DKG (Köln)

Vorschläge für den deutschen Aufsatz der Reifeprüfung 1932

1.) Vom Brief und vom Briefschreiben

2.) Mein Verhältnis zum Roman und zum lyrischen Gedicht

3.) Bericht über eine öffentliche Veranstaltung (Versammlung, Konzert, Schauspiel, Vereinsfeier oder dergl.)

4.) Vergessen und Vergeßlichkeit (Erlebnis, Charakteristik oder Abhandlung)


Beurteilung

D., Wilhelm

Die geistige Entwicklung des Schülers war in seinen ersten Schul- und Gymnasialjahren keine stetige, weil die Mutter, eine Witwe, oft den Wohnplatz wechselte. Seine Leistungen waren bei langsam sich erschliessendem Verständnis in den einzelnen Fächern verschieden und insbesondere in der Mathematik gering. Dany ist ein gemütstiefer, aber verschlossener und einsamer junger Mensch, ohne dabei irgendwie abstossend zu sein, ein ausdauernder Wanderer und Schwimmer, ein Mensch, der bei seiner Energie seinen Weg im Leben sicher gehen wird.

Hierdurch bitte ich um Zulassung zur Reifeprüfung:

Ich wurde am 14.III.10 als Sohn des Oberpostassistenten Valentin D. in Solingen geboren. Schon früh siedelten wir nach Köln über, wo ich die Volksschule besuchte. In meinem neunten Lebensjahr starb mein Vater. Kurz darauf, als ich neun Jahre alt war, veranlaßte man meine Mutter, mich zur Mittelschule zu schicken. Aber ein regelmäßiger Schulbesuch wurde dadurch verhindert, daß schwierige Familienverhältnisse uns zwangen, dauernd unseren Wohnsitz zwischen Köln und Bödingen, dem Geburtsort meiner Mutter, zu wechseln. Ein dauernder Eindruck von der Bauernschule wird mir bleiben, daß wir mit einer gewissen Regelmäßigkeit geprügelt wurden. Mit elf Jahren verließ ich die Mittelschule und kam auf das Dreikönigsgymnasium. In die nächste Zeit fielen einige Ereignisse, die meine Entwicklung wesentlich beeinflußten. Das erste war der wirtschaftliche Zusammenbruch meines Großvaters. Die Tatsache, daß ein blühender Bauernhof trotz starken Nachwuchses innerhalb einiger Jahre zu einem Häufchen Elend und Krankheit zusammenfallen konnte, lastete so stark auf meinem Gemüt, daß ich mich auch jetzt nur schwer davon befreien kann. Das zweite war die Zeit der Regie. Das Dorf meines Großvaters lag in der Nähe der Grenze, und ich war meistens mir selbst überlassen, da meine Mutter vollauf mit der Linderung von Schmerz und Krankheit in der Familie beschäftigt war. An der Grenze sah und erlebte ich viel im Umgang mit erregten und gehetzten Menschen, früh wurde ich mißtrauisch und verschlossen, da ich keinen Umgang mit Altersgenossen hatte und keinen Freund kannte. Ich sah alle Dinge nur von mir aus, und es entwickelte sich daraus eine Sucht zu übertreiben oder zu unterschätzen, je nachdem ich die Dinge sah. Im Laufe der nächsten Jahre besserten sich unsere Verhältnisse in soweit, daß mein Onkel uns zuweilen unterstützte, um meine Ausbildung zu ermöglichen. Meine Jugendzeit verlief jetzt wesentlich ruhiger, wenn auch Inflation und Besatzungszeit, in der wir gezwungen waren, dauernd zu vermieten, oft unser Familienleben störten. Da meine Mutter mit Haushaltungs- und Wirtschaftssorgen überlastet war, konnte ich mir sehr viele Freizeit nehmen. Diese Freizeit nutzte ich, indem ich viel und wahllos las. Jede Lektüre nahm mich vollständig in Anspruch und beschäftigte tagelang meine Phantasie, wenn ich auch meistens wenig von dem Gelesenen verstand.

