Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 29. Oktober 1943

29. Oktober 1943

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Zuerst einen ganz herzlichen Gruß.

Heute habe ich gepackt. Und zwar alles für zu Hause. Eine Kiste und ein Koffer ist es geworden. Die beiden Stücke gehen mit einem Sammeltransport des Batl. bis München und werden von da verschickt. Hoffentlich geht alles gut, daß es ankommt. Es sind Privatsachen, die von der Einheit nicht mehr wegen knappen Laderaums mitgeführt werden können. Die Hauptsache sind etwa 20-25 Pfund Fleisch, Wurst, Ölsardinen.

Dann 1 lederne Schreibmappe
1 Fohlenmantel, für Dich zu groß, daher umändern
einige Paar Männerschuhe
3 Paar Damenschuhe
1 ’’ Damenhandschuhe
1 ital. Uniformhose u. Rock
eine Anzahl Handtücher
ein Unterhosenbein voll Zucker
Socken, Strümpfe, Damen- u. Kinderstrümpfe
1 Stück billigen Stoff
billige Wolle

2. 11. 43

Soweit bin ich gekommen. Dann kam ein Funkspruch. Dieser Spruch bedeutete wieder: raus Tag und Nacht sprengen, verminen, sperren. Hunderte von Bäumen, in der Hauptsache Edelkastanien bis zu einem Meter Durchmesser, wurden so gesprengt, daß sie quer über die Straße fielen. Brücken wurden zerstört, Trichter in die Straße gerissen von 20-80 m. Aber nun - - - unser Auftrag ist erfüllt. Jetzt warten wir 10 km hinter der Front auf Abmarschbefehl, der

wahrscheinlich morgen zu erwarten ist. Dann geht’s weiter nördlich. Die Ausbildung beginnt wieder in frischem Maß. Um mich brauchst Du also vorläufig mal wieder nicht die geringste Sorge zu haben. Wo wir jetzt hinkommen, soll es noch elektr. Licht, regelrechtes Zivilleben mit Eissalons, Weinkneipen usw. geben. Wir können uns nicht mehr einfach nehmen, was wir brauchen. Müssen uns dann mächtig umstellen. Vielleicht komme ich dann auch wieder zum regelmäßigen Schreiben. Du armes Weib mußt Dich ja in letzter Zeit arg vernachlässigt gefühlt haben. Aber bitte, bitte, nimm es nicht als Schreibfaulheit auf.

Der letzte Einsatz war zackig. Der Wald und die Berge dröhnten und hallten des nachts wider von unseren Detonationen und dem feindl. Trommelfeuer. Man unterschied nachher kaum noch zwischen Sprengung und Arie-Einschlägen. Das Gedröhne und Gekrache, das Niederbrechen der Bäume, Hochgehen der Brücken, Zusammenbrechen der Häuser war eine einzige Lärmfanfare.

Aber nun zu den Sachen. Hoffentlich kommen sie gut an. Schreibe mir sofort, wenn Du die beiden Sendungen bekommst. Kannst Du mit den Sachen etwas anstellen???

Dumme Frage, was? Die Schreibmappe ist doch schön, nicht? Was Du mit dem Mantel machst, weiß ich nicht. Kannst Du was damit anfangen? Die Schuhe. Vielleicht kann mein Vater ein Paar gebrauchen. Für mich hälst Du auch einmal ein Paar. Dein Vater wird ja wohl als Schuhmacher noch haben. Mit den anderen kannst Du vielleicht „Verbindungen“ aufnehmen. Passen Dir die weißen Schuhe? Ich finde sie sehr schön. Die anderen 2 Paar wirst Du vielleicht nicht tragen können oder wollen, reichen dann aber ebenfalls noch für „Verbindungen“.

Mit der ital. Uniform könnte ich mir mal einen Sportanzug machen lassen. Solltest Du aber anders entscheiden – meinetwegen für Dich ein Jackenkleid, oder für einen der Väter – mir ist alles recht, was Du machst. Ob der Stoff gut ist, weiß ich nicht. Handtücher können

ja auch gebraucht werden. Wenn Du den Zucker „nicht gebrauchen“ kannst, „schmeiß ihn weg“! Das übrige, Socken, Strümpfe, Wolle usw. mußt Du eben sortieren und entsprechend einteilen.

Die Hauptsache ist ja das Fleisch, die Wurst und die Ölsardinen. Tu mir da den Gefallen und benutze diese Sachen gerade recht fleißig. Ich weiß nicht, wie lange sich das Zeug hält. Nicht daß was schlecht wird. Sollte ich einmal in Urlaub kommen und die Büchsen stehen noch restlos, fein säuberlich eingeteilt im Schrank, werde ich ernstlich böse und „fahre direkt wieder fort“. Wenn diese Drohung nichts nützt, weiß ich nichts Schlimmeres. Also, sei so gut und „reize mich nicht zum Äußersten“.

Im Augenblick liegen wir bei einem kleinen Städtchen, das so malerisch im Berg liegt, daß man sich nicht satt sehen kann. Dahinter steigen die Berge steil auf. Vor uns liegt der Höhenzug, um den Tag und Nacht erbitterte Kämpfe toben. Abends ist alles in eine satt-violette Farbe getaucht, die man bei uns nicht in der Landschaft kennt. Es ist ein herrlicher Anblick. Und am selben Anblick können wir uns und der Tommy erfreuen. Weshalb muß eigentlich Krieg sein? Weshalb müssen alle die schönen von Menschenhand geschaffenen Dinge, wie alte Städte, Häuser, Brücken usw. restlos und nachhaltig zerstört werden? Die Zerstörung muß ja sein, weil Krieg ist. Wann nimmt der Krieg aber ein Ende. Das Land wird buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht.

Wer hat daran den meisten Anteil? — Wir Pioniere! Aber nun weg von diesen Gedanken.

Ich nehme Dich jetzt auf meinen Schoß und drücke Dich ganz fest an mich. Ich küsse Dich ganz innig auf Deinen lieben Mund und bin immer
Dein Hannes.