Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 20. Januar 1940

20. Januar 1940

Liebe Elsbeth!

Das Leben hier geht nun wieder seinen gewohnten Gang. Es ist allerdings im Augenblick sehr viel Arbeit für mich. Seckelmann, Mergen und Mertgen sind alle zusammen in Urlaub und so hängt die ganze Arbeit fast allein auf mir. Ich konnte Dir am ersten Tag auch keinen längeren Brief schreiben. Es ist komisch, je öfter man in Urlaub kommt je schwerer ist der Gedanke, daß es bis zum nächsten Urlaub länger dauern kann. Ich bin tatsächlich im Moment in einer miesen Stimmung, so richtig habe ich „et ärme Dier". Dazu bin ich auch ganz allein. Komisches Gefühl, wenn ich dran denke, daß ich jetzt mal zum Lokus müßte. Ich kann doch nicht aus der Bude raus. Aber was nützen trübe Gedanken und ich will Dich damit nicht länger belasten. Also Kopf hoch und an etwas anderes gedacht. (Es gibt ja viele Soldaten, die es hundertmal schlimmer haben.

Also, heute hat es wieder mal geschneit. An Stellen meinetwegen in einem Graben, wo sich der Schnee etwas zusammengeweht hat, könnte man bis an die Brust im Schnee stehen. Es ist draußen wieder so schön, wie am Neujahrsmorgen. Schade nur, daß man nicht mal wieder so durch die Herrlichkeit laufen kann. Von den Dächern unserer Hütten

hängen dicht Stück an Stück halb- bis dreiviertelmeter dicke Eiszapfen herab. Ein malerisches Bild. Der Bach ist fast bis auf den Grund eingefroren und morgens müssen Männer mit schweren Pickeln das Eis aufbrechen, damit die Kompanie mit dem unentbehrlichen Wasser versorgt bleibt.

Unser „bescheidenes Abendbrot" war heute gute Butter mit schönem Schinken. Jawohl: Schinken. Aber das ist auch gut, daß man so für uns sorgt. Wie gerne wäre ich mit Margarine und Marmelade bei Frauchen zu Hause in unserem so schönen und gemütlichen Heim.

Die noch zu Hause sind, können das kaum zu schätzen wissen. Wie gerne gönnte ich ihnen die gute Verpflegung, dann aber auch das andere Leben hier. (Möglicherweise reißen sie unter Umständen noch die Klappe auf über das „gute Essen" an der Front und über ihre bescheidenen Portionen.)

Und nun, liebe Elsbeth, will ich Dich zum Schluß recht von Herzen grüßen und Dir nochmal sagen, wie schön es bei Dir und Dorotheechen war, wie lieb ich Dich habe und wie groß meine Freude darüber ist, daß wir uns so ganz haben. Gerade jetzt, wo man getrennt ist, fühlt man doppelt füreinander und alles, was man füreinander übrig hat, drängt sich in kurzen Tagen so zusammen. Ach, jetzt darfst Du natürlich nicht denken, daß das Gefühl, wenn wir getrennt sind, schwächer ist. Aber das ist ja alles so klar, daß ich es eigentlich garnicht zu schreiben brauchte. Immer bin ich

Dein Hannes