Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 23. April 1944

23. April 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Nach meinem Kurzbrief nun ein in Ruhe am Sonntagmorgen geschriebener Brief.

Recht herzlichen Dank für Deine letzten 3 Briefe. Zwei davon sind noch hoffnungsvoll und der vom 15. April zerschlägt wieder alle Hoffnungen. Ich bin immer noch in einer Stimmung, als ob mich Jemand vor den Kopf geschlagen [hätte]. Meine Freude war ja so groß gewesen, daß nun endlich etwas geschah – und nun das Neue wieder.

Es ist fast so, als ob wir Beide mit dem Krieg allein noch nicht genug hätten. Ich „hoffe“ nun auf Oberstdorf. Sollte das nichts werden, würde ich Dir empfehlen, doch mal in den Schwarzwald zu fahren. Josef und Gretl Jäger werden Dir in St. Märgen doch sicher auch etwas Ruhe bieten können. Freilich ist es kein gepflegtes Krankenhaus oder Sanatorium mit fließend kalt und warm Wasser, aber Sonne, Ruhe, Bücher und Unterhaltung können sie Dir doch auch bieten. Laß Dir vor allen Dingen von Dr. Zett die Mittel angeben, die zur Gesundung notwendig sind.

Deine Stimmung kann ich mir gut vorstellen und du kannst Dir sicher auch meine Stimmung und meine Unruhe vorstellen. Du mußt unbedingt etwas unternehmen, denn sonst wird es doch sicher immer schlimmer. Ich habe eine solche Angst und Unruhe um Dich. Bei Nettuno im schlimmsten Feuer habe ich nicht eine solche Unruhe gehabt, wie ich sie jetzt um Dich habe. Wenn mal etwas passierte! Solche Gedanken schweben nun immer mir im Kopf. Ich warte täglich immer mit Schmerzen auf Deine Post.

Ich selbst bin, wie ich Dir schrieb, wieder ganz gesund – wie ich nach

meinem Befinden annehmen darf. Und gestern, nun lache nicht, kam mein erstes – im Dezember angefordertes – Weißbrot. Ist das nicht ulkig.

Neuerdings gibt es bei uns hier im Verwalterhaus öfter Artischocken. Oder schrieb ich Dir schon davon. In Deutschland kennt man sie nur in internationalen Hotels und kosten viel Geld. Aber der Verwalter hat sie im Garten. Man kann sie roh essen mit Öl und Salz, gebacken, oder mit Eiern in die Pfanne geschlagen. Das schmeckt fabelhaft. Dies schmeckt wie Pilze.

Manche gebackenen Speisen werden mit Rosmarin gewürzt. Ein eigenartiger, fremder Geschmack. Zu jedem Essen Wein – aber anstatt des Rotweins gibt es seit einigen Wochen einen wunderbaren, naturreinen Weißwein.

Die Blumenpracht draußen nimmt zu, ist aber nicht mehr von dem ersten Frühjahrsschimmer überzogen. Die Palmen sind schon am Verblühen. Es waren riesige Blüten, fast so groß wie ein kleiner Strauch.

Vergangene Woche haben wir als Übung eine Brücke über den Arno geschlagen. 5 ½ Stunden haben wir dazu gebraucht. Der Fluß ist hier 65 m breit. Das nächste Mal, am Dienstag, wollen wir die Zeit um mindestens 1 Stunde herunter drücken.

Wir laufen jetzt schon 2 Wochen in der alten, feldgrauen Farbe herum. Sieht gut aus. Wir tragen zum oben offen getragenen Rock die Gebirgsfeldmütze mit Schirm und Fallschirmjägerhose. Du fragst in einem Deiner früheren Briefe: „Weshalb feldgrau?“ Wir sind seit längerem Fallschirmpanzerdivision geworden. Unser taktisches Zeichen hat sich um einen Fallschirm vermehrt

[Hier folgt eine kleine Zeichnung, die das taktische Zeichen erklärt]

… bedeutet „Fallschirm“
… Zeichen für Pioniere
… Zeichen für Panzer

Ich sitze hier vor dem offenen Fenster und sehe ins weite, sonnige Land. Es ist wie im tiefsten Frieden. Friedlich, sonnig und schön. Weshalb kann nicht wirklicher Frieden sein. Weshalb haben die Völker diesen Haß. Ich möchte sie alle mit auf mein Zimmer nehmen, sie am Fenster hinausschauen lassen und dann ganz ruhig sein und sie ruhig lange schauen lassen. Sie sehen im Hintergrund die Berge mit den alten Dörfern. Direkt unter uns verläuft die Arno-Ebene mit ihren grünen, braunen und gelben Ackerstreifen, mit ihren vielen Gehöften, die friedlich in der Landschaft liegen, 3 Ortschaften, alte italienische Städtchen, Kanäle und Bewässerungsgräben. Es ist ein Bild der Ruhe, des Friedens, der Fruchtbarkeit.

Und nun, meine liebe, liebe Elsbeth küsse ich Dich innig auf Deinen lieben, lieben und guten Mund und drücke Dich fest an mich. Ich möchte Dich so festhalten, daß Du wieder ganz gesund bist. Hoffentlich wird das bald einmal wahr.

Ich bin immer
Dein Hannes.