Johannes Ließem an seine Tochter Dorothea, 19. September 1940

19. September 1940

Mein liebes, kleines Dorotheechen!

Vati weiß, daß Du ihm auf seinem Bildchen viele Küßchen gegeben hast und auch so lieb zu der guten Mutti warst. Das hat den Vati sehr gefreut. Auch weiß Vati, daß Du solche Freude an den Schühchen aus Frankreich hast. Das Dorotheechen muß immer solch ein rechtes Sonnenscheinchen, so recht froh und lieb und glücklich bleiben. Dann geht es Dir auch einmal so, wie der lieben Mutti und dem Vati, die heute ein so schönes Fest feiern. Nur tut es Vati leid, daß er an diesem Tag nicht bei der guten Mutti und dem lieben Dorotheechen sein kann. Er muß ja mithelfen daran, daß Ihr beide nicht soviel Kummer und Leid habt, wie es den Franzosen gegangen ist, denen man die Häuser kaputtgemacht hat und auch die Kinderbettchen, die armen Püppchen und die schönen Spielsachen sind auch kaputtgegangen und die Muttis mußten mit den kleinen Kindern weit, weit fortlaufen, sodaß ihnen die Füße arg wehtaten und sie bekamen dann auch nur ganz wenig zu essen und mußten im Wald bei Regenwetter schlafen. Und nun, als sie wieder zu Hause ankamen, waren alle die schönen Sachen kaputt.

Und siehst Du, damit es der lieben Mutti und meinem kleinen Sonnenscheinchen nicht auch so ergehen sollte, mußte der Vati mit vielen, vielen anderen Vatis hinausziehen und all die lieben Muttis und die kleinen Kinderlein beschützen. Da kann das Dorotheechen später auch einmal stolz sein.

Ich gebe Dir nun ein schönes Küßchen und grüße Dich ganz herzlich.

Ich bin immer Dein treuer Vati