Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 2. August 1944

2. August 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Heute habe ich Zeit. Drum einen voraussichtlich langen Brief.

Unser Lehrgang ist nun zu Ende. Um es gleich vorweg zu nehmen: Urteil, d.h. der Chef gab Jedem seine Beurteilung bekannt. Demnach bin ich:

charakterlich ganz einwandfrei, gute Allgemeinbildung, frisch und lebendig, fleißig und strebsam im Dienst, guter Soldat. Voraussetzungen, Offizier zu werden, sind gegeben. Ich weise aber noch folgende Lücken auf:

In der Erteilung von Unterricht habe ich gelegentlich der Anwesenheit des Regt.-Kommandeurs einen zerfahrenen und nervösen Eindruck gemacht. Ich muß mich in dieser Beziehung noch vervollkommnen und mich befleißigen, Unterricht in einer ruhigen, geklärten Form zu halten, damit mein Wissen den zu Unterrichtenden in einwandfreier Form vermittelt werden kann.

Ich werde mit sämtlichen Lehrgangsteilnehmern zum Truppenteil geschickt. Mein Kommandeur soll mich beobachten und g. F. nach 3 Monaten zum 2. Lehrgang schicken. Ich hätte nicht angenommen, daß es noch so ausgegangen wäre. Also, hat man das Alter doch außer Acht gelassen. Gern hätte ich es ja dann direkt geschafft, aber ich muß schon mit dem Resultat zufrieden sein.

Wir waren mit 6 Pionier-, Stabs-, Ober- und Feldwebeln hier. Davon hat einer direkt bestanden, der zweite bin ich, der nicht durchgefallen ist, aber den zweiten Lehrgang noch mitmachen muß und die anderen vier haben nicht bestanden.

Ab Samstag habe ich allerhand erlebt. Erst die Abschlußbesichtigung durch den Regiment-Kommandeur. Zweimal „war ich dran“. Aber es ist schrecklich. Der Mann will nun genau so die Ausdrücke und den Inhalt haben, wie er denkt. Dabei sind diese aber doch

bei jedem Menschen verschieden. Er hat mich, wie alle anderen, die „dran waren“, auseinandergenommen nach allen Regeln der Kunst. Ich habe dann wieder die Ruhe verloren und das ist ausgesprochen schlecht bei einer Besichtigung.

Freitags war ich in Den Haag. Wir waren zu viert und haben Schnaps und Likör geholt für unseren Abschiedsabend. Dieser wurde nun am Samstag abend mit großen Pomp und viel Alkohol begangen. Viele Darbietungen wurden gezeigt mit guten Pointen aus dem Lehrgang. Offz. und Lehrgangsteilnehmer beteiligten sich daran. Drei Nachrichtenhelferinnen sangen, spielten und tanzten was vor. Außerdem waren noch 2 „hohe Damen“ anwesend. Die Frau unseres Lehrgangsleiters, eine Kölnerin, die aber hier bei ihrem Mann wohnt und die Frau eines Unteroffiziers, der bei mir auf Stube liegt. Sie war von Ungarn nach hier gekommen, um ihren Mann zu besuchen, sogar mit dem Sonderzug von Seyß-Inquart, mit dem der Unteroffizier befreundet ist. Der Uffz. ist nämlich im Zivilleben ein hohes Tier: Legationsrat. War viel im Ausland Konsul und so was Ähnliches.

Des Nachts kamen wir nun heim. In der Stube gings weiter. Wir hatten noch Alkoholisches mitgebracht. Back, mein Kamerad, den Du ja auch kennst, hat nun jeden Feldzug in vorderster Linie mitgemacht, 4mal verwundet, Malaria und Fleckfieber überstanden. Aber seine Nerven haben gelitten. Durch Scherz kams zu einer kleinen Rauferei. Aber ganz harmlos, wie Jungens sich im Scherz schon mal was kalbern. Er schrammte sich am Finger etwas. Durch das bißchen Blut wurde nun irgendetwas in ihm ausgelöst. Er bekam so eine Art Tobsuchtsanfall. Er schrie nach Pistole und Seitengewehr, wollte eine Glasscherbe kriegen, die auf der Erde lag, um einem, der ihn festhielt, die Kehle durchzuschneiden. Wir mußten ihn fesseln. Ich jagte dann die andern weg und blieb allein bei ihm, weil wir persönlich am nächsten stehen und er immer etwas auf mich gehört hat. Das Herz schlug wild, er bäumte sich, seine Augen stierten. Es war schlimm. Ich blieb bei ihm, bis er ruhiger wurde. Ich sagte

