DKG (Köln)

Gesamtbeurteilung des Sonderlehrgangs E

Lehrgang E

Alle Teilnehmer dieses an Zahl schwachen Lehrganges sind nach der langen, z.T. 5 jährigen Unterbrechung ihrer Schulzeit von dem ernsten Willen beseelt, ihre volle Arbeitskraft der Schule zu widmen, um ihre selbst unangenehm empfundenen Bildungslücken zu schliessen und das erstrebte Ziel des Zeugnisses der Reife zu erreichen. 2 Lehrgangsteilnehmer (N., R.) sind Ostflüchtlinge, die, ganz auf sich gestellt, sich erst in 2 jähriger Tätigkeit durch Handarbeit die Geldmittel für den Schulbesuch erworben haben. Alle sind mit Kriegseinsatz und Gefangenschaft durch eine harte Schule gegangen, die ihnen andererseits aber auch menschliche Reife und Ernst der Lebensauffassung einbrachte.

Hervorstehende Begabungen sind nicht in dem Lehrgang vertreten; vielmehr haben die Teilnehmer durch Fleiss und beharrliches Streben ein befriedigendes Gesamtergebnis erzielt. Alle Lehrgangsteilnehmer wollen ein akademisches Studium ergreifen.


Beurteilung

Schüler S., Josef

besitzt ein frisches, offenes und angenehmes Wesen. Seine Arbeit im Lehrgang tut er nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt der möglichst schnellen Erwerbung des Reifezeugnisses als unter dem der Ergänzung seiner lückenhaften Kenntnisse und der Ausbildung seiner Persönlichkeit. Durch sein beharrliches Streben, das keiner Schwierigkeit aus dem Wege geht, hat er befriedigende Ergebnisse in allen Fächern erzielt. Er gehört zu den Menschen, die zwar nur durchschnittlich begabt sind, aber durch sorgsame Arbeit und Pflichttreue schöne Resultate erzielen, und die im Leben durch Zuverlässigkeit und Charakterfestigkeit sehr gut ihren Mann stehen. Den Naturwissenschaften gilt seine besondere Liebe. Das Studium der Pharmazie entspricht seiner Veranlagung und Neigung und dürfte ihm keine grossen Schwierigkeiten bereiten.

Lebenslauf

Hiermit bitte ich um Zulassung zur Sonderreifeprüfung im Ostertermin 1949.

Als dritter von vier Söhnen des Postassistenten Josef S. und seiner Ehefrau Sophie, geb. S., wurde ich am 5. Januar 1926 in Köln-Dellbrück geboren. Meine Jugend verbrachte ich im elterlichen Hause. Gleich meine Geschwistern genoss ich in schlichten Verhältnissen eine strenge, aber liebevolle Erziehung. Meine Eltern sahen eine ihrer wesentlichen Aufgaben darin, uns auf dem Boden des katholischen Glaubens zu aufrechten, verlässlichen Menschen heranzubilden. Und gerade während der Jahre meiner Gefangenschaft habe ich einsehen gelernt, wie sehr ich dafür meinen Eltern dankbar sein muss. Mein Vater weckte schon früh in mir den offenen Blick für die Schönheiten der Natur und die Liebe zu Pflanzen und Tieren. Diese Tatsache war später mitentscheidend für meine Berufswahl.

Trotz grosser finanzieller Schwierigkeiten ermöglichten mir meine Eltern nach 4-jährigem Volksschulbesuch in Köln-Dellbrück den Besuch des Staatlich-Humanistischen Gymnasiums in Köln-Mülheim. Mit meiner Versetzung nach Obertertia im Jahre 1941 traten im erhöhten Masse die naturwissenschaftlichen Fächer in den Lehrplan ein. Ihnen, und hier gerade der Chemie, wandte ich mein besonderes Interesse zu.

Diese Jahre meiner Schülerzeit waren aber nicht ohne ernste Sorgen. Mein Vater hatte sich nämlich während des Weltkrieges 1914/18 eine schwere Hirnverletzung zugezogen, die sehr ernste Folgen hatte. Es traten nämlich immer häufiger Anfälle auf, die es 1939 notwendig machten, dass er als 100 % Hirnverletzter in den Ruhestand trat. So lastete täglich die Besorgnis um die Gesundheit des Vaters auf uns Kindern und in besonderer Weise auf meiner Mutter. Natürlich sanken nun durch die Pensionierung meines Vaters die an sich schon sehr beschränkten Einkünfte noch mehr.

Bis zu meiner Einberufung als Luftwaffenhelfer verbrachte ich manche Stunde in einem kleinen Kreis der früheren katholischen Jugend, der trotz der Verbote in der Stille fortbestand. Es war gerade die Gefahr der Entdeckung und das Treiben vieler Gleichaltriger draussen, das uns nur fester zusammenschloss und uns mahnte, an unseren Idealen festzuhalten. Hier konnten wir unter der Leitung eines erfahrenen Paters manche ernste Frage, die uns auf dem Herzen brannte, besprechen. Aber auch Stunden der Entspannung und des jugendlichen Ausgelassenseins verbanden uns dort. Die beginnende Festigung meines Wesens danke ich zu einem guten Teil dieser Gemeinschaft.

