DKG (Köln)

Gesamtbeurteilung der Oberprima (Realgymnasium) 1932

Die realgymnasiale Oberprima

weist mit 2 oder 3 Ausnahmen nur einseitig (künstlerisch oder praktisch) oder gering begabte Schüler auf. Auch der (durch Veränderungen im Lehrerkollegium bedingte) häufige Lehrerwechsel während der Mittelstufenjahre hat auf die Leistungsfähigkeit der ganzen Klasse, besonders in den Sprachen, sehr nachteilig eingewirkt. Aus diesen Gründen erhob sich das geistige Leben der Klasse kaum bis zum Mittelmass; ja oft litt es geradezu unter einer schwer zu bekämpfenden Unlust und Stumpfheit. Noch im Laufe der Oberprima wurde durch das Ausscheiden des bisherigen Klassenleiters (Studienrat Bosbach) ein Lehrerwechsel in Deutsch, Latein und Geschichte nötig. Die Leistungen in diesen Fächern konnten darum in letzter Zeit nur mit einer gewissen Zurückhaltung beurteilt werden.

 


Beurteilung

Oberprimaner R., Theodor.

Vom Drange nach Ungebundenheit und Abenteuern erfüllt, hat er schon einmal das Elternhaus verlassen und versucht, sich in Brüssel auf eigene Füsse zu stellen, ein anderes Mal eine grosse Faltbootfahrt bis zum Mittelländischen Meer unternommen. Vom Vater wieder auf die Schule gezwungen, bringt er allen Fächern nur ein oberflächliches Interesse entgegen. Da er nur unter Druck zur Arbeit kam, hat er trotz seiner ausreichenden Veranlagung wenig befriedigende Leistungen erzielt. Am schwächsten waren sie im Lateinischen, Englischen und in der Mathematik. Da seine Lebensideale so ganz anders geartet sind als die der Schule, hat er zeitweise einen wenig günstigen Einfluss auf die Klasse ausgeübt. Er zählt zu den besten Turnern der Klasse. Sein Betragen war gut.

Lebenslauf

Hierdurch bitte ich das staatliche Dreikönigsgymnasium um Zulassung zur Reifeprüfung im Ostertermin 1932.

Entwicklungsgang.

Ostern 1919 bezog ich die kath. Volksschule zu Köln-Klettenberg und legte 1923 die Aufnahmeprüfung zur Sexta an dem städtischen Realgymnasium zu Köln-Lindenthal ab, das ich als Unterprimaner Sommer 1930 verließ. Seit dem 2ten Tertial des Schuljahres 1930 bin ich Schüler des staatlichen Dreikönigsgymnasiums.

In den unteren Klassen brachte ich dem Zeichenunterricht besonderes Interesse entgegen, während ich mich später mehr dem Deutschen und der Erdkunde (Wirtschaftsgeographie) zuwandte. In letzter Zeit finde ich besonderes Gefallen an der Geschichte der letzten Jahrzehnte, hauptsächlich an den verschiedenen politischen Strömungen und an dem sozialen Problem.

Außerhalb der Schule beschäftigte ich mich mit Lektüre und Niederschriften irgendwelcher Gedanken, Eindrücke und Erlebnissen. Romane habe ich nur wenige gelesen, weil ich fand, daß sie meistens auf ein und dasselbe Ziel hinausliefen, und weil ihre Handlungen sich auf höchst seltsame und unwahrscheinliche Zufälle stützten. Solche Romane sind mir zu lebensfremd. Vielmehr beschäftigte ich mich mit Reiselektüre. Das brachte aber wieder die Gefahr mit sich, daß ich mich zu sehr darin vertiefte. Dadurch wurde ich einerseits von anderen Dingen abgelenkt, andererseits ergriff mich dann eine so starke Sehnsucht nach ferneren Ländern, besonders nach dem Süden, daß ich am liebsten sofort in die Welt hinaus gewandert wäre. Da das aber nicht möglich war, so wurde ich jedesmal nach einer solchen Lektüre von einer gewissen Gemütsdepression erfaßt. Besonders schlimm wurde dieser Zustand, wenn er gerade in einen geschäftlichen Mißerfolg meines Vaters fiel. In solchen Zeiten war mein Vater leicht erregbar, und so kam es häufig, meistens nur wegen Kleinigkeiten, zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen meinem Vater und mir. Ich sah dann oft keinen anderen Ausweg, als tagelang, ja sogar manchmal wochenlang nur zum Essen und Schlafen mich zu Hause aufzuhalten. Anfang Sommer 1930 wirkten diese Depressionen zusammen mit äußeren Umständen so stark auf mich ein, daß ich kurz entschlossen und unerwartet das Elternhaus verließ und ohne die nötigen Papiere nach Brüssel fuhr, wo ich eine Schreibmaschinenvertretung annahm, mit der ich, an den ersten Erfolgen gemessen, meinen Lebensunterhalt hätte verdienen können. Nach vier Wochen kam im Auftrage meines Vaters mein ältester Bruder nach dort, mit dem ich freiwillig zu einer Aussprache nach Köln zurückfuhr. In ähnlicher Verfassung, wie vor meiner Abreise, befand ich mich letzten Sommer. Doch gelang es mir, mich derart zu beherrschen, daß ich von einer zweiten Abreise Abstand nahm.

Soweit Mittel und Zeit ausreichten, benutzte ich meine Ferien zu Auslandsreisen, die ich meistens im Faltboot unternahm. Diese Reisen boten mir einen kleinen Ersatz für meinen ursprünglichen Plan, mit der Obersekundareife zur Handelsmarine zu gehen, was mir vom Elternhause nicht gestattet wurde. Eine meiner größten Faltbootfahrten führte mich durch Ost- und Südfrankreich, ließ mich die Riviera schauen, deren Küste ich bis nach Italien hinein entlang fuhr, um bald wieder einen Schweizer Wildfluß zu befahren und rheinabwärts die Heimat wieder zu erreichen. Über diese Reise hielt ich als Obersekundaner der Kölner Universität, in einem Verein und im Westdeutschen Rundfunk Vorträge und veröffentlichte einige Erlebnisse in einer Fachzeitung. Mit dem so verdienten Geld bereiste ich dann Holland, Belgien, England und Luxemburg. Meine starke Reiselust darf ich wohl mit der Erkenntnis begründen, daß man sich durch Reisen eine frühe Erfahrung, Gewandtheit und Selbständigkeit erwirkt, vor allem aber auch, daß man durch Reisen neue Eindrücke, Anregungen, Gedanken und Erlebnisse zugeführt wird und in der Schönheit der Natur seelische Befreiung findet.

Nach bestandener Reifeprüfung beabsichtige ich das Examen als Diplomkaufmann zu machen. Voraussichtlich werde ich einige Semester im Ausland studieren. Lieber würde ich mich Forschungsreisen widmen. Da mir hierzu aber nicht die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, hoffe ich durch eifriges Streben als Kaufmann mir die Mittel erwerben zu können, um später diesen meinen Neigungen nachgehen zu können.

Als Wahlfach erbitte ich mir Erdkunde (Wirtschaftsgeographie). Die schriftliche Arbeit möchte ich in Latein schreiben.