DKG (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1932

1.) Vom Brief und vom Briefschreiben

2.) Mein Verhältnis zum Roman und zum lyrischen Gedicht

3.) Bericht über eine öffentliche Veranstaltung (Versammlung, Konzert, Schauspiel, Vereinsfeier oder dergl.)

4.) Vergessen und Vergeßlichkeit (Erlebnis, Charakteristik oder Abhandlung)


Beurteilung

B., Franz

erfasst die Lehrstoffe nicht gerade schnell, aber sehr gründlich. Trotz schwacher Gesundheit hat er infolge regelmässigen Fleisses stets gute Leistungen in allen Fächern aufweisen können. Als Sprecher der Klasse hatte er unter seinen Mitschülern bei kluger Zurückhaltung bedeutenden Einfluss, und er hat ihn dazu genutzt, die Klassengemeinschaft zu festigen. Im letzten Winter hat er die Schülersammlung für Notleidende im Gymnasium geleitet. Seine Interessen gingen über die Schule hinaus und er hat eifrig gesucht, sich mit politischen und geistigen Tagesfragen auseinanderzusetzen.

Lebenslauf

Hiermit bitte ich um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1932.

Es kann nicht der Zweck dieses Schreibens sein, meinen vollständigen Entwicklungsgang darzustellen. Ich will deshalb zunächst ganz kurz die wichtigsten äußeren Ereignisse meines Lebens aufzählen, und sodann einige Punkte aus meinem Leben herausgreifen, die wohl für die Gestaltung meines späteren Lebens von Wichtigkeit sein werden.

Ich wurde am 30. Juli 1913 als Sohn des Landrichters Wilhelm B. zu M. Gladbach geboren. Da mein Vater während des Krieges zum Militärdienst herangezogen wurde, lebten während dieser Zeit meine Mutter, meine zwei Brüder und ich im großelterlichen Hause. 1919 wurde mein Vater zum Landgerichtsdirektor ernannt und zugleich nach Köln versetzt. Jedoch schon im Frühjahr 1922 starb er unerwartet nach einer Operation. Ich besuchte damals die 3. Volksschulklasse. Nach Beendigung des 4. Schuljahres kam ich auf die Sexta des Dreikönigsgymnasiums, auf dem ich bis heute geblieben bin.

In Untertertia wurde ich Neudeutscher, sah jedoch, vorläufig, wie es in den unteren und mittleren Klassen gar nicht anders sein kann, Neudeutschland und damit die ganze Jugendbewegung nur als Jungen-, als Schülerbewegung, die lediglich auf ein frisches Jungentum, auf Lager und Fahrt aufbaute, und die mit dem Verlassen der Schule schließlich auch aufhören mußte. Allerdings empfing ich schon damals in unseren Heimabenden wertvolle Anregungen, z.B. sozialer Art. Auch als ich später kurze Zeit Fähnleinsführer war, betrachtete ich es noch als meine Hauptaufgabe, über einzelne Fragen des katholischen, sozialen, staatlichen usw. Lebens, die für einen Jungen Interesse haben konnten, zu sprechen, ohne jedoch die Jugendbewegung als typische Zeiterscheinung, als die Reaktion auf die Überzivilisation und die Entseelung der Menschen herauszustellen. Die eigentliche Aufgabe der Jugendbewegung, aus der historischen Entwicklung heraus - man braucht nur an den augenfälligen Gegensatz zwischen ihr und dem 19. Jahrhundert zu denken -, wurde mir erst später klar. Was die Jugendbewegung will - Wahrheit, Einfachheit, den Menschen -, ist zum großen Teil bekannt. Ich brauche es hier also nicht näher zu erörtern.

Natürlich bedeutet die Jugendbewegung, verstanden als geistige Bewegung, ein Programm, dessen Auswirkungen weit über das Schülerleben hinaus reichen, ja erst nach der Schule beginnen.

