DKG (Köln)

Gesamtbeurteilung des Sonderlehrgangs D

Kursus D

Dreizehn Teilnehmer zählt der letzte Abiturientenkursus des Dreikönigsgymnasiums. Das Gesamtbild dieser Klasse ist ansprechend und erfreulich. Es herrscht das gleiche Streben, dieselbe Besinnlichkeit, die zähe Entschlossenheit mit der Not fertigzuwerden, vor, wie beim ersten Abiturientenkursus. Bezeichnend ist es, daß die Mehrzahl der Schüler philosophischen Fragen ein besonderes Interesse entgegenbringt, das weitaus größer ist als es früher üblich war. Die Lebensbedingungen fast aller Teilnehmer sind mehr oder weniger hart, der Ernst ihrer Zukunft drängt sie dazu, ihre Bildung möglichst vielseitig und tief auszuweiten. Alle ohne Ausnahme möchten ein akademisches Studium ergreifen. Die Befähigung dazu wird man keinem von ihnen abstreiten können; ob sich aber die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht als stärker erweisen werden, wird die Zukunft lehren.

Vorschläge für den deutschen Aufsatz des Sonderlehrgangs D

1.) Der Mensch, ein Kind der Zeit, ein Herr der Zeit.

2.) Die tiefsten Wirkungen sind den Toten vorbehalten (Gorch Fock).

3.) Was erschwert uns den Glauben an die Zukunft unserer Vaterstadt, was hält ihn aufrecht?

Erläuterung zu 2) a) Die Lösung in der Form einer feierlichen Ansprache oder c) einer Abhandlung steht zur Wahl.


Beurteilung

Schüler R., Winfried

war Schüler des Gymnasiums in Mülheim; er nimmt erst seit dem 28. August am Kursus teil. Eine dreijährige Unterbrechung seines Studiums hatte erhebliche Lücken zur Folge, vor allem in der Mathematik und in den alten Sprachen. Sie hat ihn auch seiner Lieblingsbeschäftigung, der Musik, zu lange entzogen, so daß die technische Fertigkeit entscheidend gelitten hat. Aber er ist gesund und zielstrebig und hat sich soweit beigearbeitet, daß die Kursusleitung das Vertrauen haben kann, er werde die schriftliche und mündliche Prüfung bestehen. Mut zum Leben und Frohsinn zeichnen ihn aus. Weil er das Studium der Medizin für aussichtslos hält, hat er sich für die Rechtswissenschaft als Beruf entschieden.

Lebenslauf

Ich bitte um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1948.

Am 11. August 1926 wurde ich in Köln geboren. Mein Vater, Verwaltungsrat Johannes R., ist bereits seit 40 Jahren in stadtkölnischen Diensten tätig. Meine Mutter, Johanna R. geb. S., entstammt einer Mülheimer Kaufmannsfamilie. Sie hat in ihrer Jugend das Studium der Chemie betrieben. Wohlbehütet im Elternhaus verbrachte ich eine sorglose Kindheit. Meine Eltern erzogen mich mit Liebe und Sorgfalt aus einer tief religiösen Verantwortung heraus.

So wuchs ich heran und wurde Ostern 1933 zur Volksschule geschickt. Dort gefiel es mir sehr gut, zumal ich keine Mühe hatte, die dort geforderten Aufgaben zu erfüllen. Ich konnte neben frohen Spielstunden mit Schulfreunden auch schon an ernsten Freizeitbeschäftigung denken. Früh begann ich, Klavierunterricht zu nehmen. Von Zeit zu Zeit durfte ich mit Begleitung ein Konzert oder eine leichte Oper besuchen. Unter behutsamer Anleitung wurde mir die Musik zur Lieblingsbeschäftigung.

Ostern 1937 trat ich in die Sexta des Staatlichen Gymnasiums in Köln-Mülheim ein. Nach langem Schwanken meines Vaters, ob er mich zur Realschule oder zum humanistischen Gymnasium schicken solle, wurde diese Entscheidung getroffen. Doch heute noch bin ich ihm dankbar für diese Wahl, denn das Studium der alten Sprachen hat mir sehr viel Freude bereitet.

