Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 31. Mai 1943

31. Mai 1943

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Seit meinem letzten Brief und dem jetzigen liegt wieder eine große Veränderung. Den letzten schrieb ich im Zug. Es war regnerisch und kalt. Diesen schreibe ich in der Mittagpause, die in Anbetracht der strahlenden, aber heißen Sonne, von 10,30 – 16 Uhr ist. Die Sonne drückt, besonders in den ersten Tagen, schwer aufs Gemüt. Man möchte so faul sein, muß aber trotzdem ran. Im Augenblick liege ich unter meinem Moskito-Netz im Zelt. Das Netz ist eine wunderbare Sache. Keine Fliege, kein Insekt irgendwelcher Art, Mücken, Heuschrecken usw., belästigt einen. Sie fliegen lediglich, vom Menschengeruch angezogen, in Scharen drumherum. Aber nun einmal etwas der Reihe nach.

Nach einer wunderbaren Fahrt durch die Alpen lag eines Morgens, wie in einem fruchtbaren Garten, die ehemals deutsche Stadt Südtirols, Bozen, vor uns in einem Talkessel. Obst und Gemüse, Trauben usw. wuchert fast förmlich aus dem fruchtbaren Boden. Dann breitete sich die fruchtbare Po-Ebene vor uns aus. Je weiter wir kamen, je stärker wurde die Sonne. Im Abteil war es kaum zum Aushalten. Dann gings durch die „Ewige Stadt“. Leider sahen wir nicht viel davon, lediglich neuere Stadtteile und die alte Wasserleitung aus der Römerzeit, die wie eine große Stadtmauer anmutet, wenn man von den schönen, romanischen Bögen absieht. Durch den Apennin schlängelt sich die Bahn, an herrlich aussehenden Bergdörfern und Städten vorbei, wie man sie auf alten italienischen Bildern sieht. Links und rechts sieht man nicht Apfel- und Birnbäume, sondern Oliven-, Apfelsinen-, Zitronen-, Feigenbäume, Palmen, riesige Kakteen usw. Dann kam der Augenblick, an dem ich vor Bewunderung sprachlos war. Das Tal öffnete sich und vor uns lag, wie ein riesiger Berg, das strahlend blaue Meer. Auf einer ins Meer hineingeschobenen Landzunge lag eine alte Stadt in selten malerischer antiker Schönheit. Man kann den Eindruck nicht beschreiben. Die hohen Berge treten fast bis ans Meer heran. Des Nachmittags genossen wir den seltenen Anblick des „rauchenden Berges“. In der Nacht von vorgestern auf gestern wurden wir ausgeladen und schlugen gestern morgen in einem Flußbogen auf einem schön gelegenen Zeltplatz unsere Zelte auf. Du kannst Dir nun denken, daß ich so richtig in meinem Element bin. Die Zelte von meinem

Zug stehen tadellos. Ich trage jetzt Schuhe, weiße Söckchen, kurze leichte Hose und Hemd. Als Wäsche das dünne Netzzeug. Ich komme mir vor wie früher auf Fahrt in der leichten Bekleidung, mit dem Zeltlager. Gestern Abend lag ich mit zwei Uffz. und Kampmann vor den Zelten und haben uns erzählt, dabei hatten wir vor uns in der Ferne immer das Feuer des Vesuvs vor Augen, das wie ein riesiges Johannisfeuer in die Nacht leuchtete. Glühwürmchen umschwirrten uns.

Schade, die Frühkirschen sind schon abgeerntet. Die italienischen Kinder laufen entsetzlich armselig und dreckig herum. Wenn die Älteren und auch die Kinder miteinander sprechen, sieht es fast aus, als ob sie sich in der Wolle hätten; ein solch lebhaftes Gebärden- und Mienenspiel zeigen sie dabei.

Apfelsinen kosten das kg 10 Lire, etwa 1,35 RM. Schokolade, wenigstens so was Ähnliches (mit Rosinen, Mandeln, Nüssen), ebenfalls 10 Lire. „Wenn“ man Zigaretten bekommt, das Stück

10 Pfennig. Wein der verschiedensten Sorten kann man haben. Aber alles ist teuer.

Was bin ich nun im Krieg schon herumgekommen. Hätte ich das nur im Frieden mit Dir zusammen machen können, es wäre mir tausendmal lieber gewesen.

Ich müßte eigentlich noch an manche schreiben, aber ich bin sooo faul durch die Schwüle, daß ich heute nur an Dich schreibe. Entschuldige die Schrift, denn ich schreibe auf dem Bauch liegend.

Nun noch etwas von mir selbst. Ich bin versetzt. Morgen, oder in den nächsten Tagen gehe ich einige km ostwärts zur neuen Einheit. Ich verbessere mich sehr dabei; werde Zugführer bei der leichten Übersetz-Kolonne, nehme also eine Offizierstelle ein. Ich führe den Zug dort selbständig. Ich bin also nicht, wie erst vermutet als Zugtruppführer, bezw. stellv. Zugführer, zur 3. Komp. gekommen. Die leichte Übersetz-Kolonne hat den Auftrag, im Kampf mit ihren schnellen Sturmbooten Flußübergänge zu erzwingen. In den nächsten Tagen geht’s bereits zu Übungen ans Mittelmeer. Dort muß ich selbst natürlich auch erst Sturmbootfahren lernen.

Und nun, liebe Elsbeth, grüße ich Dich recht herzlich, grüße auch

 

Vater und Anna und Deine Eltern. Evtl. kannst Du sie ja den Brief lesen lassen, dann brauche ich dasselbe nicht noch einmal zu schreiben.

Ich grüße und küsse Dich und Dorotheechen herzlich und bin
Dein Hannes.

 

Neue Feldpost-N° schreibe ich noch. Vorläufige Anschrift noch wie auf dem Umschlag.

Dies soll natürlich nicht das Dorf sein, was ich im Brief beschrieben habe, sondern nur etwas, wie es mir einfällt, ein im letzten Kerzenlicht hingeworfenes Allgemeinbild.