Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 24. Oktober 1943

24. Oktober 1943

Meine innig geliebte Elsbeth!

Zuerst muß ich meine Gedanken etwas sammeln. Der Kopf ist so voll, daß ich mir ordentlich einen Ruck geben muß. Zuerst mal eine Beruhigungszigarette. Ich danke Dir für Deine drei letzten Briefe. Der erste hatte mir doch einen gelinden Schrecken eingejagt. Dorotheechen, das arme Wurm operiert! Aber heute bekam ich Deine beiden folgenden Briefe, wonach schon alles gut verlaufen ist. Hoffentlich ist es nun endgültig gut. Wie habe ich mich über Deine Briefe gefreut. Im Komp.-Gefechtsstand hatte ich keine Zeit zum Lesen. Ich mußte sie daher im Wagen vornehmen. Übrigens, Du kennst die neue Nummer nicht mehr? Es ist die meiner alten Kompanie (1. Kompanie – Wimmer – ). Wimmer selbst ist ja nach seiner letzten Verletzung – ich glaube, die 10. Verwundung – zum Ersatzbatl. gekommen. Hat augenblicklich noch die Gelbsucht, auch so eine landesübliche Krankheit, und übernimmt dann das Ersatz-batl. Lt. Augenstein ist Komp.-Führer, liegt aber auch augenblicklich im Lazarett und solange führt Kampmann die Kompanie. Er ist leider noch nicht gut zu Fuß. Den Splitter hat man

ihm ja im Lazarett herausgeschnitten, aber nun hat er neuerdings wieder einen Splitter im Oberschenkel und eine Granatsplitterverletzung am Knie. Im Oberschenkel sitzt der Splitter noch, im Knie nicht, doch ist die Kniewunde ziemlich schmerzhaft.

Gestern nacht hat er in den Wagen einen Splitter hineingekriegt, der ihm den Reifen kaputtgerissen hat. Die Operationen sind hier im Augenblick immer noch interessant. Sperren, Verminen, Sprengen, Zerstören. Dabei ist die Landschaft so schön. Schön ist aber auch, wenn man in mühevoller Arbeit eine große Brücke geladen hat und sie geht beim Zünden gut los, daß kein Pfeiler, keine Unterstützung und kein Widerlager mehr steht. Für den Pionier ist es ein erhebender Anblick, zu sehen, wie eine Brücke so wunderbar zerstört wird, oder die Straße durch einen riesigen Trichter aufgerissen wird, oder eine Straße durch mustergültig gesprengte Häuser gründlich gesperrt wird. Ich glaube, ich bringe alles durcheinander. Der Kopf ist mir voll von diesen Sachen.

Du fragst in Deinem Brief nach dem „Dienstmädchen“. Denkst Du, ich würde mir aus eigenen Mitteln ein solches angeschafft haben. Wir hatten damals

80 Italiener zum Arbeiten, die „damals“ noch beköstigt und bezahlt wurden von der Wehrmacht. Darunter befand sich das Mädchen. 3 Tage dauerte es, dann wurde das Kommando aufgelöst und ich versetzt. „Meiner schönen Augen wegen!“ schreibst Du. Hoffentlich bist Du nicht auf abwegige Gedanken gekommen. Jetzt habe ich als Putzer wieder Martin. Ich habe ihn von der Brüko mit herübergebracht.

Deine Päckchen sind nicht angekommen. Übrigens, jetzt habe ich Geld genug, kann mir aber nichts kaufen, sondern muß das, was ich haben will, einfach so nehmen. An Obst haben wir jetzt Äpfel genug. Die Trauben sind alle, doch glaube ich, daß die Apfelsinen nun bald reif werden. Nüsse und Eßkastanien gibts in Masse. Ganze Eßkastanien-Wälder hat‘s hier.

Was fragst Du? Ich und Malaria? Nein! Es waren immer nur so kleine Anfälle, die nach einigen Tagen vorübergingen. Nur der Durchfall bleibt etwas. Aber den haben wir im Augenblick wieder so ziemlich alle. Es wird von dem vielen fettigen Fleisch kommen, was frisch geschlachtet gleich gegessen wird. Meine Angina ist auch wieder voll und ganz behoben.

Daß Franz wieder da ist, ist ja schön, daß er das Führerpaket bekom nicht bekommen hat, ist ja weniger schön. Für Italienkämpfer gibt‘s das Paket jetzt auch. Hoffentlich kann ich es noch tragen, wenn ich einmal kommen sollte. Aaaber, aaaber. - - - !

Über Deinen Gruß hat sich Kampmann gefreut. Heute bekam ich auch beiliegendes „Testament“ vom Amtsgericht in Bonn. Ich finde es so rührend mit Annas silbernen Löffeln, Dessertbestecken und Einzelschlafzimmer mit „Plümo“ usw. Andererseits erinnert es einen so plötzlich wieder daran, daß die gute, sorgende und liebende Mutter nicht mehr da ist. Fremd ist es einem aber doch, eines der letzten schriftlichen Lebenszeichen durchs Amtsgericht zu erhalten.

Und nun fallen mir die Augen schon wieder zu, dabei ist es erst 20,00 Uhr. Trotzdem will ich schon schlafen gehen, erstens, weil ich mich nicht mehr wach halten kann und zweitens: . . . was ist die Nacht wieder los?

Ich küsse Dich ganz innig auf Deinen lieben, guten Mund und bin immer
Dein Hannes.