DKG (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1932

1.) Vom Brief und vom Briefschreiben

2.) Mein Verhältnis zum Roman und zum lyrischen Gedicht

3.) Bericht über eine öffentliche Veranstaltung (Versammlung, Konzert, Schauspiel, Vereinsfeier oder dergl.)

4.) Vergessen und Vergeßlichkeit (Erlebnis, Charakteristik oder Abhandlung)


Beurteilung

E., Fritz

Nach dem Todes des Vaters, der seinen geistig früh entwickelten und spielend die Schulaufgaben fassenden Sohn gern bewunderte, war der Junge viel sich selbst überlassen; dann aber hat er sich in einer nicht immer leichten inneren Entwicklung zu entschiedener Selbständigkeit im Denken und Fühlen emporgearbeitet. Den Anforderungen der Schule stets voll zu genügen, ist ihm bei seinen Anlagen nicht schwer gefallen. Er hat einsam viel gelesen, seinen Mitschülern blieb er ziemlich fremd.

Lebenslauf

Als ich im Jahre 1923 die Volksschule verließ, um auf dem Dreikönigsgymnasium in Köln dem humanistischen Bildungsgange anvertraut zu werden, war ich von dem Bewußtsein meiner guten Geistesanlagen sehr durchdrungen. Diese Überzeugung war mir von vielen Seiten, besonders aber von meinem Vater eingeredet, eingelobt worden. Das erste Schuljahr der Volksschule hatte er mich nicht besuchen lassen, weil ich die darin zu vermittelnden Kenntnisse schon vor meinem schulpflichtigen Alter mir erworben hatte. Mein Gedächtnis wurde gelobt, wurde bewundert. Meine Schiefertafel mit den kleinen Aufsätzchen, die man in den ersten Jahren der Volksschule schreibt, wanderte - mein Vater war selbst Volksschullehrer - aus der Hand einer Lehrperson in die einer andern - ich sah es; ich stand dabei, wenn ich gelobt wurde.

Die ersten Jahre des Gymnasiums waren nicht imstande, dieses Selbstbewußtsein eines Zwölfjährigen zu erschüttern. Mein Gedächtnis war intakt; Vokabeln, Regeln konnten mir nichts anhaben. Und dann kam das Griechische, das mir den ersten Stoß gab. Ich glaube nicht, daß es die allgemein anerkannten Schwierigkeiten der griechischen Sprache gegenüber der lateinischen waren, die mich in diesem Fach immer nur mit Mühe und Not ein "genügend" erreichen ließen. Ich bin heute der Ansicht, daß damals schon die Kraft meines Gedächtnisses gelitten hatte. Aber ich war an gute Leistungen von mir gewöhnt, und darum gab mir die Tatsache des "genügend" einen starken Stoß in meinem Selbstbewußtsein. Mein Gedächtnis hatte gelitten. Geschichtszahlen, Vokabeln, Regeln mußte ich "pauken". Das hieß arbeiten; und arbeiten war ich nicht gewöhnt, - das hatte früher alles so spielend gegangen. Der Übergang war schwer. Den zweiten Stoß erhielt ich, als es in die Regionen der höheren Mathematik ging. Ich mußte jetzt auch für dieses Fach intensiver arbeiten. Was mich zur Arbeit zwang, war der - zwar nie ausgesprochene - Wunsch meines Vaters, auf meinem Zeugnis nur das Prädikat "gut" zu sehen. Ferner zwang mich zur Arbeit der Ehrgeiz im Kampf gegen meine Rivalen in der Klasse. Ich kann leider nicht behaupten, daß mir ein Fach in der Schule damals besonderes Interesse abgenötigt hätte. Für mich war die Schule eben nur Schule, d.h.: alle Lehrfächer waren nur da, um in ihnen ein Prädikat zu erzielen, mit dem ich vor Vater und Klassenrivalen bestehen konnte. Ich weiß nicht, ob man das allgemein verstehen wird, aber es war tatsächlich so. Anders wurde es erst, als es daran ging, fremde Schriftsteller ins Deutsche zu übertragen. Griechisch, Latein, Französisch hatten von da an Anziehungskraft für mich. Sonderbar mag es sein, aber ich behaupte, daß zur Übersetzung fremder Sprachen nicht immer eine genaue Kenntnis der grammatischen Regeln erforderlich ist. Ein Irrealis ist für mich ein Irrealis; aber nicht grammatisch, sondern gefühlsmäßig.

