DKG (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1931 (Realgymnasium)

1.) Öffentliche Plätze in Köln

2.) Was interessiert mich auf Reisen besonders?

3.) Die Geschichte eines Wasserstoffatoms

4.) Alltagspflichten gegen die Gemeinschaft


Beurteilung

Oberprimaner G., Ernst.

Regelmässig versetzt. Nicht leicht zu behandelnder Charakter. Er ist von ernstem Streben beseelt, was sich auch in seiner Lieblingsbeschäftigung zeigt: der Erörterung weltanschaulicher Fragen. Er besitzt ein vielleicht übermässig starkes Ehrgefühl und ausgeprägtes Bewusstsein seines Persönlichkeitswertes, ohne gerade überheblich zu sein. Aber ein gewisser Mangel an Tiefe, Weitblick und Grossmut verführt ihn leicht zur Rechthaberei. Bezeichnend ist, dass er daraus entstehende Konflikte nie in offenem Trotz bestehen liess, sondern immer mit offenem Vertrauen, und in freimütiger, ja hartnäckiger Aussprache eine Lösung erstrebte. Auf den seiner Begabung zusagenden Gebieten besitzt er ausreichendes Urteil und Verständnis, auch für schwierige Zusammenhänge. Mündliche Leistungen liegen ihm weit besser als schriftliche, besonders in Französisch und Englisch, worin er sich im freien Vortrag öfter auszeichnete. Sehr gut ist er in Religion, gut im Deutschen, für Mathematik ist er unbegabt.

Lebenslauf

Den Prüfungsausschuß am staatlichen Dreikönigsrealgymnasium bitte ich um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1931.

Am 5. Februar [1912] wurde ich zu Euskirchen geboren.
Dort besuchte ich seit Ostern 1918 die Volksschule, bis meine Eltern im Oktober jenes Jahres nach Köln verzogen. Hier vollendete ich die vorgeschriebenen vier Jahre Volksschule und bestand Ostern 1922 die Aufnahmeprüfung für Sexta am staatlichen Dreikönigsgymnasium, das ich seither besuche. Nach Teilnahme am gemeinsamen Unterbau bis Quarta entschied ich mich für die reale Abteilung der Anstalt. In diesen Jahren machte sich meine Sonderveranlagung bemerkbar. Für Mathematik hatte ich in der Folgezeit keine besondere Neigung mehr. Jedoch fesselte mich immer mehr der deutsche und der fremdsprachliche Unterricht, ferner, wie schon von Sexta an, der Religionsunterricht. Weltanschauliche Fragen haben mich sehr bewegt; deshalb schloß ich mich der philosophischen Arbeitsgemeinschaft unter Leitung des Herrn Oberstudiendirektors an. Im englischen Unterricht bemühte ich mich, den Charakter des Engländers zu verstehen. Hier fesselte mich auch besonders Galsworthy: "The Hill". Daneben habe ich immer viel Freude an der englischen Sprache selbst gehabt. Im Französischen war es wiederum die Neigung, den Charakter und die Denkart eines anderen Volkes kennenzulernen, die in mir reges Interesse für den Unterricht weckte. Ebenso haben mich in letzter Zeit die besonders in der französischen Lektüre berührten sozialen Fragen zum Nachdenken über diese Dinge angeleitet. Leider wurde das Zeugnisprädikat immer durch schlechte schriftliche Leistungen sehr beeinflußt, wobei die Rechtschreibung eine bedeutende Rolle gespielt hat. Im Deutschen bemühte ich mich stets um ein wichtiges und klares Verständnis der Dichtung ohne schwierigere Stellen zu übergehen. Zu Hause las ich, teilweise auch im Anschluß an die oben erwähnte Arbeitsgemeinschaft:

C.F. Meyer: Das Amulett; Der Schuß von der Kanzel; Plautus im Nonnenkloster; Gustav Adolfs Page; Die Hochzeit des Mönchs; Das Leiden eines Knaben; Die Richterin. Hebbel: Herodes und Mariamne. Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe. Stifter: Die Narrenburg. Hugo von Hoffmannsthal: Der Tod des Tizian. Zola: Le travail; Germinal.

Die schriftlichen deutschen Arbeiten machten mir oft Freude, da sich hier die Gelegenheit bot, selbständige Gedanken zu äußern und darüber eine Kritik zu hören.

Als Wahlfach für die schriftliche Prüfung bezeichne ich Englisch; für die mündliche Prüfung Religion. Als Spezialgebiet in diesem Fache gebe ich die Liebestätigkeit der evangelischen Kirche an.

In Berücksichtigung meiner Freude an scharfsinnigen Überlegungen und meines ausgeprägten Rechtsempfindens beabsichtige ich, nach abgelegter Reifeprüfung mich dem juristischen Studium zuzuwenden mit dem Ziele, mich nach bestandener Staatsprüfung als Rechtsanwalt niederzulassen.

Zur körperlichen Ertüchtigung treibe ich Hockeysport. Ich habe mir hier eine gewisse Fertigkeit angeeignet, so daß ich in der I. Juniorenmannschaft des Schwarz-Weiß-Klubs aufgestellt werden konnte.

