Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 4. Juni 1940

4. Juni 1940

Liebste Elsbeth!

Heute habe ich zuerst mal etwas vom Krieg gesehen, d. h., wo er gewütet hat. So ein verlassenes Dorf oder eine verlassene Stadt, die eine Zeitlang beschossen wurde, sieht einfach trostlos aus. Kahle Mauerreste, aus Schubladen und Kommoden alles herausgerissen und im Zimmer ver­streut; Wäsche, Toilettensachen, Kleider Töpfe und Teller und Schmuckgegenstände, Uhren, alles bildet einen einzigen wüsten Trümmerhaufen. Besonders, wo Schwarze waren, ist es beson­ders schlimm.

Ich schrieb Dir gestern abend aus Clerf. Heute wurden wir durch den südlichen Teil von Luxem­burg, Belgien und einen Teil ins nach Frankreich hinein transportiert. Wir liegen nun in dem zerschossenen Mezieres b/ Charleville. Wir von der Schreibstube und den Ordonnanzen haben uns eine Dreizimmerwohnung (Küche, 2 Schlafzimmer, ein Wohnzimmer) gesichert. Man sieht, daß die Bewohner das Haus fluchtartig verlassen hatten, denn auf dem Tisch stand noch ein Stück Eierpfannkuchen und sonstige angegessene Sachen. Es ist nun für uns schön, Eßgeschirr und alles, was man so braucht, ist da. Nur das Niederdrückende ist eben die Verwüstung, ferner, daß kein einziger Bewohner geblieben ist. Der Kampf ist hier vorbei und wieder manche km nach vorne getragen. Auf dem Wege hierher sahen wir einen überhaupt nicht endenden Zug von zigtausend Gefangenen. Es waren Belgier, Franzosen, Engländer und viele Schwarze und Braune mit ihren roten Filzmützen. Aber derart zerrissen und abgekämpft wälzte sich der viele Kilometer lange Haufe über die Chaussee, daß es einen erbarmen konnte.

Stell Dir mal vor, wir fanden im Küchenschrank Kakao, Bohnenkaffee, ca. 2 Pfd. gute Butter, Schmalz und 2 Liter Öl. Abgesehen von Makkaroni usw., was es ja bei uns auch gibt. Leckere Düfte umschweben

schon meine Nase, denn es gibt roh gebratene Kartoffeln (in guter Butter von unserer Ordonnanz gemacht) und Makkaroni, ebenfalls mit guter Butter. Über mich darfst Du ganz beruhigt sein, denn hier finden keinerlei Kampfhandlungen mehr statt. Morgen werde ich in aller Ruhe meine Schreibstube einrichten.

Die Fahrt heute in den Omnibussen war herrlich. Sie ging quer durch die Ardennen. Nur die zerschossenen Dörfer mit Pferdeleichen usw. waren weniger schön.

Und nun liebe Elsbeth, denke ich an Dich und an Dich und nochmal an Dich. Wie froh ich bin, daß ich Dich habe, geht mir immer mehr und mehr auf. Ich habe dich so von Herzen lieb, daß ich dich mal so recht am Kopf nehme und Dich immer wieder küsse — überall hin und immer wieder nehme ich Dich fest in meine Arme und drücke Dich ganz fest an mich, auf das Du mir niemals verloren gehst. So gern habe ich Dich, daß ich gar nicht weiß, was ich Dir antun soll. Und so sage ich Dir jetzt auf Wiedersehen und ich bin immer Dein treuer

Hannes

Grüße bitte Deine u. meine Eltern usw. Ich habe wenig Zeit zum Schreiben.