermenschen wie Verbrecher, sich auseinandersetzen müssen.

Seit Wiedereröffnung der Schulen gehöre ich wieder dem „Bund der Neudeutschen" an, außerdem betätige ich mich zeitweilig im pfarrlichen Leben meines Heimatortes.

Nach der Reifeprüfung möchte ich auf der Universität Griechisch, Latein und Hebräisch studieren. Diese Sprachen, als Ausdruck antiker Völker und Kulturepochen, bilden mit das Grundfundament abendländisch-christlichen Geistes. Männer wie Sokrates, Platon und Vergil - um nur einige zu nennen - sind wie die Propheten des Alten Bundes Vorläufer und Wegbereiter des Gottessohnes. Vieles von dem, was sie lehrten, ist durch das Christentum veredelt und erhöht worden. Auch jetzt noch schöpfen wir Allgemeingültiges aus den Werken der Antike. Sie zu lesen und durchzustudieren ist heute in der so kranken Welt durchaus am Platze. Dieses Vorhaben entspricht meiner Neigung und bedeutet für mich gleichzeitig das Streben auf einem Ideal, unter dem ich den Beruf eines Jugenderziehers sehe.

Abituraufsatz

Reifeprüfung im Ostertermin 1948.

Deutscher Prüfungsaufsatz. Köln, den 2. Februar 1948.

Die tiefsten Wirkungen sind den Toten vorbehalten. (Gorch Fock)

Ein echter, wertvoller Mensch wird sich immer nur im Leben bewähren und die Güte seines Charakters dort aufzuzeigen haben. In der ein einziges Mal gebote-nen Frist steht er in vielen Spannungen, deren eine die Dialektik zwischen Indivi-duum und Gemeinschaftswesen ist. Als Einzelwesen steht er immer ganz allein in der Welt und wird nie ganz verstanden, selbst von seinem besten Freunde nicht. Aber er ist auch Gemeinschaftswesen; denn wie ein unsichtbarer Strom fließen Gedanken und Empfindungen dahin, sei es in Wort oder Schrift, Sb. u. St.(gedanklich unscharf): , nur der Gemeinschaft verdankt er -er bezieht aber auch viele Erkenntnisse von der Gemeinschaft, eben seinen Mitmenschen . Hier sprechen wir von Wirkung, die man tief in Wechselbeziehung und auch ein-seitig zu danken hat. A(ungelenkt): Sind [..?..] wirklich...?Es dürfte hier nun nachzuweisen sein , daß „die tiefsten Wirkungen den Toten vorbehalten sind". Stimmt dieses Zitat eigentlich? Das Leben zeigt, wie sich die Angehörigen beim Tode eines lieben Verwandten oder Bekannten grämen und St.: dies oftoft dies durch Tränen bekunden, wie das der Frau in der Regel eigen ist. Kaum aber geht die Zeit dahin, „man hat sich damit abgefunden", sagen viele Menschen, und von Jahr zu Jahr sieht man manches schöne Grab weniger und weniger ge-pflanzt, leider oft verwildert. So ständen wir in dem Problemkreis um die Frage nach der Beziehung zwischen der Welt und den Dahingeschiedenen.