Auf dem Reifezeugnis bitte ich mein Religionsbekenntnis zu vermerken.

Abituraufsatz

Reifeprüfung Ostern 1931.

Deutsche Prüfungsarbeit.

Alltagspflichten gegen die Gemeinschaft.

[K108|Gliederung:|K108]

I. Der Anspruch der Gemeinschaft auf die Arbeitskraft des einzelnen.

a) Die Pflicht des Reichen gegenüber der Gesellschaft.

Jeder muß nach Kräften an der Vervollkommnung der Menschheit mitarbeiten.

b) Die [K109|Gesellschaft in|K109] der man [K202|lebt verpflichtet|K202] zu einem [K110|ordentlichen|K110] Lebenswandel.

c) Folgen von [K111|Pflichtvergessenheit|K111] im Beruf.

II. Der Wert von Schlichtheit und Rechtschaffenheit im Leben für die Gemeinschaft.

a) für einzelnen,

b) für die Staaten.

III. Der Verkehr [K112|von Mensch zu Mensch|K112] durch die gesellschaftliche Form.

[K113|III.|K113] [K114|Die Pflicht der oberen sozialen Kreise gegen Mitglieder anderer Klassen|K114].

Im Mittelalter war sich [K115|jeder|K115] bewußt, daß er in der Gemeinschaft und für sie lebte. Dann kam das Zeitalter des Individualismus, in dem das Recht des Individuums betont wurde. Heute kennt eine [K116|große Anzahl Menschen fast nur noch Pflichten gegen die ursprüngliche und nächste Gemeinschaft, die Familie|K116].

I. Alle Menschen, besonders aber die [K117|größere|K117] Gemeinschaft Volk hat Anspruch auf die Arbeitskraft der einzelnen. Wer nicht arbeitet, fällt irgendwie der Gesamtheit zur Last, oder er erfüllt nicht [K118|die gerechte Pflicht|K118] gegen sie. Hat der betreffende [K119|genug_um|K119] zu [K120|leben durch|K120] Erbschaft, so lebt er vom [K121|erworbenen Reichtum der Vorfahren|K121], die aber für ihn nicht mitarbeiten konnten, [K122|weil einjeder mit seiner Arbeitskraft der Gesellschaft verpflichtet ist|K122]. Freilich nutzt ein Wohlhabender durch ein gut verwaltetes Erbe, aber ein kluger Verstand, eine gute Kraft sind der Menschheit nicht zu ersetzen. b). Jeder [K123|hilft mit der|K123] Natur der Erde [K124|soviele|K124] Güter abzugewinnen wie möglich. Dadurch [K125|hilft|K125] jeder [K126|bis zu einem gewissen, seinen Kräften angepaßten Grade|K126] mit, die Menschheit von vielen Sorgen zu befreien. [K127|Die materielle Schwierigkeit beschäftigen den einzelnen [.?.] Gesamtheit heute viel zu sehr|K127]. Viel arbeiten soll jeder, aber das Streben soll [K128|nicht, oder|K128] nur zum geringen Teil auf den materiellen Vorteil hinzielen. {Abschweifung vom Thema.}Damit{##l:} dies möglich ist, muß erst [K129|durch allgemeinen Wohlstand|K129] der zu große Unterschied in irdischen Gütern etwas ausgeglichen werden. [K130|Allgemeine|K130] Gleichheit würde allerdings gesunden Wettbewerb hemmend gegenüberstehen. Die Freude an der Arbeit soll in den Vordergrund [K131|treten, das|K131] Glück [K132|des Schöpfers, des Entdeckers eines von der Natur sorgfältig verborgen gehaltenen Geheimnisses|K132] soll mehr den Antrieb geben. Über dem Werk soll stehen: Meinem Schöpfer zur Ehre, meinem Mitmenschen zum [K133|Wohle|K133]. Jeder soll mit an der geistigen und körperlichen [K134|Vervollkommnung|K134] der Menschheit arbeiten. Ein Pflichtvergessener ist zumeist eine schwer heilbare Krankheit am Körper der Gesamtheit. Er hält die Aufwärtsentwicklung des Menschengeschlechtes auf.

C). Einjeder soll sich dessen bewußt sein, daß auch sein Privatleben Einfluß auf das Wohl der Gesellschaft hat. [K135|Im Hause, der|K135] [K136|heiratet richtet|K136] mehr Schaden [K137|an als|K137] viele [K138|hundert|K138] andere Menschen [K139|gut machen|K139] können. Eine Familie kann unter Umständen durch ihren Einfluß und ihr Blut einer größeren Gemeinschaft unheilbringend sein. [K140|Ebenso kann eine Erziehung der Kinder in der Gemeinschaft der Familie|K140] den [K141|Charater|K141] der folgenden Generationen bestimmen.

