DKG (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1931 (Realgymnasium)

1.) Öffentliche Plätze in Köln

2.) Was interessiert mich auf Reisen besonders?

3.) Die Geschichte eines Wasserstoffatoms

4.) Alltagspflichten gegen die Gemeinschaft


Beurteilung

Oberprimaner L., Hermann.

Seit Ostern 1930 auf der Anstalt. 24 ½ Jahre alt. Im Zehnkampf bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam wurde er von den deutschen Bewerbern Dritter. Bis Ostern 1930 Turn- und Sportlehrer an der Universität Köln. Unverdorbene, kraft- und temperamentvolle Persönlichkeit. Zu seiner stürmischen Hingabe an das, was ihn jeweils beschäftigt, möchte man ihm, unter voller Wahrung seines Temperaments, mehr Bedachtsamkeit und abschätzende Kritik wünschen. Auf seinen mannigfachen Reisen und Wanderungen durch das Ausland hat er offenen Auges Land und Leute beobachtet und Tagebuch darüber geführt. Seine schwache Seite in der Schule ist Französisch und Englisch. Als Süddeutscher hat er mit Schwierigkeiten in Aussprache und Tonfall zu kämpfen und seine Hast beeinträchtigt öfter seine mündlichen Leistungen. Doch hat er mit höchstem Erfolg an der Erweiterung und Festigung seiner Sprachkenntnisse gearbeitet und mit gewissen Einschränkungen genügende Leistungen erreicht. Dazu trug auch sein Ferienaufenthalt in England im letzten Sommer bei. In fast allen anderen Fächern sind seine Leistungen gut oder sehr gut. Mit Eifer und Erfolg hat er dieses Jahr die Spielturnstunden der zwei Oberprimen geleitet.

Lebenslauf

Ich wurde am 22. Mai 1906 zu Biberach an der Riß in Württemberg als Sohn des Kaufmanns Hermann Lemperle geboren und gehöre der katholischen Konfession an. Zu Ostern 1912 trat ich in die dortige Volksschule ein. Im Herbst 1914 bestand ich die Aufnahmeprüfung in die Realschule, die ich nun 6 Jahre lang bis zur Obersekunda besuchte. Da mich mein Vater zum kaufmännischen Beruf bestimmte, absolvierte ich noch vom Frühjahr 1921-23 die „zweiklassige höhere Handelsschule". Darauf unterzog ich mich einer kaufmännischen Lehrzeit von 2 Jahren und war weiter 18 Monate im kaufmännischen Berufe tätig.

Da mich dieser Wirkungskreis auf die Dauer nicht befriedigen konnte, ging ich im Herbst 1926 nach Köln an die Universität, um mich auf den Handelslehrberuf vorzubereiten. Gleichzeitig besuchte ich die Vorbereitungskurse für die noch erforderliche Ersatzreifeprüfung. - Aus besonderer Freude am Sport nahm ich Turnen als Zusatzfach zum Handelslehrstudium und trat in den staatlichen Lehrgang für Turn- und Sportlehrer ein. Auf Grund einer guten sportlichen Veranlagung, die mir einige beachtenswerte Erfolge und als besonderes die Aufnahme in die deutsche Nationalmannschaft bei den letzten olympischen Spielen einbrachte, wurde ich an der Kölner Universität zur Ausbildung zukünftiger Turn- und Sportlehrer herangezogen. In diesem neuen Wirkungskreis und angespornt durch diesen Erfolg bildete sich ein neues Berufsziel heraus: ich wollte das Studium der Philologie ergreifen und es mit dem bereits bestandenen Sportlehrerexamen verbinden. Dazu war aber die Vollreife erforderlich. Seit Herbst 1928 wurde ich durch private Kurse auf das externe Abiturium vorbereitet. Am 10. Oktober 1929 und am 13. Februar 1930 versuchte ich die Reifeprüfung am Provinzialschulkollegium in Koblenz, ohne jedoch darin Erfolg zu haben. Zu Beginn des neuen Schuljahres 1930-31 bestand ich die Aufnahmeprüfung am Kölner Dreikönigsgymnasium und bin seitdem Schüler der Oberprima-Realis.