Auch die politischen Ereignisse jener Zeit blieben nicht ohne Einfluss auf mich. Da sich mein Vater schon vor 1933 politisch betätigt hatte und nun als Nichtparteimitglied und Beamter ständigen Schikanen ausgesetzt war, war es mir dank väterlicher Anleitung schon damals möglich, die Zeitgeschehnisse von kritischer Warte aus zu betrachten. Meine Gedanken darüber vertieften sich mit reiferen Jahren und dem Verlauf der Kriegsereignisse. Die Erkenntnis, dass unsere Jugend sinnlos für eine verbrecherische Idee dahingeopfert wurde, hat mir als Soldat manche schmerzliche Stunde bereitet.

Zu Beginn des Jahres 1943 wurde ich zunächst als Luftwaffenhelfer eingezogen. Dadurch erlitt schon damals das Lernen in der Schule eine schreckliche Einbusse. Nicht nur, dass mehrere Fächer wie Griechisch und Englisch ganz gestrichen wurden, sondern durch die nächtlichen Alarme und Wachen waren wir morgens derart ermüdet, dass von einem erfolgreichen Lernen keine Rede mehr sein konnte.

Ein halbes Jahr später musste ich schon zum Reichsarbeitsdienst einrücken. Vom Reichsarbeitsdienst entlassen, musste ich nochmals als Luftwaffenhelfer zur Flak gehen, um dann endgültig im Herbst 1944 als Soldat eingezogen zu werden. Dass durch dieses Hin und Her die Schule ziemlich ins Hintertreffen geriet, ist ja leicht erklärlich.

Im Mai 1945 geriet ich in englische Gefangenschaft, aus der ich erst im August 1947 entlassen wurde.

In bezug auf die Fortbildung meines schulischen Wissens muss ich diese Zeit zwar als verloren betrachten, auf der anderen Seite konnte ich Erfahrungen und Erkenntnisse sammeln, die man sich im Elternhause nicht aneignen kann. Der Arbeitsdienst zum Beispiel liess mich zum ersten Mal in die Abgrundtiefen einer moralisch verkommenen Jugend blicken. Die Hänseleien schlechter Kameraden verbitterten mir meine Dienstzeit sehr. Doch dank des Geistes, den ich von Elternhaus, Kirche und Schule empfangen hatte, gelang es mir wenigstens noch, ein Bedauern für diese Jungen zu empfinden.

Erst die Not der Gefangenschaft zeigte mir das von äusseren Formen und innerer Haltung verzerrte Menschenbild. Ein unsichtbarer Riss lief durch die Masse der Gefangenen. So war es trostlos zu sehen, wie die meisten sich haltlos und stumpfsinnig der Not ergaben, sich verkommen liessen und wie Tiere von einer Mahlzeit auf die andere warteten. Auf der anderen Seite konnte man sich an den Menschen wieder aufrichten, die noch an höhere Werte glaubten und selbst da noch einen Sinn suchten, wo alles sinnlos zu sein schien.

Diese und andere Erlebnisse konnten auf mich nicht ohne Einfluss bleiben.

In England hatte ich Gelegenheit, an zwei Lehrgängen des Lagers Wilton Park teilzunehmen. Durch Vorlesungen und Abendvorträge verschiedenster Art, die zum Teil von führenden englischen Persönlichkeiten gehalten wurden wie Viktor Gollancz[=?], Lord Lindsay of Birker, Lord Pakenham und andere mehr, erhielt ich einen guten Einblick in englisches Leben und Denken.

Durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse wurde auch meine Berufswahl stark beeinflusst. Das Recht wurde in den letzten Jahren mit Füssen getreten, und auch jetzt ist der Schrei nach Gerechtigkeit noch nicht verstummt. Gute Juristen werden gebraucht, um das Recht wieder auf sichere Füsse zu stellen. Mein Wunsch ist also, in dieser Hinsicht mein Teil zum Aufbau einer besseren Welt beitragen zu können.

Abituraufsatz

Reifeprüfung im Ostertermin 1948

Deutscher Prüfungsaufsatz

Köln, den 2. Februar 1948

Was erschwert uns den Glauben an die Zukunft unserer Vaterstadt und was hält ihn aufrecht?

