Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 14. Mai 1944

14. Mai 1944

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Meine Überraschung kannst Du Dir so ungefähr vorstellen, als ich einen Brief von Dir bekam: „Meine ‚Operation’ ist gelungen“. Wie aus heiterem Himmel kam das. Es war auch keine Erklärung dabei, um was für eine Operation es sich handelte. Also lebte ich in Unruhe und Sorge. Dann kam Dein Brief, den Du früher geschrieben hattest, an, in dem Du sagtest, um was es sich handelte. Dann war ich natürlich beruhigt. Aber, Du armes Wurm hast nicht viel von Deiner „Erholung.“

Daß Deine 3 Freunde so rührend sind, ist schön. Ich muß ihnen danken, daß sie meinem lieben Frauchen den Aufenthalt so angenehm gemacht haben. Was Deinen Musiker anbetrifft, habe ich hier so was Ähnliches. Die junge Frau, von der ich Dir schrieb, ist ja nicht mehr hier. Sie kommt aber in der Woche 2 Tage nach hier. Sie ist eine Meisterin am Piano. Ein bekannter ital. Meister hat über sie geschrieben: “Sie ist nicht nur Meisterin im Spiel, sie ist einfach selbst ganz Musik.“ Wir gingen (Chef und ich) mit ihr, Ihrem Bruder und dessen Frau zu einer ihnen bekannten Familie, die ein Klavier haben. Dann spielte sie Beethoven, Schubert, Chopin. Es war ein herrlicher Abend. Sie spielte so schön, daß man über dem Spiel den Krieg mal für 2 Stunden ganz vergaß. Die Familie, wo wir waren, ist eine sehr nette. Die Mutter hat gute Augen, die beiden Töchter sind sehr nett und fein. Die ältere trauert schon 5 Jahre um ihren Bräutigam, der in Abessinien in Gefangenschaft sitzt. Die andere, jüngere, spricht gut englisch, so daß wir uns sehr gut über alles unterhalten können.

Heute Abend waren die Mädels mit ihren Eltern bei unseren

Quartiersleuten. Es wurde ein recht gemütlicher Abend. Zwei Soldaten von uns spielten Harmonika und Klampfe. Volkslieder, Soldatenlieder und Rheinschlager wie „Warum ist es am Rhein so schön“, „Kornblumenblau“ usw. Wir haben ihnen dann gezeigt, wie geschunkelt wird. Die Alten und die Jungen waren in Stimmung.

Am Samstag, also gestern, war ein Zugabend. Der zweite Zug liegt etwas außerhalb des Ortes in einem kleinen, schloßartigen Gebäude. Sie hatten draußen im Freien Tische zusammengeschlagen und Bänke. Ferner war in einer Stunde eine kleine Freilichtbühne entstanden. Es gab Fleisch, Suppe und Wein. Der Chef, ich und die anderen Feldwebel waren eingeladen. Auf der Bühne wurde manches geboten. 3 kleine Stegreifspiele, ein paar zünftige Gesänge von Afrika, Deutschland, Mexiko (in der Art, wie wir es früher machten), dann von den Leuten selbstverfaßte „Gedichte“, in denen die Vorgesetzten und Kameraden scharf unter die Lupe genommen wurden, einige Fahrtenlieder, die aber, da sie nicht von allen gekonnt, etwas dünn ausfielen. Ein ganz netter, gemütlicher Abend im Freien. Dabei müssen die Leute z.Zt. alle schwer und lange arbeiten. Auch ich habe kaum noch freie Zeit. Wenn wir schon mal einen Abend feiern, sei es bei den Kameraden, sei es bei unseren Quartierleuten, müssen wir meist doppelt nachholen. In dieser Woche habe ich wohl in keiner Nacht länger als 4 Stunden geschlafen. Kaum ist man im Bett, dann gehts schon wieder los, das Kommando muß abgestellt werden oder dieses erledigt sein. Dann hat man bis 2 Uhr nachts noch Zusammenstellungen zu machen usw. Liegt man dann gut, kommt noch evtl. Alarm dazwischen.

Mein Geburtstag hat ist so verlaufen, daß ich morgens von Chef und Kameraden gratuliert wurde. 2 schöne Blumensträuße habe ich bekommen.

Es geht schon wieder los. Ich küsse Dich innig und andächtig auf Deinen lieben, guten Mund und

Bin immer
Dein Hannes.