Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 16. Juni 1943

16. Juni 1943

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Nun bin ich wieder bei der Brüko. Schön waren die Tage am Meer. Die Sturmbootprüfung haben wir nun glücklich hinter uns. Es waren harte und sehr arbeitsreiche Tage, aber wenn man so darauf zurückblickt, sieht man nur das Schöne. Z. B., herrlich waren die Fahrten auf dem Meer bei hohem Wellengang. In einer Nußschale, 6,00 m lang, 1,65 m breit, jagt man mit einer Stundengeschwindigkeit von 35 km über die hohen Wellen. Läßt man den Motor mal in einer kritischen Sekunde etwas loser, oder geht man verkehrt in eine große Welle, schlägt das Boot unbedingt voll Wasser und man kann, anstatt mit 30 PS, mit „eigener Schwimmkraft“ zusehen, daß man wegkommt.

Auch die letzte Gefechtsübung war schön. Neun Boote waren fahrbereit und wir flitzten in Kiellinie durchs Wasser. Alles Stahlhelm auf, M.G. im Bug und so ging es kurz vor der Landung aus der Kiellinie heraus und in breiter Front auf den Strand zu, mit M.G.-Geknatter und brausenden Motoren.

Die Arbeit ist ja jetzt, auch wo ich wieder hier bin sehr viel. Das Gerät ist durch manche Transporte, vielen Gebrauch, stark mitgenommen. Und nun heißt es, von ganz unten anfangen aufzubauen, vom kleinsten Schraubenzieher, über das Flicken der Floßsäcke bis zur Überholung der Boote und Motore. Aber, gerade das, der Aufbau des Gerätes u. des Zuges macht Spaß. Ich wollte jetzt nur, ich wäre im Vollbesitz meiner Frische. Aaaber, der Durchfall. Das macht einen derart schlapp, daß man sich zu jedem Beginnen erst regelrecht aufrappeln muß. Schreiben tue ich jetzt nur noch spät abends bei Licht (s. Karbidlaterne u. bis 22 Uhr sogar elektr. Licht). Es sind jetzt gerade 22.30 Uhr. Eine herrliche Kühle herrscht im Zelt. Ich habe mir meinen warmen, schönen, wollenen Tropenpullover angezogen und den warmen Rollkragen bis ans Kinn heraufgezogen. Dazu noch den Rock an. So ist es herrlich erträglich. Sobald die Sonne

untergeht, schlägt die Hitze in eine empfindliche Kühle um.

Außerdem habe ich hier mit Oberfeldw. Braun allein ein Zelt, wo 20 Mann drin schlafen können. In einer Ecke haben wir unser Lager mit Moskitonetz, in der anderen Ecke liegt unser Gepäck und der ganze übrige Raum, in der Mitte etwa 2,50 m hoch ist Aufenthaltsraum. Wir haben uns heute ein Tischchen und eine Bank bauen lassen. Vor dem Zelt steht ein Waschbock. Am Tag steht Tisch und Bank vor dem Zelt, abends drin. So ist es ganz nett.

Ja, Braun, den alten Kumpan von Velten habe ich hier wiedergetroffen. Er ist Zugführer des 1. Brückenzuges. (Ich bin mit meinen Booten, Floßsackfähren, Kradschützensteg sowas ähnliches wie „Flotillenchef“) An einem Brückenzug hätte ich keine Freude. Man hat da 14 Brückenfahrzeuge mit 14 Lastw.-Fahrern u. 14 Beifahrern, dazu 2 Uffz. Die Tätigkeit besteht darin,

daß, wenn eine Kompanie eine Brücke baut, mit so und soviel Fahrzeugen dahin fährt. Also, Braun läßt Dich herzlich grüßen.

Und nun zu Deinem lieben Brief mit den Bildern. Dorotheechen ist ja so lieb getroffen, daß es eine Freude ist, die Bilder anzusehn. Auch Du bist mir durch das Bild ganz nahe. Aber, in Wirklichkeit siehst Du viel frischer und viel jünger aus. Habe Dank für die Bilder.

Silbergeld kann man hier gebrauchen. Man bekommt sogar mehr dafür, wie deutsches Geld im Kurs steht. Aber es ist verboten, es zu schicken.

Meine augenblickliche Barschaft beträgt 20 Lire (2,70 RM). Kaffee kann man hier nicht kaufen. Strümpfe kann man auf der Straße bei fliegenden Händlern kaufen, obwohl es verboten ist.

Ein Uffz. wollte 5 Paar bei seinem Urlaub mit über die Grenze nehmen und wurde geschnappt. (4 Monate Gefängnis.)

Ich muß mal sehen, daß ich meine Zulassungsmarken kriege. Die schicke ich Dir dann. Vielleicht gibt’s dann mal einen dicken Gruß aus der Heimat.

So, und nun grüße ich Dich und Dorotheechen recht herzlich. Ich küsse Dich innig auf Deinen lieben, guten Mund und bin immer Dein
Hannes