Ein alter Spruch lehrt: „Man lernt den Wert einer Sache erst kennen und schätzen, wenn man sie entbehren muss." Die Wahrheit dieses Spruches konnte ich leider schon oft prüfen. So erfuhr ich erst in Militärzeit und Gefangenschaft die Bedeu-tung des Begriffes „Vaterstadt", der Stadt, in der meine Wiege stand. Gerne griff ich, wenn mich das Heimweh plagte, zu meinem Gedichtband. Wie oft haben doch bedeutende Dichter, meistens auch während eines Aufenthaltes in der Fremde, die Vaterstadt und das Vaterhaus besungen. Oft habe ich empfunden, dass die Vaterstadt ein Angelpunkt in unserem Leben ist. Früher hörte man von Auswande-rern, vielleicht manchmal etwas verständnislos, dass sie immer wieder in ihre Heimat zurückkehrten und dort ihre Urlaubstage verbrachten. Jetzt, da die meisten von uns einmal eine längere Zeit in der Fremde verbringen mussten, bringen wir mehr Verständnis für diese Sehnsucht nach der Heimat auf. Überflüssig: Fällt!Aber gerade Diese fürs Thema wertvolle Beobachtung wird leider gedanklich nicht ausgewertet. Auf der nächsten Seite entgleitet sie dem Verf. wie-der.die Heimatliebe der Kölner ist fast sprichwörtlich geworden. Wenn man durch die Kölner Altstadt geht, sieht man zwischen den Schuttbergen oft kleine Behelfs-heime von Leuten, die aus der Evakuierung nur deshalb zurückkehrten, um in „ih-rem" Köln zu sein . Meine Eltern schickten mir in die Gefangenschaft regel-mässig die Kölner Zeitschriften. Keine andere Lektüre war mir so lieb wie diese, aus der ich einiges über das Schicksal und Ergehen meiner Vaterstadt erfahren konnte. So war nicht nur bei mir, sondern auch bei meinen Kölner Kameraden, wie ich beobachten konnte, ein geistiges Band gespannt zwischen dem Kind der Va-terstadt und der Stadt selbst.

Das Schicksal und die Zukunft der Stadt Köln ist seit der Übergabe der Stadt der Gegenstand vieler Besprechungen gewesen. Der Krieg hatte in der Tat den Zu-sammenbruch für Köln gebracht. In vielen schweren Luftangriffen Gedanken-führung (oberflächlich!): Durch ein paar Beispiele verdeutlichen!war das Leben der Stadt vernichtend getroffen worden . Da man wieder an den Aufbau den-ken konnte, fand man nur noch Trümmer vor, sei es auf geistig-kulturellen oder materiell-wirtschaftlichem Gebiet. Man musste also ganz von vorne beginnen und erst einmal wieder eine geordnete Grundlage schaffen für den Wiederaufbau.

Nachdem nun fast drei Jahre vergangen sind, glauben manche Leute rückblickend feststellen zu können, dass die Stadt in ihrem Aufbau noch keine Fortschritte ge-macht hat, und dass die Lage sich seit Kriegsende auf allen Gebieten statt ver-bessert, nur immer verschlechtert hat. Meistens schliessen dann ihre Betrachtun-gen mit dem Ausspruch: „Es hat doch alles keinen Zweck!"

Auf ihre Feststellungen lässt sich vieles erwidern, hauptsächlich aber dieses, dass die Kölner alles tun, was in ihrer Kraft steht, und soweit es in ihrer Kraft steht, um „ihr" Köln wiederherzustellen. Oft hört man Bedenken bezüglich der Beseitigung der grossen Schuttmenge. Gerade hier, denke ich, hat sich der Aufbauwille der Kölner am handgreiflichsten gezeigt. Durch die Schuttaktion sind schon ohne grosse technische Hilfsmittel grosse Schuttmengen geräumt worden. Ein anderer Einwand sind die furchtbaren Wohnverhältnisse. Die Kölner Behörden sind sich auf diesem Gebiet Gedk. (bleibt unklar!)ihrer Ohnmacht bewusst. Ver-ständnisvoll lassen sie der Privatinitiative des Kölners Raum, Bezug aufs Thema? Gibt diese Tatsache dem Verf. Zuversicht oder bedrückt sie ihn?sodass sich schon mancher wieder in seiner Heimatstadt ein kleines Behelfsheim herrich-ten konnte . Mit Sorgen wird oft das Ausmass des Zusammenbruchs im Aus-senhandel betrachtet. Köln war durch seine günstige Lage schon seit dem frühen Mittelalter ein wichtiger Umschlagplatz und ein Mittelpunkt des Handelns. Aber auch hier haben die Kölner durch Veranstaltung von Messen an ihre alte Tradition angeknüpft. Einige Leute halten die verkehrstechnische Lage Kölns für besorgnis-erregend. Eine Behelfsbrücke, die im Mai dieses Jahres fertiggestellt wird und den Eisenbahnverkehr über den Rhein wieder ermöglicht, sichert St.auch Köln seine Stellung als Gr. (Nominativ)bedeutenden Verkehrsknoten-punkt des Westens. Auf dem kulturellen Gebiet soll ein neues Opernhaus - unter Verwendung einer alten Flugzeughalle - wieder erstehen und so der Theaternot abhelfen.

