Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 12. Juli 1943

12. Juli 1943

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Gestern zu schreiben, war nicht nötig, da die Post doch erst heute Mittag abgeht.

Aber, gestern, gerade am Sonntag, war ein Festtag für mich. Nach über 2 Wochen postloser Tage kam Dein erster Brief an. Es ist der vom 6. Juli, also neue Post. Die alte schwebt noch in der Gegend. Sie ist irrtümlich weiter nach dem Süden gelaufen. Hoffentlich kriege ich sie nochmal zu sehen. Aus Deinem Brief lese ich, daß Du drei Päckchen Päckchen an mich abgeschickt hast, zwei wertvolle (wahrscheinlich mit Kuchen.

Zigaretten kann ich jetzt eine Zeitlang in der Kantine kaufen. Nur teuer. Das Stück etwa 8 ½ Pfennig.

Deinem Brief lag auch die Aufstellung „Mein Hab und Gut“ bei. Habe ich aber da gestaunt, was wir uns im Laufe der Jahre ein Zeug zusammengespart haben. Die Aufstellung hast Du ja mit sehr viel Sorgfalt zusammengestellt. Jedes einzelne Pöstchen habe ich mir andächtig angesehen und dabei ging ich mit Dir durch die Zimmer, es war so schön, daran zu denken. Der Wert ist bescheiden gerechnet. Nach heutigen Verhältnissen würde das Ganze heute, wenn man es bekäme, 20.000 RM bestimmt kosten, ohne daß man Wucherpreise bezahlen müsse. Rechnet man für Alter und Verschleiß 5.000 RM ab, käme man also heute bei Zeitwert schon auf 15.000 RM. Jetzt gehe hin und erhöhe unsere Feuer-, Einbruch- u. Wasserschädenversicherung sofort auf die Summe von 15.000,– RM. (bei Kallmeyer). Es ist sehr schön, daß Du die Aufstellung gemacht hast.

Heute ist Braun 4 Wochen in Sonderurlaub (vom W.B.K. angeordneter Ernteurlaub) gefahren. Er hat ja etwa 500 Morgen zu bewirtschaften. „Hätte ich Zulassungsmarken, würde meine Frau Dir ein Päckchen schicken“, sagte er zu mir. Darauf ich schlagfertig: „Die habe ich nicht, ich gebe Dir aber dafür die Adresse meiner Frau“. Jetzt bin ich mal gespannt, ob er daran denkt. Er hat mir von seinem Geld, das er für die 4 Wochen bekommen hat, 300 Lire geliehen. Jetzt kann ich

meine Kantinenschulden bezahlen und habe bis zum nächsten Wehrsoldempfang in 9 Tagen noch etwa 100 Lire (13,15 RM) über für Obst usw.

Eins lese ich zwischen den Zeilen in Deinem Brief, was mich bedrückt. Dir geht es augenblicklich wieder schlecht. Dazu die Krankheit mit Dorotheechen, die Einmacherei, Einkaufen, hämische Bemerkungen von seiten Leuten, die vollkommen dumm zu sein scheinen. Das alles gibt ein bedrückendes Bild der augenblicklichen häuslichen Verhältnisse. Leider kann ich von hier aus nichts dran ändern, ich kann mir nur Sorge machen. Ich wünschte doch so sehnlich, Dich mal so richtig in ordentlichen Verhältnissen zu wissen. Dazu immer noch der Fliegeralarm. Es ist zu dumm.

Ich habe mit meinem Zug im Augenblick sehr viel zu tun. Sämtliches Gerät muß überholt werden, Motore in Ordnung bringen, Bootskörper überholen. Sie werden gedichtet, gestrichen, Schreinerreparaturen werden daran gemacht, Vierlinge geflickt. Und außerdem sollen sie alle mit Streben für Fahren auf See versteift werden. Und dann habe ich einen abgestellt, der ein „von mir entworfenes Zeichen“ draufpinselt. Es sieht ungefähr so aus:

[Abbildung]

Der Bootskörper ist dunkel und der Hai mit den paar Wellenandeutungen u. der Bootsnummer sind in weißem Lack. Das ganze ist in Wirklichkeit noch viel schmissiger. Der Chef war, als er es sah, von der Idee ganz begeistert. Ein paar Mal kommt er nun am Tag und sieht, wie weit es mit dem „Hai“ gediehen ist. Wir haben von dem Zeichen eine Schablone angefertigt, damit es auf jedem Boot gleichmäßig wird. Länge des ganzen Zeichens: 80 cm.

Im Übrigen scheint die Sonne immer noch so warm, wie am ersten Tage. Aber es ist erstaunlich, wie schnell man sich daran gewöhnen kann. Am ersten Tag dachte ich, wie kann man überhaupt bei einer solchen Hitze arbeiten und jetzt!! Auch Sonnenbrand bekomme ich keinen mehr, nachdem sich die Haut 3 mal geschält hatte. Durchfall habe ich kaum noch und Leibschmerzen überhaupt keine mehr. Auch die Fieberanfälle haben sich seit damals nicht mehr wiederholt. In die Hose habe ich schon 14 Tage lang nichts mehr gemacht. Was ich hier schreibe ist ehrlich. Mir geht es gesundheitlich gut. Ich wollte nur, ich könnte dies doch ein einziges

Mal von Dir annehmen. Mein Ausschlag ist nun endgültig weg. Nur die Haut, es war nämlich ziemlich stark, von der Lippe bis hoch in die Nase herauf, ist noch ganz dünn und empfindlich. Rasieren kann ich mich noch nicht. Das Schnurrbärtchen ist aber inzwischen so gut entwickelt, daß ich es schon mit der Schere stutzen muß.

Und nun, liebe Elsbeth, nochmal einen herzlichen Dank für Deinen lieben Brief.

Ich nehme Dich auf meinen Schoß, küsse Dich innig auf Deinen lieben, guten Mund und auf Deine schöne, liebe Brust. Ich bin immer Dein Hannes.

[Die markierten Buchstaben: Sizilien]