Sonderinteressen außerhalb der Schule habe ich nur wenig gekannt. Das ganze Verhalten meines Vaters war dazu angetan gewesen, mich die Schule und das Tertialzeugnis - etwas übertrieben gesagt - als das allein Seligmachende ansehen zu lassen. Freunde habe ich nie gekannt, kenne sie nicht. Inneres Verhältnis zu meinem Vater gab es nicht für mich, auch nicht in der Reifezeit, wo das ganz sicher eine große Notwendigkeit ist. Meine Freude war nur für mich, meine Gedanken mußte ich mit mir selbst ausmachen, meine Fragen mir selbst beantworten oder zu beantworten suchen. Und das trieb mich zu der einzigen Beschäftigung, die ich außerhalb der Schule kannte: Lesen, wahllos lesen; lesen, was nicht für mich geschrieben war, - denn man gab mir keine Anleitung zum Lesen, kontrollierte meine Lektüre nicht - und darum neue Fragen, nicht zu beantworten, quälend, Fragen aller Art. Und die Hauptfrage: Was ist der Mensch? in seinem Leben, im Tod, im Verbrechen, in seinem guten Handeln, in seinem Verhalten, seinem Verhältnis zum andern Menschen, zum andern Geschlecht, in seinem Staatsleben, in seinem Verhältnis zur Übernatur, zum Unfaßbaren, in seinem Glauben an einen Schöpfer, an einen Gott? Ich spreche mit Überzeugung das Glaubensbekenntnis der römisch-katholischen Kirche und wünsche das auch auf meinem Reifezeugnis vermerkt zu sehen. Aber die Frage, wie etwa andere Menschen dazu kommen, die Existenz eines Schöpfers abzuleugnen, zu beantworten, alle die anderen oben aufgeworfenen Fragen schon beantworten zu können, das maße ich mir nicht an. Da sage ich gerne mit dem großen Philosophen: "Ich weiß, daß ich nichts weiß", nur mit dem großen Unterschied, daß er trotzdem etwas wußte, und ich wirklich nichts weiß. Jedenfalls soll das der Grundsatz meines Lebens bleiben, nachdem ich erkannt habe, daß auch natürliche Anlagen, wie bei mir das gute Gedächtnis, sterben können. Daß solche Gedanken und Fragen nicht nur auftauchten, wenn Zeit dafür war, ist selbstverständlich. Das Denken, Grübeln überfiel mich in der Schule, bei meinen Schulaufgaben zu Hause, und dann konnte ich mich durchaus nicht immer davon freimachen. Auch das ließ es mir immer schwerer werden, meine Leistungen auf der von meinem Ehrgeiz und von meinem Vater geforderten Höhe zu halten. Heute ist das Grübeln zu einem Hauptbestandteil, vielleicht sogar zu dem Hauptbestandteil meines Wesens geworden. Einsamkeit, Alleinsein, und das am liebsten in der Natur, ist darum mein Hang. Natur liebe ich, ohne sie darum zu kennen. Den Tag mit seiner freundlichen Helle, seinem Leben, seinen Farben. Die Nacht mit ihrem Schweigen, drohend, finster und doch Ruhe atmend. Den Sommer mit seiner Sonne, seiner Pracht, den Winter in Sturm und Scheintod.

Und diese beiden Dinge, Einsamkeit und Natur, ließen mich den Beruf des Försters wählen. Die Frage zwischen höherer und niederer Laufbahn entschied ein gewisser Wille zur Unabhängigkeit, zum Herrschen. Um in diese Laufbahn eintreten zu können, bitte ich um Zulassung zur Reifeprüfung.