DKG (Köln)

Gesamtbeurteilung der Oberprima (Realgymnasium) 1932

Die realgymnasiale Oberprima

weist mit 2 oder 3 Ausnahmen nur einseitig (künstlerisch oder praktisch) oder gering begabte Schüler auf. Auch der (durch Veränderungen im Lehrerkollegium bedingte) häufige Lehrerwechsel während der Mittelstufenjahre hat auf die Leistungsfähigkeit der ganzen Klasse, besonders in den Sprachen, sehr nachteilig eingewirkt. Aus diesen Gründen erhob sich das geistige Leben der Klasse kaum bis zum Mittelmass; ja oft litt es geradezu unter einer schwer zu bekämpfenden Unlust und Stumpfheit. Noch im Laufe der Oberprima wurde durch das Ausscheiden des bisherigen Klassenleiters (Studienrat Bosbach) ein Lehrerwechsel in Deutsch, Latein und Geschichte nötig. Die Leistungen in diesen Fächern konnten darum in letzter Zeit nur mit einer gewissen Zurückhaltung beurteilt werden.

 


Beurteilung

Oberprimaner O., Josef

ist offen und ehrlich, stets freundlich und bescheiden, eine durchaus sympathische Erscheinung. Seine Anlagen sind mehr als ausreichend, er besitzt Klarheit im Denken und im Ausdruck. Seine Mitarbeit in der Klasse war meistens rege, wenn auch nicht gleichmässig in allen Fächern. Besonderes Interesse zeigte er für ethische und soziale Probleme; Fragen der Tagespolitik konnten ihn so in Anspruch nehmen, dass dadurch seine Arbeit für die Unterrichtsfächer litt. Am wenigsten befriedigten seine Leistungen in den Sprachen, während sie in mehreren Fächern gut waren.

Lebenslauf

Hierdurch bitte ich das Dreikönigsgymnasium um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1932.

Am 19. Okt. 1913 wurde ich zu Horrem (Bez. Köln) geboren. Ostern 1919 trat ich in die dortige Volksschule ein. Im Juli 1922 zogen meine Eltern von Horrem nach Köln. In Köln besuchte ich von diesem Zeitpunkte ab bis Ostern 1923 die Volksschule St. Kunibert. Der Unterricht an der dortigen Anstalt war unter dem Durchschnitt, so daß ich mit vielen anderen Klassenkameraden bei einem Privatlehrer Unterricht nehmen musste, um die Aufnahmeprüfung am Dreikönigsgymnasium zu bestehen. Ostern 1923 trat ich in die Sexta des Dreikönigsgymnasium ein , wo ich alle neun Jahre meiner höheren Schulzeit verblieb.

Auf den unteren Klassen hatte ich die Absicht, Ingenieur zu werden. Ausgesprochene Neigung zum einen oder anderen Fache der Schule hatte ich nicht. Dafür sucht ich aber außerhalb der Schule einen mir bekannten Ingenieur auf und bastelte unter dessen Anleitung an Spulen, Detektoren und Röhrenapparaten herum, baute Lautsprecher und Transformatoren.

Auf den mittleren Klassen verlor ich diesen Hang zur Technik ganz. Jetzt wollte ich Arzt werden. In Untersekunda verfolgte ich mit Interesse den biologischen Unterricht. Zu Hause las ich ärztliche Bücher, soweit sie gemeinverständlich waren.

Aber sobald ich in Obersekunda war, schlug meine Berufsabsicht schon wieder um. Ich folgte dem Religionsunterricht mit Eifer, da von jetzt ab das Weltanschauliche in den Vordergrund trat, wie Gottesbeweise usw. Ich hatte die Absicht, Theologe, ja sogar Pater zu werden. Am freiwilligen hebräischen Unterricht nahm ich teil. Ausser der Schule beteiligte ich mich an der Arbeit des kath. Jünglingsvereins. Unser Präses gab mir religionsphilosophische und -spekulative Bücher zum Lesen mit. Doch je mehr ich mich in die Sache vertiefte, desto mehr wurde mir zu meinem Entsetzen klar, daß ich nicht allem zustimmen konnte. So sehr ich mich gegen meine eigene Meinung wehrte und mir die überlieferte katholische Weltanschauung einzuimpfen suchte, so gelang mir dies doch nicht. Ich konnte mich selbst nicht täuschen: ich war ein Zweifler geworden. Und so habe ich mir bis heute noch keine endgültige Klarheit über alle religiösen Dinge verschaffen können. Unendlich viele Fragen stehen noch offen. Aber eins trat mir nun sehr bald ins Bewußtsein: Priester werden konnte ich nicht.

Als wir im lateinischen Unterricht Tacitus' Germania lasen, gewann ich Freude an der lateinischen Sprache. Die absolute gedankliche Folgerichtigkeit, die Klarheit im Aufbau des Satzes, die Genauigkeit jedes einzelnen Wortes sagten mir zu; ich weiss nicht, ob infolge des erwachten Verständnisses für derartiges oder wegen des uns Deutschen naheliegenden Stoffes. Von dieser Zeit ab war ich voller Begeisterung für den lateinischen Unterricht.