In den ersten Gymnasialjahren konnte ich mich weder für irgend ein besonderes Schulfach, noch für Bücherlesen begeistern. Es war die Zeit der Kriegsjahre, in der durch Einberufung ins Feld einmal in der Schule ordentliche Lehrkräfte, und andererseits in unserer vielköpfigen Familie der erzieherische Einfluß des Vaters fehlten. Meine erste Lieblingsbeschäftigung, außer wildem Kriegsspiel, war Zeichnen und Malen; hier zeigte ich Fortschritte, so daß ich schon mit 14 Jahren Stunden in Ölmalerei nehmen durfte. Nach Kriegsende erhielten wir einen tüchtigen Lehrer in Mathematik. Das war etwas Neues, und ich hatte große Lust und zeigte auch einige Veranlagung. Alle andern Fächer, außer Zeichnen, Erdkunde und Turnen, waren mir verhaßt, weil ich darin jeder Grundlage bedurfte. - Ganz anders war die Anteilnahme auf der höheren Handelsschule, wo andere Disziplinen gelehrt wurden, und ich allmählich zur Einsicht kam, daß das zu Lernende für meinen späteren Beruf durchaus wichtig sei. Es folgte eine sehr strenge und harte Lehrzeit in Eßlingen am Neckar. Gleichzeitig, während der Sachsenunruhen trat ich als Zeitfreiwilliger bei der deutschen Reichswehr in Ludwigsburg ein und beteiligte mich an einem achtwöchigen Ausbildungslehrgang. Mein Idealbild vom deutschen Kaufmann verblaßte mittlerweile, denn ich sah, daß es hier um's bloße Geldverdienen ging. Nach einigen Jahren faßte ich den Entschluß, Handelslehrer zu werden, das einzige Studium, das mir durch die mittlere Reife und die kaufmännische Praxis offen stand. In demselben Augenblick aber, in dem ich in den Ersatzreifekursen auf deutsche Literatur und Geschichte hingelenkt wurde, verlor ich jedes Interesse für handelswissenschaftliche Studien. Diese Fächer schienen mir dagegen wie neuentdeckt. Mit einer wahren Begeisterung fing ich nun an, mich mit deutscher Literatur und Geschichte zu beschäftigen. Insbesondere waren es das deutsche Mittelalter und im Zusammenhang damit die deutsche Romantik. Heute sind es in erster Linie Mono- und Biographien berühmter Männer. Auch Mathematik, Fremdsprachen und Erdkunde interessierten mich immer mehr und mehr. Zur Zeit beteilige ich mich noch an der deutschen und geschichtlichen Arbeitsgemeinschaft.

Seit ungefähr 7 Jahren machte sich ein starker Wandertrieb in mir bemerkbar. Ich trat in die Deutsche Jugendbewegung ein und lernte auf ihren Fahrten Deutschland ziemlich kennen. Allein zog ich dann in fremde Länder. Zuerst quer durch Frankreich, ein Jahr später sah ich als Hilfsmatrose Finnland und Schweden; anschließend an die Olympischen Spiele wanderte ich von Amsterdam über Belgien, Frankreich quer durch Spanien und in den letzten Sommerferien war ich in England. Auf diesen Reisen suchte ich mich besonders mit Land und Leuten u. auch mit Kunst und Sprachen vertraut zu machen, und ich habe auch in mehreren Tagebüchern Aufzeichnungen niedergeschrieben.

Als Fremdsprache für die schriftliche [Prüfung] wähle ich Englisch.

Als Wahlfach für die mündliche Prüfung bezeichne ich Mathematik.

Nach bestandener Reifeprüfung beabsichtige ich Philologie zu studieren.

Auf dem Reifezeugnis bitte ich mein Religionsbekenntnis zu vermerken.

Abituraufsatz

Was interessiert mich auf Reisen besonders?

Gliederung:

A. Einleitung:

Der Wandertrieb der Schwaben.

B. Ausführung:

Zweck meines Reisens:

[K229|Um|K229] in erster Linie Menschen und Menschenschicksale kennen zu lernen.

a) Meine Begegnung mit dem Matrosen „Kolumbus".

b) Begegnung in Riga.

c) Begegnung in Verdun auf dem deutschen Soldatenfriedhof.

d) auf der Landstraße nach Madrid.

e) deutsche Monteure im Ausland.

C. Schluß:

Allgem. Interesse an Menschen, [K203|woimmer|K203] mir solche begegnen.

A. Einleitung:

Als Kolumbus Amerika entdeckt hatte und seine Rückreise [K204|wieder|K204] antreten wollte, bemerkte er, daß ihm ein Mann seiner Besatzung fehlte. Dieser war ein Schwabe aus Göppingen. Die Abfahrt wurde um einen Tag verschoben. Es war vergebens, er war nirgendwo zu finden. Da, [K205|grade|K205] in dem Augenblick, als das Schiff in die See stach, traf mein Landsmann ein. Auf die Frage, wo er sich eigentlich [K206|solange|K206] herumgetrieben hätte, erwiderte der biedere Schwabe: „Ja, ich hab' halt noch einen Bekannten getroffen!"

