DKG (Köln)

Gesamtbeurteilung der Oberprima 1949

Oberprima

In der Oberprima herrscht ein guter Geist. Charakterlich sind alle 11 Schüler von einer erfreulichen Sauberkeit und Anständigkeit. Durch den Krieg, den sie in seiner letzten Phase meist als Flakhelfer oder im R.A.D. erlebten, sind sie über ihr Alter hinaus gereift. Alle Schüler sind für geistige Dinge aufgeschlossen und gehen nicht nur willig auf die ihnen gegebenen Anregungen ein, sondern nehmen diese zum Anlass einer selbständigen, weiterführenden Beschäftigung mit dem Stoff. Hinsichtlich der Begabungen ist die Klasse recht differenziert. Neben einer aussergewöhnlichen geistigen Veranlagung und 2-3 guten Schülern ist die ganze Skala der Begabungen bis herunter zu mittelmässigen Veranlagungen vertreten. Doch alle einen der ernste Wille, sich gute Kenntnisse anzueignen, und das Streben, wahre Bildung zu erlangen. Ehrfurcht und Achtung vor dem Geist und der geistigen Leistung und das Bewusstsein einer festen Rangordnung der Werte sind den Schülern fester Besitz geworden. Besonders erfreulich ist, dass diese Einstellung der Klasse mitbewirkt wurde durch das emporhebende Beispiel und Bemühen der besten Schüler. Geisteswissenschaftlichen Fragestellungen und der Philosophie gilt das besondere Interesse der Klasse. Alle wollen ein akademisches Studium beginnen. Die Berufswahl der Schüler ergibt eine gute Streuung durch alle Fakultäten.

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1949

1.) Die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung Kölns nach dem zweiten Weltkrieg.

2.) Läßt sich weltbürgerliche und vaterländische Gesinnung vereinigen?

3.) Welche Aufgaben stellt die Gegenwart der deutschen Jugendbewegung?


Beurteilung

B., Rudolf

stammt aus einer wohlhabenden Familie, die ihm als dem einzigen Kind die Wege im Leben in jeder Weise geebnet hat. So hat er umsorgt und wohlbehütet eine glückliche Jugend verbracht. Seine mässige Begabung steht nicht in ausgeglichenem Verhältnis zu seinem grossen Ehrgeiz. Dieser lässt ihn sich selbst gegenüber zuweilen unkritisch werden und verleitet ihn zur Selbstüberschätzung. Die Schule ist ihm nicht immer leicht gefallen, doch hat er es infolge seines beharrlichen Strebens erreicht, dass seine Leistungen, die auf Unterprima in den alten Sprachen noch zu wünschen übrig liessen, nun genügend genannt werden können. Für das Studium der Zahnheilkunde bringt er bei seinem grossen Interesse für biologische und chemische Fragen und seiner Freude an technischer Kleinarbeit beste Voraussetzungen mit.

Lebenslauf

Hiermit bitte ich um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1949.

Am 2. Februar 1929 wurde ich als einziges Kind der Eheleute Zahnarzt Dr. Josef B. und Gertrud, geb. N., in Köln-Riehl geboren. Mein Vater, in Zülpich geboren, stammt aus einer Beamtenfamilie. Sein Vater war Postmeister, jedoch als Zentrumsabgeordneter im Land- und Reichstag zwanzig Jahre in Berlin tätig, wo er später Unterstaatssekretär im Landwirtschaftsministerium wurde. Der Vater meiner Mutter, welche geborene Kölnerin ist, war Brauereibesitzer.

Zu der Zeit, als ich geboren wurde, praktizierte mein Vater als Zahnarzt in Köln-Riehl, wo er sich ein eigenes Haus baute, in dem ich eine unbeschwerte Kindheit voller Freuden verlebte.

Seit meinem dritten Lebensjahr fuhr ich mit meinen Eltern jedes Jahr an die Nordsee. Diese Reisen haben auf mich einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen durch das Erlebnis der Größe und ruhigen Erhabenheit der Natur. Sie haben mitgewirkt, mein Wesen zu formen und in mir eine Veranlagung vertieft, die zu Schweigsamkeit und Zurückhaltung neigt und zu stiller Beobachtung der Natur.