[K142|d)|K142]. Im Beruf besteht zunächst [K143|wiederum|K143] die Pflicht zu arbeiten, [K144|um der engeren oder weiteren Gemeinschaft nicht zum Hindernis zu werden, sondern|K144] sie zu fördern. Je höher der einzelne im Berufe steht, je mehr Einfluß er auf andere ausüben kann, desto größer sind seine Pflichten. Man muß sich wohl bewußt sein, welche schweren Folgen das verwerfliche Handeln eines einzelnen auf eine ganze Anzahl Mitmenschen haben kann. Gesetzt sei der Fall, es verschuldet in heutiger Zeit jemand dadurch, daß er sich [K145|seiner Pflicht|K145] nicht bewußt [K146|ist den|K146] Zusammenbruch eines größeren Unternehmens. [K147|Die Angestellten werden|K147] gekündigt. Viele finden bei der schlechten Wirtschaftslage keine Beschäftigung mehr. Lange Arbeitslosigkeit macht vielen das Leben zur Qual. Die Familie der Entlassenen leiden mit. Vielleicht geht die Frau auf Erwerb aus. Dadurch werden Haushalt und Kindererziehung notwendigerweise vernachlässigt. Das Familienleben ist gestört, der ehemals tüchtige Arbeiter ist durch Entkräftigung und Sorgen zu Grunde gerichtet. Die Familie [K148|konnte|K148] ihren Zweck für den Staat nicht erfüllen. Kinder [K149|konnten|K149] der Familie nicht mehr entsprießen. Die vorhandenen sind körperlich und geistig untüchtig. Sie fallen zumeist der Gesamtheit zur Last. ... Die Firma hat die Gläubiger betrogen; auch sie sind ruiniert ... So verbreitet ein Schädling in der Gesellschaft Unheil rings um sich [K150|her|K150]. Da die Pflichtvergessenheit einzelner der Gemeinschaft gegenüber so zugenommen hat, beginnt sie, unser staatliches Leben zu untergraben. Die einen bauen [K151|auf und|K151] andere ziehen ihre Mitmenschen wieder ins Elend zurück.

II. Jeder ist der Gesellschaft gegenüber, durch die er lebt, dazu verpflichtet, rechtschaffen und ehrlich zu sein. Sonst würde er die anderen zwingen, sich anzupassen und ebenso zu handeln. Das Mißtrauen würde ein gutes Einvernehmen der Menschen untereinander unmöglich machen zum Nachteile aller. a). Es sollen doch nicht die Recht [K152|behalten die|K152] sagen, die alte Gesellschaft müsse zertrümmert werden, um daraus eine neue, glücklichere zu erbauen. b). Auf das Wort Vertrauen soll sich auch der Aufstieg unseres Vaterlandes und der Weltfriede gründen. Die Ehrlichkeit jedes einzelnen begründet das Vertrauen, ohne das Friede, Freundschaft und Glück nicht möglich sind.

III. [K153|Die gesellschaftliche Form erleichtert es dem Menschen sehr, seinen Pflichten gegenüber dem Mitmenschen gerecht zu werden|K153], den rechten Ton zu finden und ja nicht zu kränken. Ich möchte sagen, sie ist die neutrale Verhandlungsbasis der Menschen untereinander. Diese Form beachten heißt Rücksicht nehmen auf den Mitmenschen. Im Verkehr in einer größeren Gesellschaft ist es nicht möglich, sich auf die Persönlichkeit des Mitmenschen einzustellen, die mit Recht Achtung verlangt. Die gesellschaftliche Form gleicht die Gegensätze aus und macht eine Zusammenarbeit verschieden gearteter Menschen erst möglich.

III. [K154|Was ich von der gesellschaftlichen Form sagte, kann sich jedoch nur auf den Verkehr von Menschen einer sozialen Klasse|K154] untereinander beziehen. Ein Arbeiter würde sich durch die [K155|gewandten Umgangsformen|K155] eines aus sozial höher stehenden Kreisen stammenden Mannes verletzt fühlen. Dabei ist es so dringend notwendig, daß sich die Mitglieder der [K156|einzelnen|K156] Klassen in der Zeit der sozialen Gegensätze verstehen. Es wird gut sein, um die Gegensätze, die bestehen, nicht zu Tage treten zu lassen, [K157|sich die Umgangsformen dieser anderen sozialen Schicht anzupassen|K157]. Jeder muß fühlen, daß er ein Glied der großen Gemeinschaft ist. Jeder muß an seinem Teile dafür sorgen, daß sie festergeführt wird; denn nur durch die Gemeinschaft leben wir. [K158|Durch sie ist sein Fortschritt möglich|K158].

Der Verfasser hat die Aufgabe richtig erfaßt; Beispiele von Alltagspflichten sind gut gewählt und in ihrer Bedeutung für die Gemeinschaft treffend gewürdigt. Demgegenüber stehen Abweichungen vom Thema, Weitschweifigkeiten, Neigung zu leeren Reden; der Ausdruck ist oft schlecht, mehrfach unzutreffend gewählt.

Der Entwurf ist stellenweise besser als vorliegende Ausführung.

Mit Einschränkung:

Genügend.

03 - Freizeit
13 - Jugendgruppen
04 - Freundschaften