Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 1. Juli 1944

1. Juli 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Über einen Monat bin ich jetzt schon wieder von Dir weg. Und bisher habe ich einen einzigen Brief von Dir bekommen. Ich bin überzeugt, daß Du öfter geschrieben hast, aber wo mögen sie nun stecken? Hoffentlich sind meine Päckchen für Dich alle angekommen. Es ist doch immerhin für viele hundert Mark Zeug und Du kannst es gut gebrauchen. Den Käse habe ich noch immer hier. Der hält sich monatelang.

Mit unserm Lehrgang geht es jetzt „körperlich“ besser. Keine Schikaniererei. Wir haben fast nur noch Unterricht. Aber, Du kannst Dir denken, daß dafür die Abendstunden und die Nacht manche Sätze geschrieben werden. 5-6 Unterrichtsthemen am Tage und abends Ausarbeit ist ein Ding, daß einem der Kopf raucht.

Wir machen es schon so, daß der eine auf Stube das ausarbeitet und der andere jenes. Einer

vervielfältigt sie dann auf Schreibmaschine, so daß dann nachher jeder eine Arbeit des betr. Themas hat. Und trotzdem kommt man nicht aus dem Rückstand heraus.

Heute haben wir nun die Hälfte hinter uns. Nächste Woche soll das Bergfest steigen.

Ich habe für uns Ältere immer noch keine Hoffnung. Sollte es, wie ich erwarte, nichts werden, habe ich trotzdem etwas profitiert. Ich lerne viel durch diesen Lehrgang, wenn auch hauptsächlich nur Militärisches. Aber auch viel Allgemeinwissen, Vorbereiten und Halten von Vorträgen.

Am Dienstag kommt der General zur Besichtigung. Wir haben am Sandkasten zu spielen. Ich weiß nur nicht, ob Du Dir da was drunter vorstellen kannst. Es ist ein flacher Kasten von 2 x 3 m. Aus Sand wird nun nach einer Karte ein Geländeabschnitt naturgetreu, natürlich in verkleinertem Maßstab, geformt. Berge, Gräben und Flüsse. Bäume und Wälder werden durch Tannenspitzchen dargestellt, Wege durch buntes Pulver, auch Wasser. Häuser, Kirchen, Ortschaften durch kleine, geschnitzte Holzhäuser. Dorotheechen würde ihre

Freude an der schönen Landschaft haben. Es sieht auch wirklich schön aus.

Nun werden Soldaten, Uffz., Offz., Maschinengewehre, Kanonen, Panzer usw. durch mit den betr. taktischen Zeichen bemalte kleine Holzklötzchen hergestellt. Feind rot, eigene blau. Das Spiel kann nun beginnen.

Der Leiter gibt nun eine Lage, d.h. er sagt: Feind hat mit schwachen (oder starken) Kräften diese Höhe besetzt seit gestern 23 Uhr. Erkannt sind an dieser oder jener Waldecke 2 SMG, sonst nichts bekannt. Brücken sind gesprengt usw. Dann: eigene Lage. Das Batl. hat dann und dann den und den Ort erreicht. Soll mit der 2. Komp. im Morgengrauen angreifen.

Dann kommt noch Gefechtsstand, Aufträge, Verpflegung, Verbandsplatz, Munitionsnachschub usw.

Nun geht’s los: O.Feldwebel A, sein Komp. Führer, Feldw. B: Zugführer I. Zug, C 2. Zug, D 3. Zug, Uffz. E, Gruppenführer 1. Gruppe usw. Vorgesetzte einer ganzen Komp. werden so eingeteilt. Jetzt muß nun Jeder seine Aufträge und Befehle, genau wie draußen geben und die betr. Figuren setzen, ein strategisches Schachspiel. Da gibt’s dann

meist große Diskussionen. Der Eine würde es so machen, der andere so. Aber interessant ist es.

Aber nun habe ich solange gefachsimpelt. Aber, es ist ja so, daß man nichts Besonderes erlebt und aus dem Tage erzählt. Die Fantasie, den ganzen Tag und die halbe Nacht mit solchen Sachen beschäftigt, muß nun schon im Liebesbrief an Frauchen noch einen Platz einnehmen.

Aber nun will ich Dich aus Herzenslust herzen, liebhalten und küssen. Mir brummt der Kopf und wenn ich bei Dir wäre, würde ich ihn jetzt ganz leise und ruhig an Deine schöne Brust legen und ganz ruhig sein. Nur ab und zu würde ich ganz innig und zart die schönen Knöspchen küssen. Ich möchte mich ganz an Dich kuscheln und sein, wie ein kleines Kind, das sich in Deinen Armen wohl und geborgen fühlt.

Ich sage Dir „Gute Nacht“ und bin immer Dein
lieber Hannes.