Es gibt manche Leute, die die Toten vergessen oder keine Ehrfurcht mehr vor ih-nen haben. Das ist der Fall, wenn diese Menschen glauben, mit dem Tode sei al-les zu Ende, aber auch, wenn der Tote im Leben schlecht gehandelt hat. Hier Dieser... [schlecht kopiert=unleserlich]sei aber das Problem der „Antigone" erwähnt. Antigone bestattet ihren Bruder trotz des strengen Verbotes, weil über den Tod hinaus kein Haß währen darf. Der Götter Gebot ist wichtiger als das der Menschen. Viele Menschen vergessen das und sind ihrer Auffassung nach „ge-recht" und glauben auch, Gott dürfe nicht gerecht zu ihnen sein, sondern nur barmherzig. „Mit dem Maße, mit dem ihr meßt, wird auch wiedergemessen wer-den" - ein ernstes Wort! Dann gibt es aber die große Zahl derer, die ihre Toten im Grabe lieben, denen der Tote gut war; denn welcher Übeltäter hat nicht doch ei-nem Mitmenschen irgendein Gutes getan und durch seinen Tod einen geliebten Menschen betrübt. Es gibt also vordergründig eine Wirkung des Toten, doch ist es die tiefste Wirkung? - Nun, wenn ein Mensch im Leben eine Persönlichkeit war, wird er Wirkung haben. Worin besteht diese nun? Das liegt an Verschiedenem: Wie das Leben des Hingeschiedenen verlief, wie sein Sterben war, und was er geliebt, gewollt, was er durch sein Wort, seine schriftlichen Hinterlassenschaften, endlich durch sein gutes Beispiel uns zu sagen hat. Menschliche Erkenntnisse sind gut und geben Anstoß zum Guten, helfen uns weiter - aber den Weg zeigen kann nur ein vorgelebtes Leben, kann nur eine Persönlichkeit, die uns Mut macht, denselben Weg einzuschlagen, weil dieser gangbar und keine Utopie ist, die uns auch mahnt; denn ein Leichnam, ein Grabstein mahnen auch. Als Arius, der Leugner der Gottheit Christi, ein schreckliches Ende gefunden hatte, war sein entstalteter Leib ein Schrecken für alle, die es sahen. Auch ist bedeutsam zu er-wähnen, daß Luther durch den vom Blitzstrahl getroffenen Freund sich völlig wan-delte.

Dieses Wirken im politischen Sinne möge an einigen weiteren-Beispielen dargelegt werden. Als im Mittelalter Franz v. Assisi, der „Bruder Immerfroh", wie man ihn zu nennen pflegte, durch die Straßen der Städte und Wiesen der Land-schaften im sonnigen Italien zog, T(besser): Praet...hat man ihn ausge-lacht . Und doch ging schon zu seinen Lebzeiten eine Ungeheure Wirkung von ihm aus. Sein Geist lebt [#l: Fällt!}aber{##l:} fort und wirkt äußerlich in dem Bestehen des Franziskanerordens, der die unbedingte Armut anstrebt. Viel ent-scheidender aber ist das geheime Wirken eines solchen Menschen. Nichtchristen selbst glauben, vor Franziskus den Hut abziehen zu können. Er hat durch sein Leben bewiesen, daß man arm und froh zugleich sein kann, allerdings, St.: muß man...man muß einen Glauben haben. Ein anderes Beispiel sind die Werke Platons, in denen die Gestalt Z: ‘Sokrates aufleuchtet. Warum wirkt Sokrates heute noch? Als Kind seiner Zeit, der Sophistik, strebte er aufwärts, rang sich durch zu einem [.......], von wo der Weg zum persönlichen Gottesbegriff nicht mehr weit war. Dann verstand Sokrates zu sterben. A(zu banal): Seine Haltung vor dem Ernst des Todes...Wie ein Mensch das fertigbringt , läßt Rückschlüsse auf seinen Charakter zu. Nur wer in Todesgefahr gestanden hat, weiß um den Ernst des Sterbens, sein niederdrückendes Erlebnis. Wie löst also Bewunderung aus, daß ein Mensch, eine durchformte Persönlichkeit, heiter den Schierlingsbecher trinkt! Christus ist nicht so gestorben, was man ihm auch zum Vorwurf macht; doch hatte er ja alles Leid der Welt und ihre ganze Schuld zu tra-gen. In diesen Zusammenhang gehört der Typus des Blutzeugen. Menschen ge-hen für ihre Überzeugung in den Tod, im Politischen als Träger einer Idee, im Christentum oder auch anderen Religionen für ihren religiösen Glauben. Wie oft sind Menschen beim Ablauf einer solchen Tragödie, verflachende Deutung: fällt!einem Justizmord , gläubige Menschen geworden. Was uns aus den ers-ten nachchristlichen Jahrhunderten dürftig berichtet wird, zeugt von dieser Kraft der Persönlichkeit und ihrer Wirkung auf die Zuschauer. Wenn ein Ignatius von Antiochien vor seinem Tode in einem Brief an seine Gemeinde den Ausspruch tut: „Weizen Christi bin ich, der Gestein zermalmende [..?..} mögen mich zerfleischen", so ist das von solcher Wirkung auch heute noch, daß es jeder, der diesen Aus-spruch hört, unvergessen in sich aufnimmt. Damit widerlegt sich an einem Beispiel auch die Ansicht vieler, die meinen, was vor Jahrhunderten oder gar Jahrtausen-den gesagt und getan worden sei, sei heute in der Moderne wesenlos. Ein wenig angeführtes, bescheidenes Beispiel für das Wirken einer Person Z., sehe ich in Josef, dem Pflegevater Christi. Er hat ein Leben gelebt von der Art, der Stif-ter in der Vorrede zu den „Bunden Steinen" Z., in seinem „sanften Ge-setz" huldigt. Es ist wohl so, daß wirksamer bleibt das Gedenken an Herren, also es gibt auch Herren im kleinen, die, wenn auch geheimnisvoll, ihr Lebensgut an die Nachwelt verspenden. A(schwerfällig)In diesem Zusammenhang möchte ich den Begriff des „Vorbildes" anführen ; denn jeder Mensch muß sich ja „seinen Helden wählen auf dem Wege zum Abgang". Die Kirche empfiehlt daher auch den Eltern, ihren Kindern den Namen eines Menschen zu geben, der als christliche Persönlichkeit einmal im Leben stand. Gehört in die folgende Zei-le!Positives wirken auch unsere Gefallenen .

