Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 26. September 1939
26. September 1939
Liebe Elsbeth!
Wie Du schon an der Schrift siehst, ist meine Hand wieder in Ordnung. Ich soll nun doch auf die Schreibstube kommen. Mit meiner Hand hatte ich mich lediglich verhoben an einem Baumstamm. Nur, damit das Gelenk geschont werden sollte, hatte ich eine Schiene angelegt bekommen und mußte den Arm in einer Binde tragen.
Nun, liebe Elsbeth, komme ich zu Deinen Briefen. Ich erhielt die vom 12., 15., 16. 9. u. Deine beiden Päckchen auf einen Knall gestern u. heute. Sie sind somit z.T. fast 2 Wochen gelaufen. Habe recht herzlichen Dank dafür. Es war ein sonderbares Gefühl, diese Aufmerksamkeit. Besonders das leckere, große Paket, das Herr Faßbender mitgebracht hat. Nun komme ich am besten zuerst auf Deinen letzten Brief, der in dem großen Paket lag, um den Schluß meiner Zeilen nicht unangenehm ausklingen lassen zu müssen.
Es sind da zwei Sätze, mit denen Du mich richtiggehend verletzt hast. - „Also scheint es Dir da doch besser zu gefallen als zu Hause. Wie verträgt sich das mit dem, was Du schreibst??“ - Ist Dein Vertrauen in mich wirklich nicht größer? Ohne mich auf diese kategorische Frage rechtfertigen zu wollen, will ich Dir nur folgende kurze Worte schreiben.
1. Urlaub konnte ich solange nicht beantragen, wie ich
den Arm in der Binde trug! Heute, am ersten Tage, daß die Binde weggefallen ist, bin ich sofort zum Kompaniechef gegangen. Ich bin auch für den nächsten Transport aufgeschrieben worden, wann der geht, weiß ich allerdings noch nicht.
2. Daß andere Frauen wissen, wo ihre Männer sind, kann ich verstehen. Viele schreiben es einfach ihren Frauen. Bei einer Kontrolle dieser Briefe würden diese Männer wegen Verrat wahrscheinlich erschossen werden. Ein Teil dieser Frauen kommen nun tatsächlich bis zur nächsten Stadt. Auf dem Wege zu unserem Quartier, ca. 1 V2 Stunde zu Fuß, wird die Hälfte dieser Frauen schon verhaftet, der anderen Hälfte gelingt es dann, 1 oder 2 Stunden ihre Männer zu sehen. Da ich für mich und Dich diese Folgen nicht tragen möchte, habe ich eben anders gehandelt. Ich dachte aber, wenn ich Dir schriebe, daß Du ganz beruhigt sein könntest, würde Dir das genügen. So nun Schluß mit dieser unangenehmen Sache.
Daß es Dir wieder so schlecht geht, hat mich tief getroffen. Geh doch nochmal bitte zum Arzt. Ferner kann ich nicht recht verstehen, daß die Adler das Gehalt nicht ein paar Monate weiterzahlt. Was bekommst Du dann an Unterstützung? Wenn Du so wenig Geld hast, darfst Du mir nichts mehr schicken. Ich bin mit Briefen auch zufrieden und sehe jedem wieder bei der abendlichen Postausgabe gespannt entgegen und wenn der Name „Lissem“ gerufen wird, könntest Du mal einen
aufspritzen sehen, Hacken kurz zusammengeschlagen und dann zurück-marsch-marsch ins Glied. Was wir hier brauchen, Unterwäsche, Pullover, Mantel usw. bekommen wir ja alle hier.
Liebes Frauchen! Was Du da sagst, von Wärmflasche usw. kann ich Dir nur sagen, daß Du hier dann nicht sein dürftest. Wir haben hier alles, nur keine Nachtwärme, von weicher Unterlage ganz zu schweigen. Aber Dorotheechen kann ich mir ganz gut in Gedanken vorstellen.
Schade nur, daß ich die Zeit nicht miterleben kann. Ich bitte Dich deshalb, das angefangene Buch möglichst fleißig weiterzuführen.
Leider muß ich jetzt schließen. Die Kerze ist fast abgebrannt, die Kameraden wollen schlafen gehn und gleich wird es Zappen blasen. Heute ist einer wegen einer halben Stunde Zappenwichsen zu 3 Tagen und jeder Urlaubs- und Ausgangssperre bestraft worden.
Deshalb liebe Elsbeth, Schluß. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von
Deinem Hannes
Hoffentlich klappt es mit meinem Urlaub. Morgen sollen wir nämlich einen neuen Chef bekommen. Ob der so gut wie unser jetziger ist, bleibt abzuwarten.
Nochmals einen festen Kuß
von Deinem Hannes.