Vom Februar 1943 bis Februar 1944 wurde ich als Luftwaffenhelfer zum Wehrhilfsdienst herangezogen. Der Schulbesuch konnte aber fast ohne Ausfall durchgeführt werden, da meine Klasse bei einer Scheinwerferbatterie im Raum von Köln eingesetzt wurde. Vom Februar bis zum April 1944 leistete ich meine Arbeitsdienstpflicht ab, nahm aber sofort anschliessend wieder am Schulunterricht teil.

Für Juli 1944 erhielt ich meinen Einberufungsbefehl zur Luftwaffe. Ich wurde darauf am 24. Juni nach Klasse 8 versetzt. Schon im August 1944 geriet ich im Alter von 18 Jahren in Südfrankreich in amerikanische Gefangenschaft, wurde aber kurz darauf an den Engländer übergeben und in ein Kriegsgefangenenlager nach Ägypten gebracht.

Es ist im wesentlichen das Verdienst meiner Eltern, dass ich trotz meiner jungen Jahre den fremden, z.T. antiregligiösen und moralisch oft wenig guten Einflüssen in der Gefangenschaft nicht erlag, sondern dass meine Anschauungen in der Auseinandersetzung und Prüfung nur noch erstarkten. Mein Augenmerk war während der ganzen Dauer der Gefangenschaft immer darauf gerichtet, in den engen, von der Aussenwelt gänzlich abgeschnittenen Wüstenlagern und bei dem ungünstigen Klima nicht geistig zu verkümmern. Denn die widrigen Verhältnisse griffen mich körperlich und seelisch sehr an und drohten mich willenlos zu machen. Ich fühlte aber, dass ich diesen Einflüssen nicht erliegen dürfe, und bemühte mich um eine geistige Betätigung. Bücher waren zu der Zeit nicht vorhanden. Ich lernte aber einen älteren Juristen kennen, mit dem ich mich zunächst über Wirtschaftsfragen unterhielt. Bald fanden wir uns auch zu Gesprächen, die tiefer in unser Inneres hineinreichten, und die mir einen Einblick in einen älteren, erfahreneren Menschen gewährten, mich aber auch zum selbständigen Denken anregten. Denn in manchen, oft wesentlichen Punkten gingen unsere Meinungen auseinander. Das Alter des Herrn bewahrte mich aber vor vorschnellen Urteilen und hielt mich so zu ernsthaften Überlegungen an.

Allmählich erstarkte nun bei mir der Wunsch, mich nach meiner Heimkehr dem pharmazeutischen Studium zu widmen. Denn hier in der Wüste kam mir so recht zum Bewußtsein, wie sehr ich doch an Pflanze und Tier schon von Jugend an hing, und es schien mir eine besondere Aufgabe, aus der Kenntnis der Natur heraus helfen zu können, die Krankheiten des Menschen zu bekämpfen. Ich musste allerdings auch gerade in der Gefangenschaft einsehen, dass mehr als die physischen Krankheiten, die Verwirrung der Seelen die menschliche Gesellschaft bedroht. Weil ich ausserdem eine besondere Neigung zu den Naturwissenschaften empfinde, halte ich diese Berufswahl auch für meinem Wesen entsprechend. Bei der Beschäftigung mit den naturwissenschaftlichen Fächer und auch draussen in der Natur stehe ich immer wieder mit Erstaunen vor dem Wunder der Harmonie des Lebens, und das ist es, was mein Interesse so sehr auf dieses Gebiet zieht.

Nach Kriegsende wurde wir jugendlichen Kriegsgefangenen in einem gesonderten Lager zusammengezogen, und ein kleiner Schulbetrieb unter den gegebenen Verhältnissen aufgezogen, an dem ich mich rege beteiligte. Nach Abschluss eines Lehrgangs für Arbeitsgemeinschaftsleiter, wurde ich 1947 in eine Arbeitskompanie abgestellt. Hier fand ich ein ausgedehntes Arbeitsfeld, in dem ich weitgehend selbständig arbeiten konnte. Die Betätigung machte um so mehr Freude, als ich durch sie Gelegenheit fand, auch meinen Mitgefangenen im bescheidenen Rahmen das drückende Leben ein wenig zu erleichtern.

Nach fast 4-jähriger Kriegsgefangenschaft wurde ich am 23. April 1948 entlassen. Da der Reifevermerk, den ich am 30. Juni 1944 erhielt, nicht zum Studium berechtigt, trat ich wenige Tage nach meiner Rückkehr aus Ägypten in den humanistischen Sonderlehrgang am Dreikönigsgymnasium ein, um das Zeugnis der Reife zu erwerben.

In das Zeugnis der Reife bitte ich, einen Vermerk über mein Religionsbekenntnis aufzunehmen.