Noch einen anderen Einwand hört man öfters, der auf die Vormachtstellung Düs-seldorfs als Landeshauptstadt auf geistigem und politischem Gebiet hinweist. Da-gegen ist folgendes zu sagen. Kölns Lage A (Modewort): macht die Stadt... - Gedk. (?) Was sich Verf. wohl darunter vorstellt?bedingt schon, dass es zum Kraftfeld geistiger und politischer Spannungen wird . Seine Kultur und Traditi-on wird auch hier nicht ohne Einfluss bleiben. Gerade heute wird wieder die Be-deutung des Mittelalters hervorgehoben und die Besinnung auf die Werte des Mit-telalters gefordert. Wenn wir an Albertus Magnus und Thomas von Aquin denken, die in Köln ihre Lehrstühle hatten, wenn wir an die Stellung der Kölner Erzbischöfe im römischen Reiche deutscher Nation denken, dann wissen wir, Gedk. (ober-flächlich): worin erblickt Verf. die Bedeutg. dieser geistigen Mächte?welche Be-deutung dem mittelalterlichen wie dem jetzigen Köln in dieser Hinsicht zu-kommt .

So können wir dem Dombaufest eine tiefe Bedeutung zumessen. Einmal als Zei-chen unseres Aufbauwillens, denn auch an diesem würdigen Gotteshaus ist der Krieg nicht spurlos vorübergegangen, und man arbeitet, um die Schäden bis zum Fest zu beseitigen. Zum andernmal können wir es als ein Zeichen der Besinnung und Wiedererweckung des Geistes betrachten, dem wir dieses hehre Bauwerk verdanken.

Die Frage, ob wir uns von den A (einfacher): WirklichkeitGegebenheiten unterdrücken lassen, weil der Aufbau doch nicht so schnell vorangeht, wie wir alle es wünschen, oder trotzdem A (ungelenk)begründet , wie wir gesehen haben, zukunftsfroh sind, ist von folgenschwerer Bedeutung. A (umständlich): Denn Verzagtheit u. P. lähmen die Tatkraft.Denn aus dem ersteren entspringt eine Verzagtheit, ein Pessimismus, der jede Tatkraft hemmt und lähmt. Ein hoffnungsfreudiger Glaube aber Präz.: anfür die Zukunft ermuntert uns zu einem tatkräftigen Zupacken. Welche dieser beiden Haltungen dürfte denn für die Zukunft unserer Stadt förderlicher sein? Sicherlich ist doch in einer Notlage die tatkräftige Haltung nützlicher als die untätige. Wir dürfen also nicht nur Gedk. (klarer): aufgrund der Tatsachen_ den Glauben an die Zukunft unserer Stadt hochhalten, sondern haben sogar die Verpflichtung dazu, um tatkräftig unserer geliebten Vaterstadt eine bessere Zukunft zu schaffen.

Die Einleitung (S. 1) ist zu lang geraten und nimmt dem Hauptteil einen frucht-baren Gedanken vorweg. Für die grausamen Verluste, die seine Vaterstadt zu beklagen, und die gewaltigen Schwierigkeiten, die ihr Lebenswille zu überwinden hat, besitzt Verf. offenbar nur geringes Verständnis (S. 2). Daher wirkt der auf S. 3-4 vom Materiellen und Geistigen her entwickelte Optimismus spannungslos, bil-lig und oberflächlich. Immerhin gelingt es dem Verfasser, seine bescheidenen Ge-danken geordnet vorzutragen, und er bemüht sich nicht ohne Erfolg um eine sprachlich und formal saubere Darstellung, so daß man die Arbeit soeben noch als schwach

genügend

bezeichnen kann.

Schriftl. Kl.-Lstg: zwischen genügend und befriedigend.

Köln d. 20. Febr. 1948