Mit sechs Jahren kam ich Ostern 1935 auf die Katholische Volksschule in Köln-Riehl.

Das Jahr 1938 war wohl das ereignisreichste meiner frühen Jugend. Am weißen Sonntag feierte ich das Fest der heiligen Erstkommunion. Wenige Monate später hatte ich Gelegenheit, auf einem Küstenfrachtschiff eine Reise von Duisburg über Holland und die Nordsee nach Hamburg und wieder zurück zu machen. Diese Fahrt wird mir unvergeßlich bleiben. Sie weckte in mir den Wunsch, auch später einmal zur See zu gehen. Dieser innere Drang zum Meer, überhaupt zum Wasser, blieb bis heute in mir haften. Hinzu kam noch das in vielen jungen Menschen wohnende Sehnen nach der Ferne, nach fremden Meeren und Ländern. Eine schwache Kurzsichtigkeit setzte meinem jugendlichen Vorhaben eine Schranke. Dennoch gehört nach wie vor meine Liebe dem Wasser und den unbekannten Weiten. Im Segelsport, dem ich seit meinem vierzehnten Lebensjahre mit großer Begeisterung nachgehe, kann ich meiner Verbundenheit mit dem Wasser in kleinerem Maßstab genügen. Jenes Forschen nach dem Unbekannten zeigt sich heute noch in meiner Vorliebe für Geographie.

Das schwerste Leid, das mich in jungen Jahren traf, war der frühe und plötzliche Tod meines Vaters im Herbst 1938. Ich war damals erst neun Jahre alt und somit noch zu jung, um die Folgen dieses Geschehens zu erkennen. Jedoch ist ein großer Teil meiner Entwicklung durch dieses Ereignis bestimmt worden. Zunächst nahm alles seinen natürlichen Fortgang. Ein Dozent der Bonner Universität übernahm die Praxis meines Vaters und zog, nachdem meine Mutter ein kleineres Haus nicht weit von dem bisherigen entfernt gefunden hatte, mit seiner Familie nach Riehl. Das Vermögen meines Vaters legte meine Mutter in Grundbesitz an. So war unsere Existenz zunächst gesichert.

Meine Eltern hatten noch kurz vor dem Tode meines Vaters beschlossen, mir eine humanistische Ausbildung zukommen zu lassen. So kam ich Ostern 1939 auf die Sexta des Staatl. Dreikönigsgymnasium in Köln.

Während meiner ersten Gymnasiastenjahre regte sich in mir ein großes Interesse für erzählende und beschreibende Bücher. Jungenbücher, Karl May und geographische Beschreibungen nahm ich gerne zur Hand.

In dieser Zeit beschäftigte ich mich viel mit Bastelarbeiten jeder Art. Besonders feine und feinste Kleinarbeit konnte mich stundenlang fesseln. Auch das Zusehen bei solchen Arbeiten war für mich äußerst reizvoll. Ich glaubte damals, daß ein technischer Beruf meiner Veranlagung entsprechen könnte. Doch bald schon fühlte ich, daß die Technik mich nicht zufrieden stellen würde. Heute ist mir klar, daß meine ganze Einstellung zum Menschen und zur Umwelt mit der Technik und ihrer rationalen Einseitigkeit nicht zu vereinbaren ist. Ich neige dafür zu sehr zum Irrationalen. Neben dem Erkennen der Dinge suche ich ihnen auch gefühlsmäßig näher zu kommen. Das ist aber meiner Ansicht nach auf rein rationalem Wege nicht möglich. Ich würde aber, ohne das Irrationale in mir später berücksichtigen zu können, innerlich verkümmern.

Als das Dreikönigsgymnasium infolge der Luftangriffe vorübergehend schließen mußte, wechselte ich für kurze Zeit auf das humanistische Gymnasium Würzburg über, kam aber nach Köln zurück, als das Dreikönigsgymnasium in einer benachbarten Schule den Unterricht wieder aufnahm.

