Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 20. April 1940

20. April 1940

Liebste, allerliebste Elsbeth!

Weißt Du noch, was sich am 22. April 1934 zutrug? War das ein schöner Tag! Des Morgens zogen wir durch den Wald hinauf zum Venusberg und nachher im Walde - denkst Du noch daran? Auf jeden Fall wünsche ich Dir und mir, daß unser Leben immer etwas von diesem jungen, frohen und freudigen Bewußtsein in uns wach hält. In diesem Sinne gebe ich Dir einen herzlichen, festen Kuß und bin immer Dein treuer und Dir guter - Bräutigam! Ich habe Dich immer lieb.

Wir sitzen hier gerade beim Morgenappell der Wehrmacht am Radio und hören die Befehls­ausgabe.

Übrigens, haben wir vor 8 Tagen neuen Ersatz aus Dortmund bekommen. Die Leute sind alle so diensteifrig und laufen ganz stolz halb in Zivil und halb uniformiert herum. Neben mir liegt einer, der die Arme voller Tätowierungen hat. Er hat sie mir auch schon mal ausführlicher gezeigt und sagte, „das ist ein Stern, das ein Vogel, das ein Herz mit einem Pfeil, das ein Felsen, das ein Mädchenkopf usw.

Augenblick, ich muß arbeiten.

Mittlerweile ist es Sonntag geworden. Wenn das so mit der Arbeit weitergeht, muß ich min­destens einmal bald „Erholungsurlaub" haben. (Es ist nur die Frage, ob ich mich zu Hause „erholen" kann? Was meinst Du dazu?) Heute morgen bin ich auch nicht in die Kirche gekommen. Man wird langsam hier zappelig. Unsere neuen Kompanieführer und Zugführer sind, wie es vorläufig noch den Anschein hat,

durchweg gut.

Aber daß es Dir, anstatt besser, langsam schlechter geht, macht mich auch nervös. Immer muß ich daran denken. Freuen tut mich, daß Dorotheechen aber so lieb und zartfühlend ist.

Die Wäsche habe ich bekommen. Vielen Dank auch.

Mit Pfingsten wollen wir uns vorläufig keine Gedanken machen. Ich hoffe, daß ich vorher nochmal nach Hause komme; wir könnten die Angelegenheit „mündlich" erledigen. Ach, wie wollte ich dann noch verschiedenes Andere „mündlich" erledigen. Da könntest Du was erleben. Es gibt nichts „Schrecklicheres", als so ein bezügl. Frauchen „ausgehungerter" Soldat. Manche „essen" ja auch hier, aber, wie mein liebes Frauchen mich kennt, fehlt mir hier der Appetit.

Ich nehme nur Leckerbissen und da gibt's nur einen einzigen auf der ganzen weiten Welt.

Was mag das nur sein? Kannst Du das erraten? Das habe ich mal wieder geschickt gesagt, nicht wahr?

O, ich bin ein ganz Geschickter.

Dein Gedicht hat mir viel Spaß gemacht. Ich stelle mir Dorotheechen so ulkig vor, wie sie stinkend im Bettchen steht. Hat sie nun von „Bonbon" die Nase voll?

Nun, liebste Elsbeth, singe ich wieder das alte Lied: Ich hab' Dich sooo schrecklich lieb. Du mußt mich auch immer so gern haben, wie ich Dich, dann kann uns alles, was an uns heran­treten sollte, garnichts anhaben. Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt ein Verdienst für einen ist, weil es doch keine Versuchung für uns gibt. Aber das ist ja auch egal, Hauptsache ist, wir haben uns und sind uns ganz und gar verbunden, ob mit oder ohne Versuchung „bleibt sich gleich“ (siehe Karl May).

Nun gebe ich Dir einen ganz festen und langen Kuß und Dorotheechen ein liebes Küßchen und bleibe immer Euer

guter Hannes und Vati.

 

Den Brief , den Du im Kasten fandest, hatte ich Uffz. Diekmann mitgegeben.

Das Gedicht „Die Leo-Pillen" erzählt, wie Dorotheechen eine Schachtel Tabletten gefunden und sie als „Bonbon" gegessen hat.