Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 29. August 1940

29. August

Meine liebe Elsbeth!

Heute bekam ich das Päckchen mit Deinem lieben Brief und Zigaretten und „Vitamin B“, sowie Deinen Sonntagsbrief. Herzlichen Dank dafür. Ich habe heute ganz besonders auf Post geschaut. Manchmal ist es einem so ganz besonders sehnsüchtig ums Herz. Und nun 2 Sachen auf einmal. Nun ja, Du wirst das ja auch kennen. Übrigens eine Neuigkeit. Übermorgen fahre ich nach Paris.

Gestern wurden hier im Kino wieder 2 Frontberichte gezeigt. Wieder waren viele Sachen dabei, die wir gesehen haben. Besonders auch auf meiner letzten Flandernfahrt. Ein zertrümmertes Schiff, das gezeigt wurde, habe ich sogar geknipst. Ebenfalls der verwüstete Strand von Dünkirchen und vieles andere mehr. Überhaupt der Strand bei Dünkirchen, Ostende usw., das müßtest Du einmal sehen. Hunderte Meter breit und unabsehbar lang ganz reiner weißer Strand ohne irgend ein kleines Steinchen. Allerdings muß man sich im Augenblick die Verwüstung wegdenken. Natürlich bei Ebbe, da kann unser Schönberger Strand sich ganz weit verstecken. Und wie schön wars doch an unserem Strändchen - herrliche, fröhliche Tage mit Faulenzen, Essen, Trinken, mit der komischen zusammengewürfelten Gesellschaft, der dicken Frau Weyers, den komischen Schillings, des „lebenslustigen“ Frl. Radermacher und der netten Frau aus dem Ruhrgebiet. Hast Du eigentlich nochmal was von irgendeinem der Auswärtigen gehört? Wenn man unsere 3 ersten Ehejahre zusammenrechnet, haben wir doch schon viel glückliche und schöne Tage zusammen verlebt. Und wie schön war auch

unsere erste (Hochzeits-) und die zweite

(Paddelboot-) Moselfahrt. Seit der „ersten“ Fahrt ist es zwischen uns doch immer schöner geworden. Was sind wir doch für glückliche Menschen.

Und in all diesem aus dem Herzen stammenden Glück wächst nun so ein neues Erdenkind, so ein liebes Dorotheechen heran. Wenn die uns keine Freude machen soll und wenn die nichts von unserer Dreier Glück verspürt, dann weiß ich es nicht.

Liebes Dorotheechen!

Weißt Du eigentlich wie gut Du es hast und wie schön es bei der lieben Mutti und dem Vati ist? Du kannst in Deinem kleinen Herzchen von aufwachsen wie ein Sonnenkindchen. Da mußt Du immer dran denken und auch daran, was die liebe Mutti alles für Dich getan hat und noch tut und daß Du ihr, ohne daß Du es natürlich wußtest, viel Schmerzen bereitet hast. Aber das kannst Du ja alles wieder ausgleichen, indem Du immer ein gutes Kind bist, froh und frisch und treu und gut und immer recht artig und aufmerksam zur lieben Mutti. Das freut den Vati dann recht sehr, der ja immer bei Euch ist und durch die Bildchen immer auf Dorotheechen sieht. Er hat das Dorotheechen ja auch so gern. Ich gebe Dir jetzt ein herziges Küßchen und grüße Dich als Dein lieber Vati!

Liebste, beste Elsbeth!

Auch Dir gebe ich einen festen Kuß auf Deinen lieben, guten Mund, mit dem Du mir schon so viel Schönes gesagt und getan hast, auf Deine Augen, die immer mich als Deinen besten Hannes sehen lassen, auf Deine Stirn, hinter der Du so viel Gutes, Liebes und Schönes für mich gedacht hast, und einen ganz zarten Kuß auf Deine Brust und Deinen Leib, mit dem Du mir schon so viel Seligkeit geschenkt hast. Ich bin und bleibe immer Dein lieber, guter und Dich verehrender
Hannes