Im Herbst 1944 wurde ich zum Schanzen am Westwall einberufen. Obwohl ich diesen Einsatz nur acht Wochen lang mitmachte, war es für mich doch sehr reich an Erlebnissen und Erfahrungen. Einmal das Zusammenleben mit Jungen aus allen sozialen Schichten war für mich ganz neu und auch sehr lehrreich. Zum anderen sammelte ich hier meine ersten Menschenerfahrungen, lernte die Verschiedenheit der Charaktere kennen, Kameradschaft und Freundschaft schätzen. Auch erkannte ich damals zum erstenmal den rücksichtslosen Egoismus der NS-Führer und erfuhr persönlich ihre Niederträchtigkeit. Als Folge der unzureichenden Ernährung und der ungewohnten Strapazen kam ich nach acht Wochen mit einem Leber- und Gallenleiden, das sich auf die ganze Magen- und Darmtätigkeit auswirkte, nach Hause. Heute noch habe ich häufig unter inneren funktionellen Störungen zu leiden.

Weihnachten 1944 fuhr ich für einige Wochen nach Würzburg, das zu der Zeit noch vollkommen unversehrt war, ein Anblick, der mir nach all den Schreckensbildern in Köln eine große Wohltat war. Was mir den Aufenthalt in Würzburg zu einem unvergeßlichen Erlebnis werden ließ, war, daß ich dort einen Freund fand. Das war für mich ein großer Gewinn. Da ich keine Geschwister habe, suchte ich schon immer nach einem Freund. Doch bei meinem verschlossenen und zurückhaltenden Wesen und meiner stark ausgeprägten Empfindsamkeit war es mir bisher nicht möglich gewesen, einen Menschen zu finden, der mich verstand, der fühlte, wie ich fühlte, und der dachte, wie ich dachte. Nun hatte ich ihn.

Den Frontübergang erlebte ich mit meiner Mutter in Waldorf im Vorgebirge. Infolge der anfänglichen Ausgehbeschränkungen war es uns erst nach zwei Monaten möglich, zu Fuß nach Köln zurückzukehren. Dort schufen wir uns unter großen Schwierigkeiten als erstes wieder ein menschenwürdiges Heim. Im Laufe der Jahre ist es meiner Mutter trotz erheblicher finanzieller Schwierigkeiten geglückt, noch zwei weitere Häuser wieder aufzubauen, so daß unsere wirtschaftliche Existenz aller Voraussicht nach gesichert ist, wenn wir auch die hierfür gebrachten Opfer noch einige Jahre spüren werden.

Während des Sommers und Herbstes nach Beendigung des Krieges hielt ich mich durch Privatstunden in Latein und Englisch auf einem gewissen Leistungsstandard, der es mir beim Wiederbeginn der Schule im Herbst 1945 ermöglichte, schneller wieder in das über ein Jahr unterbrochene Schulleben hineinzukommen. Ostern 1946 kam ich dann in die neueingerichtete Obersekunda.

Nach all den Ereignissen der letzten Jahre war in mir eine entscheidende Wendung eingetreten. Der Anblick des grenzenlosen Elends der Menschen hatte mich tief ergriffen. Vorerst erhob sich in mir ein starker Wille zu helfen, doch war mir noch nicht klar, wo und wie. Allmählich aber formte sich die Idee des Helfens in den Wunsch, Arzt zu werden. Ich glaube, daß dieser Beruf meiner Veranlagung entsprechen wird, und daß ich in ihm zur vollen Entfaltung meiner selbst gelangen und dadurch glücklich werden kann. Nach bestandener Reifeprüfung möchte ich mich zunächst dem medizinischen Studium widmen und mich später wegen meiner manuellen Veranlagung als Zahnarzt spezialisieren. Bereits seit längerem beschäftige ich mich in meiner Freizeit mit dem Lesen medizinischer Bücher und mit zahntechnischen Arbeiten, wozu ich im früheren zahntechnischen Laboratorium meines Vaters unter der freundschaftlichen Anleitung von dessen Nachfolger Gelegenheit finde.

So hoffe ich, daß ich mit Gottes Hilfe den Weg gehe, zu dem ich mich auf Grund meiner Veranlagung berufen fühle.

In das Zeugnis der Reife bitte ich, einen Vermerk über mein Religionsbekenntnis aufzunehmen.