DKG (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1932

1.) Vom Brief und vom Briefschreiben

2.) Mein Verhältnis zum Roman und zum lyrischen Gedicht

3.) Bericht über eine öffentliche Veranstaltung (Versammlung, Konzert, Schauspiel, Vereinsfeier oder dergl.)

4.) Vergessen und Vergeßlichkeit (Erlebnis, Charakteristik oder Abhandlung)


Beurteilung

Oberprimaner S., Friedrich

S. ist einer der ältesten seiner Klasse. Seine Begabung liegt etwas unter dem Mittelmass. In der Mathematik versagte er, während es ihm in den andern Fächern infolge seines bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gehenden Fleisses gelang, zu genügenden, in Religion und Geschichte zu besseren Ergebnissen zu kommen. Er unterstützte Rünz in seiner Tätigkeit im V.D.A. und beteiligte sich an einer geschichtlichen, einer kunstgeschichtlichen, einer philosophischen und einer biologischen Arbeitsgemeinschaft. Seine mündliche Ausdrucksfähigkeit ist besser als seine schriftliche. In der Diskussion ist er munter und selbständig und in der Vertretung seiner Überzeugung mutig und energisch. Bei seiner Ausdauer und seinem ernsten Streben wird er im Leben seinen Mann stehen. Die Klasse wählte ihn seit UII zu ihrem Sprecher.

Lebenslauf

Hierdurch bitte ich um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1933.

Geboren wurde ich als Sohn des Reichsbahnobersekretärs Franz S. und Frau Anna geb. P. am 17.III.1912. Meine früheste Jugend verlief recht froh und heiter. Schon von Kind an hatte ich den Wunsch, später einmal Priester zu werden. Meine größte Freude war es, „Kaplan zu spielen". Vor meinen Spielsachen, dem Bär, den Hänsel- und Gretelfiguren u.s.w. las ich am Bücherschrank, dem „Altar", die hl. Messe, die allerdings von der kirchlichen Liturgie erheblich abwich. Vor meinen Spielkameraden hielt ich, auf einem Stuhle, der „Kanzel" stehend, die Predigt. Noch in den ersten Jahren der Schulzeit war es meine Lust zu predigen. Als Thema wählte ich dann ein Kapitel aus der Bibel, das gerade in der Schule durchgenommen wurde.

Das Lernen in der Volksschule fiel mir sehr leicht. Mein Lieblingsfach war Religion, was bis heute noch so geblieben ist. Nur das Rechnen lag mir nicht. Wenn darum auch heute Mathematik meine schwächste Seite ist, so scheint das in der Linie zu liegen, die damals begann.

Nachdem ich die Grundschule durchgemacht hatte, kam ich auf die Sexta des Dreikönigsgymnasiums. Die ersten Jahre boten mir keine großen Schwierigkeiten, aber später in den mittleren Klassen wollte es nicht mehr so recht. Meine Lehrer glaubten wohl, es läge in dem Mangel an Begabung, nach meiner heutigen Ansicht lag es aber in meinem Unlustgefühl. Ich hatte zu nichts weniger Lust und Liebe, als zu meinen Schulpflichten. Meine häuslichen Arbeiten pünktlich und ordentlich auszuführen, konnte ich nicht fertigbringen. So beruhen meine lateinischen und griechischen Grundlagen auf schwachem Boden, was leider heute noch nachwirkt. Anstatt meine Hausaufgaben zu erledigen, arbeitete ich im Garten. Den ganzen Nachmittag konnte ich dort zubringen. In dieser Zeit trat auch mein Wunsch, Priester zu werden, etwas zurück. Manchmal glaubte ich sogar, daß er ganz aus mir gewichen sei. Es war mir oft peinlich, danach gefragt zu werden, bis sich dieser Wunsch später plötzlich wieder einstellte, um dann ganz in mir festzuwurzeln. Dieses Schwächerwerden meiner Liebe zum Priesterberufe und meinen schlechten Leistungen in der Schule riefen in mir den Entschluß wach, einen praktischen Beruf zu ergreifen. Ich wollte Kaufmann werden. Es gelang mir, in einer großen Radiofirma unterzukommen. Der Lehrvertrag war schon unterzeichnet, am anderen Tage sollte ich als Lehrling eintreten. Ich war froh, endlich der lästigen Schule Lebewohl sagen zu können. Aber auf einmal befiel mich eine furchtbare Unruhe, das Glücksgefühl war plötzlich in alle Winde zerstoben. Schließlich wußte ich keinen Rat mehr. Nur eines wollte ich nicht: morgen als „Stift" ins Geschäft eintreten. Und so ging ich am folgenden Tage wieder zur Schule. Heute bin ich froh, daß ich so gehandelt habe.