Unvergeßlich bleibt mir der letzte Brief eines lieben Menschen an seine Eltern - es war ein Theologiestudent, der Anfang des Krieges unsere Anstalt verließ. Er schrieb u.a.: „Alles Opfern und Mühen ist meist umsonst; denn ich lebe in der Ü-berzeugung, daß alles Leid und jegliches Ringen aufgehen wird als Frucht und unsere Schuld sühnen Gedankenordnung befriedigt nicht recht: vgl. S. 5, Abschn. 2!hilft ." Diese Gedanken wären nicht so erhebend, wenn sie in be-schwingter, gefühlsseliger Stunde geschrieben worden wären; aber es geschah im Todesgrauen der Front, und der junge Christ hat wahr gemacht durch seinen Tod, was er gesagt hatte. Darin liegt das Große.

Doch wird der Leser fragen, worin denn diese tiefsten Wirkungen unserer Toten immer wieder bestehen. Hier geht es allerdings in die innersten Bereiche des Menschen. Tief ist natürlich das, was den Menschen im RLetzten be-wegt, die Grundhaltung all seines Handelns. Die Wirkung eines Hingeschiedenen liegt in einem Gedanken, einer Weltsicht, die sich mit der des individuellen Men-schen mischt, ihn bereichert und so Substanz bildet. Aber die Toten zeigen nicht nur den Weg, sie mahnen auch und fordern.

Jeder verblichene Leib eines Menschen erinnert an die Dürftigkeit des Körperli-chen und rein Sinnlichen, er weist zum Himmel, wo jeden ein Gericht erwartet. Im letzten Kriege ist wieder ein großer Teil der Besten, der Blüte der Jugend gefallen. Ihr Vermächtnis an unsere Generation ist die Forderung, das zu vollenden in der Welt, was sie wollten. Möge die deutsche Jugend das von ihren toten Kameraden lernen und das Heldengedenken nicht in Redensarten erschöpfen! Mögen alle diejenigen, die in wenigen Wochen in einen neuen Wirkungskreis eintreten, den Ruf der Toten vernehmen!