Als ich älter wurde, entwickelte sich langsam eine Vorliebe für gewisse Zeitströmungen. Ich beschäftigte mich z.B. lange mit der Romantik (E.T.A. Hoffmann: Der goldene Topf, klein Zaches), weil in ihr das Gefühl stark vorherrschte.

In meinem Lesen habe ich nie versucht, auf Grund einer Weltanschauung mich gegen bestimmte Schriftsteller abzukapseln, weil ich das Werk eines Künstlers viel zu hoch schätze, und mir das, was mir Schule und Elternhaus gab, nicht genügt zur Bildung einer fertigen Weltanschauung.

Wenn ich heute darüber nachdenke, welche Lektüre ich in letzter Zeit gerne las, so muß ich sagen, daß ich die Schriftsteller gerne las, die sich, entweder zersetzend oder bejahend, mit der bürgerlichen Welt befaßten. Schließlich gehöre ich doch der bürgerlichen Welt an, und es interessiert mich, wie Künstler sie sehen, besonders weil heute die soziale Frage und der Untergang des Mittelstandes im Vordergrund des Interesses steht. Wenn ich an einzelne Schriftsteller denke, so gefallen mir gut Thomas Mann (Buddenbrock), Gottfried Keller (Die Leute von Seldwyla), E.T.A. Hoffmann (Meister Martin der Küfer, Der goldene Topf) der goldene Topf deshalb, weil Hoffmann es hierin meisterhaft versteht, den bürgerlichen Alltag ins Heimliche und Unheimliche zu verhexen. Eine große Vorliebe habe ich für die russischen Schriftsteller Dostojewski (Novellen, Aus einem Totenhaus), Tolstoij (Anna Karenina, Kreutzersonate, Kaukasusnovellen), Maxim Gorkij (Mutter, Lebenserinnerungen, das Werk der Artamanoff), einmal, weil sich in den Werken die Gedanken solcher Leute wiederspiegeln, die den Versuch der Lösung der sozialen Frage mitmachten, besonders aber, weil ich im russischen Menschen etwas finde, was mir verwandt ist.

Zu einem regelmäßigen Lesen der Zeitung, als des Organs, das an erster Stelle berufen ist, die Tagesfragen zu erörtern, muß ich mich zwingen.

Die Ferien benutze ich meistens zu Wanderungen, und im Sommer beschäftige ich mich gerne mit Sport.

Wenn ich an die einzelnen Lehrfächer denke, so werden mir der deutsche und griechische Unterricht einen bleibenden Gewinn bedeuten. Das rein wissenschaftliche machte mir weniger Freude, aber die Tatsache bereicherte mich, daß mir der Mensch, neue Gedanken über sich und über das Verhältnis zu den Mitmenschen, so, wie es sich aus den einzelnen Zeitströmungen ergab, gezeigt wurde, das Griechische, weil es einen glücklichen zeigt. Aus diesem Grunde möchte ich meine besondere Prüfung im Deutschen ablegen.

Meine Berufswahl wird von zwei Seiten beeinflußt. Einmal möchte ich möglichst bald die Kosten meiner Ausbildung zurückerstatten. Zum zweiten möchte ich im praktischen Leben ein Verhältnis zu meinen Mitmenschen gewinnen. Diese Gedanken weisen mich auf die mittlere Beamtenlaufbahn, und ich glaube, daß auch der trockenste Beruf mir genug Anregung zu meiner Bildung bringt. Sollte die Laufbahn geschlossen sein, will ich die Universität besuchen, um mich als Journalist auszubilden. Ich wäre dann gezwungen, als Werkstudent meinen Lebensunterhalt zu suchen.

Mein Bekenntnis bitte ich auf dem Reifezeugnis zu vermerken.