Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 1. April 1940

1. April 1940

Liebstes aller schönen Frauchen!

Nun sind wir schon 2 Tage hier. Die Sonne scheint hell zum Fenster herein und macht mich noch müder, als ich schon sowieso bin. Ich habe nämlich gestern mit Mergen bis 2 Uhr nachts gearbeitet.

Unser erster Tag in Detmold hatte schön angefangen, lief aber für die Schreibstube etwas kläglich aus. Also, wir machten uns mit dem Spieß zusammen auf und haben uns mal das Städtchen angesehen. Das Schloß ist sehr schön. Es ist mit einem großen Wassergraben umgeben, auf dem Schwäne und Enten schwimmen.

Gutgekleidete Menschen gehen spazieren und überall ist ein bewegtes Bild. Du kannst Dir denken, daß dies für uns vollkommen ungewohnt und wir freudig überrascht waren.

Schöne Lokale lockten uns zu einem Glas Bier (vielleicht waren es auch deren „zwei") Gegen xh 10 Uhr war es mir aber bald schlecht vor Hunger. Den anderen ging es ebenso. (Die Verpflegung klappte an dem Tage noch nicht so recht.) So suchten wir noch schnell ein Lokal auf, um etwas zu essen. Ich hatte für 1,50 RM ein fabelhaftes Schnittchen mit Ölsardinen, Leberwurst, Kaviar und noch so'n Zeug. Dazu Kartoffel- und Selleriesalat. Es war für mich Ausgehungerten ein lukullisches Mahl. Dann drängten wir zum Aufbruch, da es auf lA nach 10 zuging. (^ 11 ist Zapfenstreich.) Aber unser Spieß hatte es nicht eilig. Und wir, im Gedanken an die nicht zu straffe Disziplin im Mühlbachtal, denken, na, wenn der Spieß dabei ist, kann uns ja nichts passieren. So kamen wir dann auch 5 Minuten zu spät an der Kaserne an und siehe da, was mußten wir mit Erstaunen sehen. Der Posten machte Schwierigkeiten. Da der Spieß natürlich später kommen darf, dachten wir noch immer, daß uns nichts

passieren könne. Aaaber, da kam der Führer vom Dienst: Obf. Wischna, den du ja kennen gelernt hast. Er meldete uns dem Kompanieführer, der uns am anderen Morgen (ich muß jetzt auch morgens auf dem Kasernen­hof mitantreten) vor die Front rief (natürlich Seckelmann ausgeschlossen.)

Wir 4 Sündenböcke standen dann vor der gesamten Kompanie und bekamen für den Sonntag den Ausgang gesperrt. Hatten wir vielleicht eine Wut auf den immer freundlich lächelnden Wischna. Du kennst ihn ja, wie er mit uns in der Kneipe saß. Nun, die Sache ist nochmals glimpflich abgelaufen. (Am Sonntag wurde sowieso der Ausgang für das gesamte Bataillon gesperrt.) Und wir bekamen am Sonntag Befehle über Befehle, sodaß wir, wie schon gesagt, bis 2 Uhr nachts arbeiten mußten.

So, die Feldpost ist angekommen. Ob wohl nun die erste Post von Dir seit Ostern dabei ist. Augenblick! . . .

Hurra, ich habe Deinen ersten Brief. - Daß Du mit dem Zug so Pech gehabt hast tut mir leid. Jetzt würdest Du mich sicher nicht mehr besuchen!(?) Zumal Du ja annimmst, es hätte mir nicht leid getan, wenn wir uns Ostern nicht gesehen hätten. „Pfui über Dir", daß Du sowas denkst. Hach, habe ich eine Wut deshalb. Ich möchte einen ellenlangen Fluch tun darüber, daß ich das „offizielle" Bedauern über das bald dagewesene „Osternsichnichtsehenkönnen" nicht dokumentarisch festgelegt habe. Wenn ich Dich jetzt hier hätte, würde ich Dich „bestrafen". Und Du weißt ja, wie schrecklich in meinem Zorn ich dann bin. Aber, da dies ja, bedingt durch die uns trennende räumliche Kluft, nicht möglich ist, will ich mir eine Zigarette in den für den Strafvollzug vorgesehenen Körperteil stecken. (Unser Spieß sagt immer: Na, wollen wir uns noch mal einen Kotzbalken in die Fresse rammeln.) So, jetzt bin ich mindes­tens 5 - 7 mal in diesem Brief unterbrochen und schon kommt wieder was.

Inzwischen ist es morgen geworden und ich will, ehe die Post abgeht, den Brief noch schnell fertig machen. In dem Moment, als ich unterbrochen wurde, kam wieder ein Befehl, ent­sprechende Listen aufzustellen. Um 11,00 Uhr gestern Abend waren wir damit fertig und wir haben mit der ganzen Arbeit, die wir in den letzten 3 Tagen gemacht haben, sogar das Lob des Batl.-Führers Bernshausen, „errungen“. Unsere Arbeit ist die beste beim ganzen Batl. gewe­sen. Flemig, unser Kompanieführer, der uns vorgestern noch mit Ausgangssperre belegt hat, hat in Anbetracht der vielen und dabei guten Arbeit eine Runde Bier aus der Kantine gestiftet. Im Radio ist gerade Morgenmusik. Es erinnert mich auf einmal etwas an frühe Zeiten, denn es wird gerade gespielt:

Der Winter ist vergangen,
Es blüht usw.

Nun, liebe Elsbeth, die Ordonanz muß nun mit der Feldpost unbedingt weg. Ich schließe daher — und sage Dir nur nochmal schnell, wie gern ich Dich habe. Wenn Du jetzt im Augenblick in mich sehen könntest, würde Dir mein Herz ganz viel ins Öhrchen flüstern von Liebe und Gern­haben. So gebe ich Dir in dieser Stimmung einen ganz festen Kuß und halte dich recht lieb.

Ich drücke Dich an mich und halte auch einmal Dorotheechen fest im Arm.

Euer glückliches und treues Mannchen u. Vati.