Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 3. Juni 1940

3. Juni 1940

Liebe Elsbeth!

Ja, liebe Elsbeth, so leben wir. Da kannst Du Deine Augen aufreißen. „Grand Hotel du Parc“.

Also, zuerst mal einen recht herzlichen Gruß und festen Kuß. Den Brief, den ich Dir im Waggon schrieb, habe ich am Hagener Bahnhof abgegeben. Hoffentlich hast Du ihn auch bekommen. Stell Dir mal vor. Wir sind durch Königswinter gekommen. Ich sah Godesberg mit der Godesburg und im Geiste Dich und Dorotheechen vor mir. Aber unerbittlich fuhr der Zug weiter. Wir sind bis zu einer Grenzstation gefahren und wurden dort ausgeladen. Am selben Tag mußte die Truppe in großer Hitze noch über 30 km auf schlechten Straßen und durch Berg und Tal mar­schieren. Mit dem Chef, einem Uffz. fuhr ich die ganze Strecke mit dem Auto. Der Uffz. und ich mußten Quartier machen. In dem Ort, wunderbar gelegen und nur für Fremdenbetrieb ein­gerichtet, sind ca. 2000 Flüchtlinge. Hier hat der Krieg keine Spuren hinterlassen. Aber das war vielleicht eine Arbeit, 1.000 Einwohner, 2000 Flüchtlinge und dann noch den Haufen Soldaten. Morgen werden wir mit Omnibussen zu unserer Einsatzstelle geschafft. Wie das mit der Postbeförderung ist, weiß ich nun noch nicht, wie lange die läuft usw. Beunruhige Dich daher nicht, wenn mal längere Zeit vergeht, bis der nächste

Brief kommt. Mir wird es ähnlich gehen.

In diesem Hotel du Parc habe ich diese Nacht geschlafen. Hier liegt nämlich unser Stab. Diese Nacht schlafe ich auch nochmal hier. Allerdings wird das Vergnügen kurz sein. Um 3 Uhr diese Nacht geht's schon ab.

Ach, liebe Elsbeth, ich bin so hundemüde von der ganzen Umherrennerei, daß mir bald die Augen zufallen. Wenn der Marsch für die Truppe auch anstrengender war, als meine Tätigkeit als Quartiermacher, so war doch damit eine Umherrennerei verbunden, die sich gewaschen hat. Von der Ortskommandantur zum Bürgermeister, von da zu den Quartieren. Des Abends um V 7 habe ich seit des morgens zum erstenmal etwas essen können. Nachher habe ich noch bis 11,00 Uhr Quartierabrechnungen gemacht. Im Augenblick sitze ich auf der Terrasse des Hotels und habe den schönsten Blick auf die Berge und das Städtchen. Wunderbar stehen die Schattenrisse der alten Burg und Kirche oben auf der Höhe der riesigen Benediktinerabtei gegen den Himmel ab. Und nun wird es dunkler und immer dunkler.

Jetzt herze und küsse ich Dich ganz feste überall hin; denn je weiter ich von Dir fortrücke um je größer ist mein Verlangen nach Dir. Zum Schluß küsse ich Dich ganz fein und zart auf zwei rosige liebe Stellen und will dabei denken, daß ich ganz nah und fest bei Dir bin. . . .

Ich bin immer Dein lieber und getreuer

Hannes