immer: Toni, Toni, was hast Du denn, nun sei doch schön ruhig usw., weißt Du, wie man ein kleines Kind beruhigt. Dann nahm ich ihm die Fessel ab, legte ihn ins Bett und setzte mich auf den Bettrand, steckte ihm eine Zigarette in den Mund. Auf Das Erwachen aus einem solchen Zustand ist seltsam. Wie er zuerst einen wieder ansah und „Hannes“ sagte und „wo bin ich?“ „Bin ich denn nicht in Rußland?“ usw.

Und dann kam der Sonntag. Die große Überraschung. Es w Es kommt jemand von Schreibstube auf unsere Stube und sagt: Feldwebel Ließem wird am Fernsprecher gewünscht. Ich kann mir gar nicht denken, wer mich anrufen könnte. Am Apparat eine Stimme: „Hannes! rat mal wer hier ist?“ Ich: „na, sags schon, ich rate es doch nicht.“ „Hier ist Jupp, Tag Hannes.“ [Jupp, Elsbeths Bruder]. Die Freude kannst Du Dir vorstellen. Mittags habe ich und Back mich mit Kampmann getroffen und einen netten Tag verlebt. Wir haben erzählt und erzählt. Er ist auf eigenen Wunsch K.v. geschrieben, hat aber noch kein Gefühl im re. Oberschenkel, kann den einen Arm nur bis zur Wagerechten hochbringen und noch etwa 80 Splitter im Körper. Am Montag und Dienstag haben wir uns wieder getroffen. Gestern Abend ist er nun weg zur 7. Komp. Er läßt Dich ganz besonders herzlich grüßen.

Er war trotz der Freude niedergeschlagen. In einem stillen Augenblick sagte er mir: seine Braut, die er jetzt heiraten wollte, hätte sich von ihm getrennt. Der arme Kerl tat mir richtig leid.

Heute habe ich 16 Päckchen gemacht. Sie sind alle nummeriert von 1 – 15. Das 16. ist nicht nummeriert und an Dorotheechen gerichtet. Es ist sind einige Bonbons.

6, 4, 7, 3, 2, 5, 9, 8, 1 – 10 = Bücher
11 4 Rollen Kordel
12, 13, 14 je 2 Stück Käse
15 Hemd, Koppel, Schlips

Halte nach, ob alles ankommt.

Den Käse, von dem ich Dir damals schrieb, habe ich nun doch zerschnitten und Dir geschickt. D.h. ¾ hast Du bekommen, ¼ hält Mannchen für sich selbst als Ergänzung zum Verpflegungssatz.

Eine Neuigkeit, die Dich und mich nicht freut: Ich komme nicht über Godesberg. Es geht mit Sammeltransport direkt zum Batl. Deshalb mußte ich Dir auch alles mit der Feldpost schicken. Was für Gefühle mich im Augenblick bewegen, kannst Du Dir denken. Dir wird es nicht anders gehen. Aber, man kann nichts dran machen. Ich hatte mich schon sooo gefreut.

Und nun: Herzlichen Dank für Deine letzten beiden Briefe. Das ist schön, daß Du mit Frau Hummel regelmäßig zusammenzukommen scheinst. Die Einsamkeit hat dann doch so Lichtblicke. Auch, daß Ihr schon mal nach Oberkassel geht, ist doch schön. Auch Dorotheechen muß es doch Spaß habe machen. Grüße Frau Hummel von mir.

Auch die 200,- RM sind angekommen. Sofort habe ich mir ¼ Butter gekauft.

Und nun, meine liebe Elsbeth herze und küsse ich Dich recht herzlich und innig und küsse Dich auf Deinen lieben, lieben Mund. Ich bin immer Dein Hannes.