Meine Leistungen in der Klasse wurden vorläufig noch nicht besser, aber ich war nicht mehr unglücklich über meine Lage. Ganz allmählich ging es bergauf. In Obertertia geschah etwas bisher noch nicht Dagewesenes: in Geschichte erhielt ich „Sehr gut", in einen Fache, das mir bis dahin ziemlich fern lag, in dem ich zuweilen das Prädikat „Mangelhaft" mit nach Hause nahm. Ob ich das „Sehr gut" verdient habe, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls gab es mir einen Ansporn zum Weiterarbeiten. So behielt ich dieses Prädikat in den nächsten Jahren, und auch heute noch gehört Geschichte zu meinen Lieblingsfächern. Der Geschichtsunterricht gab mir häufig Gelegenheit, mich im freien Reden zu üben. In den letzten drei Jahren habe ich mich häufig zu einem Vortrag gemeldet, es war mein Bestreben, immer etwas ganz Besonderes zu leisten, und durch das Üben im freien Vortrag gewann ich allmählich eine besondere Vorliebe dafür.

In der griechischen und lateinischen Lektüre haben mir die Reden des Demosthenes, des Lysias, die Apologie des Sokrates und die Reden Ciceros am besten gefallen. Der Unterricht in der Schule und meine Freude an der Redekunst haben mich veranlaßt, einige weitere Reden der antiken Meister in der Übersetzung zu lesen. An freien Nachmittagen studiere ich zuweilen aus einem alten Lehrbuch der Beredsamkeit von Nikolaus Schleniger. Ich übersetze die rednerischen Musterbeispiele der klassischen Literatur, deren eine stattliche Anzahl in diesem Werke enthalten ist.

Was meine häusliche Lektüre angeht, so bin ich ein Vielleser geworden. Ich las wenig, dafür aber langsam und gründlich. Früher zogen mich Romane in der Zeitung besonders an. Davon bin ich jetzt ganz abgekommen. Heute ist mein Lieblingsschriftsteller Paul Keller, der mir gefällt wegen seiner Schilderung der Menschen und ihrer Entwicklung.

Ich sagte zu Anfang schon, daß in der Volksschule das Rechnen meine Schwäche war und daß es bis heute so geblieben ist. Dabei habe ich keine Abneigung gegen Mathematik. Dem Unterricht folge ich sogar sehr gerne, aber nur soweit ich passiv beteiligt bin. Selbständig Aufgaben zu lösen, sei es an der Tafel oder zu Hause, fällt mir sehr schwer.

Nun stehe ich wieder vor einem Abschnitt meines Lebens: vor der Reifeprüfung, die mir den Weg bahnen soll zur Universität, zum Studium der katholischen Theologie. Ich bitte, mein Bekenntnis auf dem Reifezeugnis zu vermerken. Besonders geprüft werden möchte ich in Religion.

Abituraufsatz

Deutsche Prüfungsarbeit.

Was erwarte ich von meinem zukünftigen Berufe?

Gliederung.

A. Nicht die Theologie, sondern der Priesterberuf soll mein Lebensberuf sein.

B. Was erwarte ich von diesem Berufe, und wie stelle ich ihn mir vor?

1. Was muß jeder Priester sein?

a.) Ein Diener Gottes und der Menschen.

b.) Ein Mann, der nicht so sehr auf Ansehen und Würde, sondern auf Pflichterfüllung sieht.

2. Wie will ich besonders werden?

a.) Durch das Wort will ich auf die Menschen wirken.

b.) Durch die Liebe will ich die Menschen zu Christus führen.

C. Ein Vorbild für mich.

A. Vor einiger Zeit besuchte ich einen charakterologischen Vortrag des Bonner Universitätsprofessors Verwegen[=?]. Von dem Äußeren eines Menschen wollte Verwegen auf dessen Charakteranlage schließen. Als ich ihm gegenüberstand, durchdrang er mich mit scharfen Blicken bis ins innerste Mark hinein. Dann sagte er mit einigen gelehrten Worten etwas, das ich nicht so ganz verstand, ich fühlte aber doch, was er meinte. Ich sei kein Mensch, der sich in der Hauptsache mit rein geistigen Dingen beschäftige, zum großen Teil sei ich auf das praktische gerichtet. Im ersten Augenblick war ich etwas erstaunt und entrüstet, und so entgegnete ich: „Ich will doch Theologie studieren." „Ja", antwortete er, „man muß unterscheiden zwischen Theologe und Priester. Es wäre von größtem Nutzen, wenn unsere Zeit viele und gute Priester hätte."

