Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 24. April 1940

24. April 1940

Liebste, allerliebste Elsbeth!

Zuvor eine ganz freudige Überraschung. Ich komme in Urlaub. Der neue Kompanieführer hat ihn mir versprochen. Als ich aus seinem Zimmer kam, hätte ich beinahe einen Jauchzer ausge­stoßen. Mit dem Urlaub wird es ja wohl noch etwas dauern, aber die Gewißheit bringt einem doch Freude — und welche! Erst muß nämlich hier die dickste Arbeit vorbei sein.

Nun ist es schon wieder der 25. 4. geworden. Du mußt über die Verzögerung nicht böse sein, denn vor lauter Arbeit komme ich kaum noch zum Schreiben. Einen Abend waren wir allerdings jetzt mit dem Spieß heraus zum Abschied feiern. (Unsere alten Führer aus dem RAD [Reichs­arbeitsdienst] verlassen uns ja). Unser neuer Spieß ist von Dortmund; wir haben uns schon aneinander gewöhnt.

Den Schlafanzug habe ich jetzt auch bekommen. Auch die Bescheinigung von meinen Eltern, die ich diesem Brief unterschrieben wieder beifüge. Vielleicht bringst Du sie meinen Eltern bald wieder rauf und sagst, daß ich kaum zum Schreiben käme. Grüße Deine und meine Eltern von mir.

Dein Erzählen über Dorotheechen ist so nett, daß man richtige Sehnsucht nach dem Busselchen bekommt. Ich stelle es mir so drollig vor, wie sie mit dem leckeren Fingerchen auf die Figur zeigte und sagt, heilige Mutter Gottes [“Triumph“-Werbung im Schaufenster]. Und noch vieles andere. Ich bin mal gespannt, was sie sagt, wenn ich mal komme. Ob sie mich jetzt auch noch kennt?

Schon wieder mußte ich aufhören. Man kann für sein liebes Frauchen kaum noch einen zu­sammenhängenden Brief zusammenkriegen. Immer müssen die Gedanken wieder abschweifen. Und ich befasse mich doch sooo gern mit Dir. Weißt Du eigentlich, wie gern ich Dich habe? Gestern habe ich keinen Brief bekommen. Er hat sich sicher verzögert. Aber an dem Tag hat man ein so leeres Gefühl. Du tust mir daher leid, wenn die letzten beiden Briefe von mir nicht mit der altgewohnten Pünktlichkeit abgehen konnten.

Linz hat mir ein Büchlein geschickt als Geschenk. „Goethe“ Feldausgabe 1940. Ich habe mich darüber gefreut, auch wenn ich vorläufig nicht zum Lesen komme. Am Sonntag war ich nach­mittags an den Externsteinen. Es war ein sonniger Tag und der Spaziergang hat mir recht gut getan.

Unter der neuen Führung machen wir jetzt morgens Frühsport. Ich glaube, die Viertelstunde jeden morgen mit anschließender kalter Dusche wird meinem derzeitigen zappeligen Zustand auch gut tun. (Willst Du das nicht auch mal versuchen?) Ha, Ha!

So, mein lieber Moritz, jetzt verlasse ich Dich mal wieder, aber nicht, ohne Dir vorher noch l alles Liebe und Gute zu wünschen und Dir nochmal ins Ohr zu flüstern, wie sehr ich Dich gern habe. Ich nehme Dich in meine Arme, drücke Dich ganz fest an mich und denke mir im Geiste schon aus, wie es ist, wenn ich mal wieder die Godesberger Straße verlasse und 3 mal klingele und Du oben auf der Treppe stehst. Und was machen wir dann? Das auszudenken überlasse ich Dir!

Ich bin immer Dein getreues

Mannchen