Neben dem Lateinischen hatte ich in den oberen Klassen Vorliebe für Chemie, Geschichte und noch immer Religion.

In der Chemie fand ich jene Logik, den inneren Zusammenhang, der mir an der lateinischen Sprache so sehr behagte.

Die Geschichte erschien mir insofern begehrenswert und fesselnd, als das Verständnis für die geistigen und wirtschaftlichen Strömungen, die ihren Lauf beeinflußten, uns für die Gegenwart viel Nützliches, ja geradezu Unentbehrliches, gibt. Die Geschichte wurde mir nur deshalb wertvoll, weil sie uns Anweisungen gibt. Ich sah sie immer nur von zwei Gesichtspunkten aus:

1) Wie erklärt es sich, daß unsere politischen und wirtschaftlichen Zustände so und nicht anders sind?

2) Was lehrt uns die Geschichte für die Gegenwart, wie beeinflußt sie unsere Handlungsweise in Politik und Wirtschaft?

Ein Staatsmann wie Bismarck, der ein Volk innenpolitisch und eine ganze Welt außenpolitisch beherrschte, gewann mir Hochachtung ab.

Religion blieb eins meiner Lieblingsfächer, weil dort mein Hang zum Grübeln, zum Umherschweifen durch alle weltanschaulichen Fragen, in etwa in feste Bahnen gelenkt wurde, und weil der Religionsunterricht Gelegenheit bot, mit anderen über dieses und jenes zu streiten, so daß ich aus der Enge meiner selbst herauskam und auch fremde Meinungen in mir verarbeiten und mich mit ihnen abfinden musste. Ich näherte mich in den beiden letzten Jahren jedoch immer mehr der Anschauung Nietzsches. Sein Herrenmensch, der Übermensch, sagte mir zu, der nur eins kennt: was man als richtig erkannt hat, muss man in die Tat umsetzen, trotz aller inneren und äußeren Widerstände.

Zum deutschen Unterricht hatte ich von jeher eine große Liebe. Werden doch hier alle Gebiete, soweit sie das Allgemeinmenschliche betreffen, vereinigt. Dichter fesselten mich dann besonders, wenn sie neben dem künstlerischen Genuss noch eine Idee, sittliche Werte, gaben oder eine Meinung vermitteln wollten. An Bildungs- und Entwicklungsromanen las ich: Fr. Herwig: „Willi siegt", W.v. Molo: „Wie sie das Leben zwangen", E. Zola: „Das Glück der Familie Rougon" und L. Frank: „Der Streber". An sozialen (Tendenz-)Romanen las ich: Fr. Herwig: „St. Sebastian vom Wedding" und Maxim Gorki: „Die Mutter". Historische Romane: Sienkiewicz: „Quo vadis?" und L. Wallace: „Ben Hur". Die Romantik sagte mir sehr zu: E.T.A. Hoffmann: „Die Elixiere des Teufels" und „Der Magistrat", Eichendorff: „Aus dem Leben eines Taugenichts" und „Die Glücksritter", Tieck: „Des Lebens Überfluss", Mörike: „Mozart auf der Reise nach Prag". An sonstigem habe ich gelesen: „Der Rabbi von Bacharach", Droste-Hülshoff: „Die Judenbuche", Grimmelshausen: „Simplicius Simplicissimus", Mark Twain: „Tom Sawyer" und „Huck Finn", Kleist: „Michael Kohlhaas", Keller: „Der Schmied seines Glücks" und Rosegger: „Abelsberger Chronik".

Dasselbe, was ich am Lateinischen so liebte, dasselbe, was mir einen Schriftsteller oder eine Dichtung lieb und wert machte, die Freude an der Klarheit und Folgerichtigkeit der Gedanken, liess mich außerhalb der Schularbeit Gefallen an einer guten Rede finden. Ein guter Redner verschaffte mir einen höheren Genuss noch als ein guter Schriftsteller. Immer, wenn sich mir die Gelegenheit bot, lauschte ich den Worten eines Redners und fühlte mich vollauf glücklich und befriedigt, wenn seine Rede logisch und beweiskräftig aufgebaut war. Ich ging sogar soweit, den Inhalt der Rede mitzuschreiben, um diesen Genuss zu Hause beim Durchlesen immer wieder zu haben. So läßt es sich leicht erklären, daß sich meine Berufsabsichten nun dahin wandten, Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft zu studieren und im günstigen Falle Schriftsteller einer Zeitung zu werden. Dabei sind meine Absichten geblieben und haben sich noch immer mehr verstärkt.

In der schriftlichen Prüfung möchte ich als zweite Fremdsprache [Wort fehlt!] nehmen. Im Mündlichen möchte ich in der Bismarckschen und nachbismarckschen Geschichte geprüft werden.

Ich beabsichtige, nach bestandener Reifeprüfung Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre zu studieren.