Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 18. Oktober 1940

18. Oktober 1940

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Ich bin heute abend so liebebedürftig, daß ich erst einmal Dich umarme und mich etwas bei Dir ausruhen möchte. Weißt Du, so nebeneinander liegen und meinen Kopf an Deine Brust halten und an nichts mehr denken, als nur an Dich und daran, daß ich dann so richtig in

Deiner Liebe geborgen bin. Das Gefühl überkommt mich oft dann so stark, wenn ich Ärger gehabt habe. Und heute mittag hatte ich den übergenug.

Ich habe nämlich wieder einmal Zigarren bekommen, die ich nicht rauchen konnte, die aber eine desto nachhaltigere Wirkung hatten. Noch jetzt steckt mir noch ein richtiger Klos im Hals, obwohl die Sache schon vom Chef abgetan ist. Im Gegenteil, als ich eben auf mein Zimmer kam, steht eine Schüssel mit Tomatensalat auf dem Schreibtisch, den der Chef immer höchst eigenhändig anmacht. Wenn ich es auch für nett finde, diese Aufmerksam[keit] einem kleinen Uffz. gegenüber, so gehen mir doch immerhin solche Sachen etwas nahe. Nun war es allerdings heute so, daß er mit seiner Zigarre im Recht war, denn ich hatte etwas sehr Wichtiges vergessen. Nun denkst Du sicher, ach der hat auch nichts anderes zu tun, als mir mit seinem Ärger und Verdruß zu kommen. Aber ich habe es ja erst, nachdem die Geschichte vorbei ist geschrieben, um Dir zu zeigen, wie schön es war wäre, wenn man solche Sachen in den Armen des geliebten Frauchens

vergessen könnte. Ach, ich habe ja ein so gutes und liebes Frauchen, daß ich mich manchmal frage, ob ich es auch überhaupt wert bin. Aber ich hab' Dich ja so gern und das ist ja auch von Wert. Und ich will ja auch alles tun, um Dich vollends glücklich zu machen, sofern Du es noch nicht so ganz sein solltest.

Warte nur mal das Kriegsende ab, dann sollst Du mal sehen, wie wir unser Leben, Du, Dorotheechen und ich, schön weitergestalten. Dorotheechen wird an unserem Glück wachsen und darin froh werden.

Liebe Elsbeth, ich nehme Dich noch einmal fest in meine Arme und gebe Dir viele, viele Küsse überall dahin, wo Du möchtest. Ich lege meine Hand an eine liebe, schöne Stelle und tue Dir alles Liebe und Gute an. Ich liebe und verehre Dich immer und bin Dein getreuer
Hannes