B. Ausführung:

In der Tat ist der Wandertrieb der Schwaben sprichwörtlich. Und wozu sollte ich eine Ausnahme bilden? Von Zeit zu Zeit zieht es auch mich hinaus über die Grenzen. Und wenn ich mich eben nach dem Warum u. Wozu frage, dann muß ich mir neben einigem Interesse für Sprachen u. Sehenswürdigkeiten auch ein gut Teil Abenteuerlust zugestehen. Vor allen Dingen ist es die Sehnsucht, Menschen und Menschenschicksale kennen zu lernen.

Zu a. Die deutschen Kampfspiele in Königsberg sind eben zu Ende gegangen. Ich nehme Abschied von meinen Kameraden, die nach Hause zurückkehren. Einige Tage später bin ich Hilfsmatrose auf dem Schwedischen Frachtdampfer „Egon". Ich bin sehr stolz und arbeite mit besonderem Eifer. Ein hochaufgeschossener, schlanker, blonder Junge von 19 Jahren wird mein Kamerad. Er scheint etwas [K207|besonderes|K207] zu sein, denn sie nennen ihn „Kolumbus". Noch im schulpflichtigen Alter ist er zur See gegangen und hat seitdem sicher keine Feder mehr in der Hand gehabt. Aber heute schon kann er sich mit einem Deutschen oder Engländer ganz gut unterhalten, ohne jedoch im Stande zu sein, eines jener so fremd klingenden Worte niederzuschreiben. Wer es ihm gelehrt hat, weiß er selbst nicht. Vielleicht sein Liebchen in Danzig oder in Hull, vielleicht auch ein Arbeitsgenosse. Bis wir in Riga einlaufen, kenne ich sein ganzes bisheriges Leben. Er ist ja sehr mitteilsam und verträgt sich mit den Deutschen besonders gut. [K208|An einem Sonntagnachmittag singe ich im Hafen von Riga zur Laute allerlei deutsche Volkslieder. Spaziergänger bleiben stehen u. hören mir zu. Ich schäme mich ein wenig. Was möchten die Leute von mir denken? Ich überwinde das bißchen Scham und denke: Wenn es ihnen beliebt, mögen sie mich für einen Vagabunden halten.|K208] - Zu b. Am selben Abend begegnet mir eine Bürgersfrau im Bäckerladen. Sie hört mich sprechen u. weiß auch sofort, daß ich ein Deutscher bin, ja noch viel mehr, ein Landsmann von ihr. Wir plaudern zusammen, und ich soll ihr zu Hause bei einem Täßchen Kaffee von Deutschland, von Schwaben erzählen. Dann klagt sie ihr [K209|Leid hier|K209] unter den Deutschenhassern zu leben und erzählt mir tausend Kleinigkeiten, die mir alle zum Erlebnis werden. Von der Liebe und Gastfreundschaft dieser Frau war ich so gerührt, daß ich sogar zu dichten anfing; bis dahin war es nämlich mein Stolz, mich nie in einem Gedicht versucht zu haben. Das alte Mütterchen aber war entzückt davon. -

Zu c. Ein andermal! Es ist Sonntagnachmittag. Eben hält der Pariser Zug in Verdun. Scharen von [K210|französischen, ehemaligen|K210] Frontkämpfern, geschmückt mit allerlei Orden u. farbigen Bändchen, steigen mit mir aus dem Zug, um dort ihr Regimentsfest zu feiern. Mir ist es dabei etwas unheimlich zumute. Ich gehe zur Bürgermeisterei und wälze dort die dicken, etwas staubigen Bücher, die mit [K211|deutschen Kriegsgefangenen|K211] angefüllt sind. Selbstverständlich ruhe ich nicht, bis ich meinen Onkel finde. Dann mache ich mich auf den Weg nach Donomont. Nach langem Suchen stehe ich vor einem grauen, morschen Holzkreuzchen, Nr. 4218. Ich kann mich kaum fassen an dieser ehrwürdigen, heiligen Stätte. Mein Tatendrang läßt mich nicht zur Ruhe, zur Besinnung kommen. Ich fange an, auf den nächsten Gräbern das Unkraut zu entfernen, dann gehe ich hinaus in die Landschaft, Blumen zu suchen. Wenn ich [K212|aufblicke sehe|K212] ich eine Anzahl von Grabkreuzen. - Dort rührt sich sogar [K213|etwas, was|K213] mag das sein, hier auf einem deutschen Soldatenfriedhof? Ich steige den Abhang hinunter, ich erkenne eine Frau mit ihrem Jungen, [K214|ein Quintaner|K214] wie mir scheint. Es sind Deutsche aus Frankfurt, die eben damit beschäftigt sind, das Grab des Vaters zu schmücken. Ich möchte helfen. Der junge Gymnasiast geht mit mir hinauf an den Waldrand. Dort pflücken wir roten Klatschmohn, der auf den Feldern reichlich wuchert. „Was meinst du wohl", sagte ich zu dem deutschen Flachskopf, „wie sich da die Soldaten im Himmel freuen, wenn wir ihnen jetzt Blumen aufs Grab legen!" - „Ja, meinen Sie denn, daß die Soldaten alle im Himmel seien?" war die erstaunte Antwort. „Freilich" versicherte ich ihm, „glaubst[K215|_|K215]denn, daß die Soldaten alle noch Zeit gehabt hätten, sich wie eine alte Großmutter ins Bett zu legen, um dann Sterbesakramente zu [K216|empfangen.|K216] Und im übrigen war es doch das Handwerk des Frontsoldaten, tüchtig zu morden u. totzuschlagen, und auch mal herzlich zu fluchen!" Das leuchtete dem Jungen auch dann sofort ein, und freudig erzählte er seiner Mutter, daß alle Soldaten im Himmel [K217|wären|K217]. -

