Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 14. September 1940

14. September 1940

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Herzlichen Dank für Deine 3 letzten Briefe und einen schönen Sonntagsgruß für morgen. Mein Füller ist kaputt und ich muß mich erst wieder an so eine verflixte Feder gewöhnen.

Also, mein Frauchen will mich demnächst in dem neuen Morgenanzug oder Schlafanzug „betören“. Auf diese Betörerei freue ich mich jetzt schon königlich. (Wir spielen dann „Nachlaufen“)

Die Bildchen sind nett geworden. Die Vergrößerung ist ja zu schön. Und auch Deine Bildchen sind sehr nett. Besonders das mit Leni und das mit Vater am Brunnen. Über Dein „photografisches Können“ kann man nur staunen.

Wenn Onkel Nikolaus und Tante Gretchen noch da sind, grüß' sie. Du schreibst, daß Du 2 Pak. Persil bekommen habest. Ich habe aber drei abgeschickt. Wenn das eine Paket verloren gegangen ist, ist es ja um die 17 Pfennig nicht weiter schlimm. Es ist nur so, daß man tatsächlich zu bange ist, Sachen von höherem Wert zu schicken.

Klaus scheint ja nach Deinen Angaben einen „ganz“ gemütlichen Krieg zu führen.

Du schreibst, Du hättest so arg brechen müssen. Wie kommt das denn? Es erinnert einen ja mit Angst an die erste Zeit. Es ist doch wohl nichts passiert?

Daß Dorotheechen auf dem Schiff viel Freude gehabt hat, kann ich mir denken. Es ist auf jeden Fall schön, daß das leckere Busselchen auch einmal solche Eindrücke und kleine „Erlebnisse“ hat.

Du fragst wegen England. Du weißt, als Soldat kann man da gar nichts sagen. Aber soviel ist sicher, daß wir vorläufig hier noch Arbeit haben. Mit Urlaub darfst Du die nächste Zeit aber noch nicht rechnen.

Daß Du mir das Getratsche von Frau Mauch nicht geschrieben hast, ist gut. Fülle lieber, wie Du es getan hast, die Seiten von mit Lieberem aus. Ich kenne ja die Schlabberschnüß von Frau Mauch und weiß, daß man bei einigermaßen gutem Willen mit K. auskommen kann.

So, nun habe ich die letzten Briefe beantwortet und kann nun darangehen, Dir von Paris zu erzählen.

Am Donnerstag bin ich des morgens mit dem Chef und dem Spieß in „unserem“ neuen Personenwagen abgefahren. Der Wagen fährt schneller und besser gefedert, als der alte. Die Strecke war dieselbe, wie das erstemal: Cambrai, St. Qentin Quentin, Compiegne, Senlis, Paris. Um 1,00 Uhr mittags waren wir da. Nach den notwendigen Formalitäten bei dem O.Au.

„fuhren wir erst einmal beim Hotel vor“. (Hotel Cambrai) (Hotel Calais in der Rue de Capuzine). Wir bekamen unsere Schlüssel und begaben uns „im Aufzug“ in den 4. Stock. Jeder hatte ein Zimmer für sich. Wir machten uns etwas frisch und machten dann mit dem Wagen eine kleine Rundfahrt. Der Chef, der schon 2 Wochen in Paris war, wußte schon überall Bescheid. Daß es herrlich ist, dieses Paris, habe ich Dir schon geschrieben, aber nun hatte ich natürlich besser Gelegenheit, mir alles anzusehen. So waren wir am Grabmal des unbekannten Soldaten und an anderen schönen Stätten. Auch zum Eiffelturm bin ich ein Teil heraufgeklettert. Man hat von hier aus eine wunderbare Aussicht über ganz Paris. Ebenfalls bin [war] ich in Notre-Dame und im Invalidendom. Der Invalidendom hat einen Altar mit echter Vergoldung. Das Licht, das durch

die Fenster fällt, leuchtet in dem Gold wie die Sonne. Es ist eine wunderbare Stimmung. Vor dem Altar ist eine riesige Gruft, nach oben offen. Darin ist das Grabmal Napoleons. Die Franzosen haben hier wirklich was Feines geschaffen.

Nachher fuhren wir zum Hotel zurück und tranken etwas Kaffee. Dann machten wir einen Bummel über die schönen und breiten Boulevards, sahen uns die Geschäfte und das Treiben an. Geschäfte gibt es da, da gehen einem die Augen über. Moden, Hutgeschäfte, da bist Du einfach paff. Da könnte sich mein Frauchen ausstaffieren wie eine Fürstin. Gegen Abend frug der Chef: Was wollt Ihr denn nun machen, wollt Ihr lieber nackte Mädchen sehen für teures Geld oder lieber in anderen schönen Lokalen gemütlich etwas Leckeres essen und ein Glas Bier trinken.

Ich entschied mich direkt ... na wofür denkst Du denn? Also suchten wir verschiedene Lokale auf, wo wir tatsächlich ein (es wurden auch mehrere) Glas Bier tranken und etwas aßen. Und zwar Hühnerschenkel mit Pommes-frites und einen ganz, ganz fabelhaften Tomatensalat. Sittsam begab ich mich V vor 11 in mein Hotel. Am anderen Morgen machten wir nochmal einen Bummel und des Nachmittags wieder eine Fahrt durch Paris. Anschließend fuhren wir dann wieder „heim“.

Die Fahrt hat mich nun über 20,- RM gekostet. Aber es hat mich nicht gereut. Außerdem sind darin inbegriffen: 3 200-Gramm-Tafeln Schokolade, ein 3-Jahres-Hochzeitsgeschenkchen für mein liebes Frauchen und eine Kleinigkeit für Dorotheechen. Ich werde die Sachen wieder gelegentlich einem Urlauber mitgeben.

Die beiden Tage haben in mir die Gewißheit gegeben, daß ich diese schöne Stadt einmal an der Seite meines ebenso schönen Frauchens sehen werde.

Und nun schließe ich meinen „Bericht“, aber nicht, ohne vorher meine liebe, liebe Elsbeth beim Kopf zu nehmen und ihr

einen festen und innigen Kuß zu geben. Ich küsse Dich überall hin und will Dir alles Schöne und Gute antun. Ich küsse Dich auf Deine schöne Brust und drücke mich ganz fest an Dich. Und wenn das andre Schöne geschehen ist, schlafen wir zusammen selig ein und einer denkt nur an den anderen.

Ich bin immer Dein treuer
Hannes