Hannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 20. Februar 1944

20. Februar 1944

Meine liebe Elsbeth!

Nachdem ich gestern in gedrückter Stimmung – wegen Klaus – an Dich geschrieben habe, will ich heute mehr Deine Briefe als Vorlage nehmen. Hoffentlich habe ich gestern nicht Trübsal geblasen und Du ängstigst Dich dadurch vielleicht. Hab’ um mich bitte keine Bange. Mir macht Bange, daß Du schon wieder zu Bett liegst. Daß da nun gar keine endgültige Änderung eintreten will. Ich kann und will es nicht glauben, daß überhaupt nichts daran zu machen ist. Ich selbst bin nun wieder gesund. Auf der Hinfahrt hatte ich einige schöne und häßliche Tage. Einige schöne insofern, daß ich fast je einen Tag Aufenthalt in Verona und Florenz hatte und mir manches Schöne ansehen konnte und zu Mittag bzw. Abend essen konnte (im Hotel). Ich habe dafür natürlich meine restlichen Lire opfern müssen, aber das ist ja nicht schlimm, ich brauche jetzt ja keine mehr. Unangenehm war der Transport in Zügen, per „Anhalter“ auf kalten, offenen LKW usw. In Florenz wurden wir zu Marschbatl. zusammengefaßt. Nach 2 Tagen Liegen und Transport bin ich mit 4 anderen Kameraden stiften gegangen. Als Einzelreisender kam ich dann schnell zur Truppe.

Und nun zu Deinen lieben Briefen. Daß meine [Truppe] nicht mehr an derselben Stelle liegt, schrieb ich Dir ja gestern. Wir „liegen“ jetzt fast täglich irgendwo anders.

Deine Angst mit Morphium ist unbegründet. Ich bin ja gesund, weshalb soll ich denn so was noch nehmen. Ich bekomme bezw. soll es, lediglich noch Weißbrot. Das ist alles. Also, alles in Ordnung.

Du sollst aber öfter jetzt zu Dr. Blanke gehen, hörst Du, ich bitte Dich herzlichst darum.

Von meinem Lehrgang habe ich noch nichts gehört.

Daß Dorotheechen braver geworden ist, ist ja schön. Hoffentlich bleibt

es so.

Daß Heinz Ritter [ein guter Freund] vermißt ist, tut mir leid. Er war ja noch so kindlich trotz seiner Länge. Vielleicht taucht er doch später noch mal auf. Daß ich hier am Landekopf Nettuno hänge, braucht Dir keine Kopfschmerzen zu machen. Ich habe das ganz bestimmte Gefühl, daß ich Dich gesund wiedersehe. Von Einkesselung ist ja überhaupt keine Rede. Der Tommy ist noch immer eingekesselt und wird langsam, aber ziemlich sicher zurückgedrückt.

Hans Krey kenne ich gut. Er war mal ganz vorübergehend in der Gruppe. Er ist aus Weißenthurn, Bäcker, und war früher einmal in Godesberg beschäftigt. In dieser Zeit hatte er bei Lippai’s Eltern gewohnt und [war] dadurch in die Gruppe geraten.

Mit Lotte und Alex ist schon bald kindisch. Auf der Ehe ruht kein Segen. Sie ist ja auch ohne irgendeinen Segen geschlossen worden. Manchmal kommen einem solche Gedanken.

Heinz [der „kleine“ Bruder von Elsbeth in Russland] hat’s ja scheinbar ziemlich mitgenommen. Wahrscheinlich kommen seine Knochen wieder in Ordnung. Denn, wenn sie ihn in Gips legen, wird ja der Erfolg wahrscheinlich sein. Nach Art des von Dir geschilderten Gipsverbandes wird ihm das Becken etwas lädiert gewesen sein. Grüß ihn von mir.

Nun zu Deinem Brief vom 31. Januar. Da mußte ich einmal still in mich hineinlächeln. Ich bin „erschreckt“ darüber, daß wir nach dem Kriege sooo arm sein werden, daß wir gerade noch soviel haben werden, um nicht am Hungertuch zu nagen. Meinst Du nicht, daß wir für eine Reise mal 1.000 Mark von der Sparkasse opfern können. Ich denke, das habe ich mir, vielmehr wir uns, doch in den Kriegsjahren verdient. Es ist ja schön, daß Du so sparsam bist aber nach dem Krieg werde ich einmal verschwenderisch sein und mich dann wieder „willig“ und „ergeben“ unter Deine liebe, hausfrauliche Fuchtel begeben.