Ich habe immer gerne und viel gelesen. Leider war in den letzten Jahren die Zeit stark beschnitten, sodaß ich nur selten einen größeren Roman, etwa von Herwig, Wassermann oder Galsworthy mit Genuß lesen konnte. Am stärksten hat mich in den zwei letzten Jahren vielleicht Hermann Hesse beeindruckt. Bei ihm sah ich zum erstenmal den Kampf der Eigenpersönlichkeit gegen ihre Umwelt - im "Demian" siegt das Individuum, in "Unterm Rad" zerbricht es am Leben - dichterisch gestaltet, wenn ich ihm auch nicht in allen seinen Konsequenzen zu folgen vermag. Gerade dieser Individualismus, auf den ich gleich noch einmal zurückkommen werde, hat auf mich starken Eindruck gemacht. Demgegenüber bedeutet etwa Thomas Mann für mich lediglich Unterhaltung. Gepackt hat mich Edwin Erich Dwingers Buch "Zwischen Weiß und Rot". Sehr gut gefällt mit auch die zarte Lyrik von Schotte und Zerkaulen.

Wenn man heute in den Zeitschriften - ich erwähne besonders "Schönere Zukunft", "Tat" und "Stimmen der Zeit" - hineinsieht, so empfindet man als eines der Hauptprobleme den Gegensatz zwischen Individualismus - einer seiner dichterischen Gestalter ist Hesse - und organisch aufgebautem Kollektivismus - einer seiner Vorkämpfer war der spätere Langbehn. Der Dichter Hesse und der Universalgelehrte und Künstler Langbehn - ich greife willkürlich diese beiden heraus, weil ich sie gerade kenne. Sie verkörpern in sich zwei Welten: Hesse, der dichterische Exponent der heute herrschenden, auf der Aufklärung sich gründenden, liberalen Weltanschauung, Langbehn, die große Reaktion auf den Liberalismus und auf seine Schwächen, in seinen Gedanken deutlich sichtbar wieder auf das Mittelalter zurückgreifend. Es ist der große Gegensatz zwischen, wie Langbehn es nennt, dem Katölon[?]-Geist und dem analysierenden Geist.

Durch die ganzen Geschichte läßt sich dieser Gegensatz verfolgen, angefangen von der Antike, in der vielleicht wenigstens in der Blütezeit des griechischen Volkes, eine kurze Zeit des Ausgleichs gefunden wurde, über das Mittelalter hinüber, das ganz im Katölon[?]-Geiste lebte, bis dann in der Aufklärung die vielleicht größte aller geistigen Umwälzungen erfolgte, die statt vom Ganzen vom Teil ausging und deren Folgerungen dann Individualismus, Staats- und Wirtschaftsliberalismus, freizeitlicher Protestantismus und Modernismus wurden, die alle im 19. Jahrhundert ihre konsequenteste Durchführung erhielten. Heute scheint der große Gegenstoß einzusetzen. Man diskutiert, vorläufig allerdings noch rein theoretisch, wieder den Ständestaat. In der Philosophie gilt der Naturalismus, der ja durch die positivistische Grundhaltung des Experimentes am konsequentesten den Teil über das Ganze setzte, allmählich für überwunden, und man erinnert sich wieder mittelalterlicher Mystik. Die Kirche betont mit aller Schärfe den Autoritätsgedanken. Die Jugendbewegung forderte wieder den sich dem Ganzen einordnenden Menschen. Die Wirtschaft legt sich freiwillig Fesseln auf. Faschismus und Bolschewismus rüsten sich, das Erbe des Liberalismus anzutreten: Weil ich in diesen Gegensätzen eines der grundlegenden, vielleicht sogar das grundlegende Problem unserer Zeit erblicke, möchte ich am liebsten über die Geistesgeschichte der Aufklärungszeit geprüft werden, da sie die beiden genannten Welten trennt, und da auf ihrem Gedankengut vorläufig wenigstens noch unsere ganze Zeit sich aufbaut.

Seit jeher hatte ich mich für Technik interessiert. Ich bastelte früher viel und beschäftigte mich später noch mit rein konstruktiven Sachen. Früher sah ich die Technik immer als meinen selbstverständlichen Beruf an. Heute schreckt mich manchmal ihre Seelenlosigkeit und Kälte ab. Menschlich befriedigt wird man sicher viel eher in der Medizin, die auch für mich in Frage kommt. Mehr über meine Berufswahl zu sagen ist zwecklos, da ich mich noch nicht entschieden habe.

Ich bitte, auf dem Reifezeugnis mein Religionsbekenntnis zu vermerken.