Es gibt Logisch klarer: allerdingsaber auch ein negatives Wirken, und es ist nicht zu unterschätzen. Wie wirkt jetzt noch das Gedankengut mancher Philo-sophen und großen Menschen! Es sind viele, die auch heute noch von Ge-danklich abwegig, in diesem Zushg. Descartes und Haeckel auf eine Stufe zu stel-len!Descartes her die einseitige Welthaltung des Rationalismus bejahen, viele, denen der „Übermensch" eines Friedr. Nietzsche leider, leider noch das Ziel des Lebens darstellt. Welchen Einfluß haben die Schriften eines Haeckel selbst im einfachen Volke!

Eine dritte Art von Hingeschiedenen sind alle die, an denen sich die Geister schei-den, Personen, die geliebt wie gehaßt Gilt auch für den vorhergehenden Ab-schnitt.werden . Ich will mich hier mit dem mächtigsten Beispiel beschäftigen, mit der Person Christi. „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen." So sprach er einst, und heute noch ist er als Mensch wie als Gott geliebt und gehaßt. Christus als Mensch wird von vielen geachtet, die ihn allerdings nur von natürlicher Warte aus Mit diesem Satz rechtfertigt Verf. sei-nen Ausblick auf Christus, der, streng genommen, nicht als „Toter" im Sinne des Themas aufzufassen ist.anerkennen . Man vergißt aber, daß Christentum ohne diesen Gottmenschen Christus wohl eine erbauliche Lehre ist, wie die [.?.] oder der Buddhismus das nicht minder sind; aber so wie eine Pflanze, der man das Sonnenlicht entzieht, verkümmert, ist Christentum nur mit Christus möglich. Nur durch ihn kommen wir zum Vater, und er bleibt, wenn auch alles andere ver-geht. Wie tief Christus wirkt, zeigen die unerhörten Worte des Russen Dostojews-kij, der in seinen Tagebüchern einmal schrieb: „Wenn sich herausstellte, daß die Wahrheit nicht in Christus sei, wollte ich doch lieber Christus folgen als der Wahr-heit!" - Ein für uns unerhörter Satz! - Als Christen haben wir auch die Überzeu-gung, daß die Toten leben und mit uns gehen auf dem Lebenswege, daß sie für uns bitten, weil sie, wie Hölderlin einmal sagt, „dort lebendiger wirken, wo des gött-lichen Geistes Freude, die Alternden all, alle die Toten verjüngt."

Zum Schluß muß uns durch das schwerwiegende Wort Focks noch ein Gedanke aufleuchten. Auch wir müssen sterben, auch uns wird eine Nachwelt ehren oder schmähen. Das liegt aber an uns. Möge christlicher Geist, unser ehrliches Ringen, ein gutes Beispiel für die Jüngeren sein, und möge man uns nie den Vorwurf zu machen brauchen, daß wir „Luft der Welt" hätten sein sollen, aber versagten und zerbrachen. Wir, die hinausziehen ins Leben, haben unser Programm und müssen uns bemühen, zehren von dem Lebensgeist der Toten und Gutes tun im Wirken für Christi Reich auf Erden.

Die Neigung des Verfassers zum ethischen Anruf und zum handfesten Morali-sieren berührt, da sie echter religiöser Überzeugung entspringt, nicht unsympa-thisch, behindert jedoch zuweilen den stetigen Fluß der Gedanken. Immerhin bie-tet die Arbeit eine im großen und ganzen wohlgeordnete Fülle von beziehungsrei-chen Beispielen und Gedanken zur Erhaltung des Themas. Somit kann sie, zumal die sprachliche Form, von einzelnen Unebenheiten abgesehen, das Gemeinte klar und zureichend zum Ausdruck bringt, als

gut

bezeichnet werden.

Schriftl. Kl.-Lstg.: gut

Köln, d. 20. Febr. 1948