Der Alarm am 4. Februar scheint ja ganz anständig gewesen zu sein. Gelacht habe ich trotz des Ernstes der Situation über Deinen

direkt klassischen Spruch: „Ich dachte, flach bleiben ist das beste“! Ja, das „Flach-bleiben“ ist jetzt auch überall das beste. Dann lebt ihr jetzt ja wie wir. Auch wir haben weder WC noch Wasserleitung, noch Gas und Elektrisch. Aber wir haben uns ja auch schon dran gewöhnt, an so was.

Der Brief von Dorotheechens Namenstag ist schön. Ich kann mir so richtig die Erwartung, das Gespannte, das Ungeduldige und endlich die Freude von unserem Stümpchen vorstellen. Und so Vieles hat sie noch bekommen und so viele Besuche gehabt. Das muß ja ein Jubel und Trubel gewesen sein. Schade, scheinbar ist mein Brief nicht rechtzeitig angekommen.

22. 2. 44

Eben kommt Dein Brief vom 13. Februar. Scheinbar ist das Geburtstagspäckchen auch nicht rechtzeitig angekommen. Nun hatte ich es so gut gemeint und es ist Essig damit. Hoffentlich kommt es überhaupt an.

Ich selbst bleibe vorläufig auf dem Kompanie-Gefechtsstand. Feldw. Back fährt mit den nächsten Leuten zum Genesendenheim und ich mache dann wieder Kompanietruppführer. Unser Komp.-Gefechtsstand ist originell zusammengesetzt. Ein verdrecktes, kleines Bauernhaus ohne Möbel, Ofen usw. fanden wir vorgestern vor. Die Leute hatten auf einem Eisengestell am offenen Kamin gekocht. Nun sind wir mit einem LKW nach Littoria, der neuen Mussolinistadt, gefahren und haben uns dort Möbel geholt. Jetzt ist zwischen den schmutzigen, ärmlichen Wänden hochvornehme Eleganz eingekehrt. Einen sehr schönen Küchenherd haben wir aufgestellt. In der Mitte steht ein moderner Tisch aus poliertem Holz mit 4 Polsterstühlen. An der Wand hängt ein großes Ölgemälde eines bekannten, modernen ital. Malers. In einer Ecke ein rundes dunkelpoliertes Rauchtischchen mit Glasplatte. Daran 2 schöne, helle Polstersessel, die ich schon gern zu Hause hätte. Auf einer Anrichte mit Glasplatte stehen verschiedene Gläser, Sektkelche, Weingläser, Wassergläser, Schnapsgläser aus feinem Kristall. Sie klingen wie eine Glocke, wenn man mit dem Knöchel gegenschlägt. Ein großer Spiegel von einer Frisierkommode

dient uns als „Toilettespiegel“. Ein Ballon Wein sorgt dafür, daß wir nicht verdursten. Die Arbeiten werden auf einem Schreibtisch gemacht, der aus einem modernen Herrenzimmer stammt. „Möbellieferanten“ waren das beste Hotel, das Provinzialgebäude und noch ein anderes Gebäude in Littoria, auch eine Wanduhr mit Schlagwerk (Regulator) haben wir. Seit dem ersten Tag, wo ich bei der Kompanie bin, habe ich aber auch wieder Läuse. Ich habe sie vom Chef und von Back gefangen.

Meinen ersten Brief an Dich, zusammen mit Briefen an Hubert, Vater, Anna, vom 19. Februar, hatte ich jemand zur Besorgung übergeben. Hoffentlich hat er sie auch wirklich besorgt. Höre mal, ob die Briefe zu Hause angekommen sind. Es wäre mir doch peinlich, wenn gerade die Briefe, Klaus betreffend, nicht ankämen. Schreibe mir darüber bitte sofort. Mit der Post ist das ja im Augenblick nicht ganz so einfach. Es ist eben Krieg hier.

Das Land hier ist ungeheuer fruchtbar. Eine Schande, daß alles vernichtet wird.

Hast Du den Ölkanister an Frau Teuchel weggeschickt? Ich habe mit ihm jetzt gesprochen. Du bekommst dann das Öl bestimmt.

So, und nun, liebe Elsbeth, küsse ich Dich ganz innig auf Deinen lieben Mund.
Dein Hannes.

Anmerkung Dorothea Hölzer: Hannes hatte Ende 1943 – Anfang 1944 Morphium bekommen.