Zu d. Einmal, es war im Hochsommer, stehe ich barfuß auf der Gebirgsstraße mit dem Wege nach Madrid. Die Füße hatte ich mir in tagelangen Märschen [K218|wund gelaufen|K218]. Ein Lastwagen schnaubt den Berg heran. Ich halte schmerzlich meine Gebirgsschuhe in der Hand. Der Wagen kommt [K219|näher, ich|K219] winke dem Fahrer mit dem [K220|Taschentuch, u.|K220] gebe ihm zu verstehen, daß ich gerne aufsitzen möchte. Er ist damit einverstanden. Freudig werfe ich Schuhe, Rucksack u. Laute auf den Lastwagen. Dann setze ich mich zum Fahrer und sage ihm: [K221|Directione Madrid!"|K221], zähle ihm noch die Orte auf, die ich zurückgelegt hatte u. sage ihm, daß ich von Deutschland käme. Dann fängt er, der struppige, finstere [K222|Gebirgssohn an|K222], mit mir spanisch zu reden, in einem solchen Kauderwelsch, wie es nur an der spanisch-französischen Grenze gesprochen werden kann. Er erzählt mir seine Erlebnisse in der französischen Fremdenlegion, wie er einmal von Beduinen gefangen u. zur Strafe bis an den Kopf in eine Sandgrube eingegraben worden sei. Auch seine Bekanntschaften mit deutschen Fremdenlegionären zählte er mir auf. Daß er endlich auf die Franzosen schimpfte, tat mir damals im Herzen gut.

zu e. Die angenehmste Bekanntschaft im Ausland war mir immer, wenn ich dort Gelegenheit hatte, deutsche Monteure u. Techniker kennen zu lernen. Diese Art von Menschen tragen am ehesten dazu bei, dem deutschen Namen Ehre einzutragen. Es sind dies meist Leute von unbeugsamer Willenskraft [K223|u. Energie|K223], dabei anspruchslos und zuverlässig in ihren Arbeiten, [K224| mit einem Wort, Menschen des praktischen Lebens|K224]. [K225|Grade|K225] auf der Spanienreise habe ich in vielen kleinen Orten solche tapfere Landsleute kennen gelernt.

C. Schluß.

So könnte ich noch unzählige Erlebnisse u. Begegnungen mit verschiedenartigsten Menschen anführen. Vielleicht aber haben diese Erlebnisse dazu beigetragen, daß mich Menschenschicksale, so winzig sie auch sein mögen, [K226|auf's|K226] [K227|lebendigste|K227] interessieren. Sei es im Eisenbahnzug oder auf der Landstraße, [K228|woimmer|K228] nur ein Arbeiter, ein Bauer, ein altes Mütterchen begegnet, suche ich ins Gespräch mit ihnen zu kommen.

Die Arbeit ist flott geschrieben, sie geht aber zu sehr in der Erzählung von einzelnen Abenteuern auf. Wenn der Verfasser darlegen will, daß ihm vor allem das menschliche Schicksal interessiert, so wäre es angebracht zu sagen, warum er gerade die erwähnten Begegnungen aus seinen „unzähligen Erlebnissen" herausgegriffen hat. So erweckt er den Eindruck des Willkürlichen, Zusammenhanglosen.

Zeichensetzung z.T. flüchtig.

Genügend.