Ich glaube, der Professor hatte richtig gesehen. Es liegt mir tatsächlich nicht, mich allzusehr mit theoretischen Dingen zu beschäftigen, ich habe auch gar keine Absicht, ein Albertus Magnus oder ein Thomas von Aquin zu werden. Aber das andere, den Priesterberuf, den habe ich mir ausgewählt, und darin möchte ich eine Größe werden.

B. Wie stelle ich mir nun den Priester vor?

1/a.) Zunächst ist der Priester ein Diener des Heiligtums. Aus tausend Menschen ist er auserwählt, mit dem Heiligtum, mit Gott selber in allernächste Beziehung zu treten. Er ist nicht um seiner selbst willen da, als Diener, ja als der erste Diener des Gottesreiches soll er seine Mitmenschen jederzeit zur Verfügung stehen. Er muß sich die größte Mühe geben, das Gottesreich auf Erden zu verwirklichen. b.) Ich glaube, der Priester darf sich nicht in erster Linie als den hochwürdigen Herrn betrachten, dem man Ehrfurcht schuldet. Das mögen die anderen tun, das ist sogar die Pflicht der anderen Menschen. Der Priester selber aber soll darauf sehen, in allem seinen Dienst richtig zu erfüllen. Dazu gehört, daß er vorbildlich lebt, so daß seine Worte in seinem Leben die Bestätigung finden. Dieses Ideal möchte ich erreichen.

2. a.) Ich habe besondere Freude an deer Redekunst und möchte später ein guter, tüchtiger Redner werden. Dazu wird mir mein Beruf sicherlich reichlich Gelegenheit geben. Dann möchte ich den Menschen eindringlich die Wahrheit sagen, kein Blatt vor den Mund nehmen, jedem ernst ins Gewissen reden und auf die Krebsschäden unserer Zeit hinweisen, „sei es gelegen oder ungelegen". Doch Gott wolle verhüten, daß man mir nachsage: „Richtet euch nach seinen Worten, aber beachtet seine Werke nicht."

b.) Das Christentum offenbart sich in einzigartiger Weise in der Liebe, in der Liebe zu den Menschen, vor allem zu den Armen. Leider haben die letzten Jahrzehnte und unsere Zeit dieses Gebot der Liebe allzusehr mißachtet. A. doppelt. „die"Unsere gegenwärtige Menschheit hat es mit ihrer Ichsucht so weit gebracht, daß man den Eindruck gewinnt, wir sind in zwei große Lager gespalten, in ein kleines Lager von Besitzenden, von Überreichen und in ein unübersehbares Lager von arm gewordenen und unter der Not leidenden Menschen. Wenn dieser unerträgliche Zustand aufhören soll, dann muß das Christentum seine vornehmste Aufgabe wieder erkennen, und der Vorrang in der Liebe gebührt dem Priestertum. So sehe ich es. Es täte mir furchtbar leid, wenn ich später in ein kleines Dorf verschlagen würde, um dort ein behagliches Leben zu führen. Nein, in der Großstadt möchte ich wirken. Dort möchte ich die Wohnungen der Proletarier aufsuchen und all die verbitterten Menschen durch Liebe gewinnen und zu Christus zurückführen. Nur die Liebe vermag nach meiner Überzeugung unser Volk vor der bolschewistischen Gefahr zu retten.

C. Es war in einer kommunistischen Versammlung vor einigen Wochen. Man schimpfte wie gewöhnlich über die Regierung und alle möglichen Dinge. Besonders schlecht erging es den „Pfaffen". Aber auf einmal sagte der Vorsitzende: „Wir wissen ja alle, daß die Pfaffen nichts taugen, aber dieses Urteil dürfen wir nicht verallgemeinern." Und er erzählte von einem Geistlichen, der nunmehr ein Jahr tot sei. Er sei bekannt gewesen als der „Kaplan mit einem Rock". Der habe sich so für ein besseres Dasein der Armen eingesetzt, daß jeder Kommunist mit Achtung und Liebe auf ihn ?herabschauen müsse. - Zum Schluß bat der Vorsitzende der Versammlung seine Genossen, sich von den Plätzen zu erheben, um dieses Mannes in Dankbarkeit zu gedenken.

Ich bilde mir nicht ein, ein so idealer Mensch zu sein wie jener Priester, aber ich will ihm nachstreben und hoffe, dieses Ziel zu erreichen mit Hilfe dessen, der gesagt hat: „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe. Z. "_

Inhalt: Eine gut aufgebaute, warmherzig geschriebene Arbeit, die zwar die gestellte Frage ein wenig umbiegt, aber doch als vollwertige Beantwortung gelten kann.

Form: stilistisch gewandt, formal fast einwandfrei.

Gut.

Klassenleistungen: ggd.