Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 21. Juni 1943

21. Juni 1943

Meine liebe Elsbeth!

Meine Briefe, Du entschuldigst, können tatsächlich nicht mehr so regelmäßig sein. Heute geht es mir wieder ausgezeichnet. Am Freitag hatte ich einen bösen Abend und gestern, nach einem wunderbar verbrachten Sonntag, bekam ich des Abends, schon auf der Rückreise denselben Anfall. Anscheinend aber keine schlimme Sache, denn heute morgen war es wie weggeblasen. Außer den Durchfalls-Erscheinungen bekomme ich dann ein dumpfes Gefühl in den ganzen Körper. Die „Gebeine sind wie erschlagen“. Schüttelfröste kriechen mir den Rücken rauf und runter, dazu hohes Fieber. Aber heute habe ich einen tadellosen Tag gehabt. Nur 2´ auf dem Lokus, dazu körperlich und geistig frisch. Anbei Zulassungsmarken. Schicke bald etwas. Geld kannst Du keines schicken, da in diesem Land verboten. Aber Kuchen kannst Du einen backen.

Aber nun zu gestern:

Feldwebel Bloß, mein Kamerad, und ich hatten vom Chef Urlaub bekommen, um nach Neapel und Pompeji zu fahren. Es war für uns beide ein richtig großes Erlebnis. Solch herrlicher Flecken, wie die Bucht von Neapel kannst Du Dir so nur aus den Gedanken heraus nicht vorstellen. In der Altstadt, nun, da sieht es zwar malerisch aus, bunt und interessant, aber auch sehr schmutzig. Zu den schmutzigsten Höhlen, anders kann man viele „Einzimmerwohnungen“ für eine „kinderreiche Familie“ nicht bezeichnen, führt jedoch eine marmorne Stiege oder Schwelle oder Treppe. So der Gegensatz. Und das bunte Gewimmel der Menschen. Dann der Hafen, der alte Fischerhafen, die Bucht, ringsum die Berge und Kastelle, Olivenhaine, Orangenhaine, Zitronen und Cypressen. Dahinter in wuchtiger Form, eine riesige Rauchfahne ausstoßend, der Vesuv.

Aber nun der Reihe nach. Morgens fuhren wir erst nach Pompeji. Ich glaube etwa 800 v. Chr. wurde P. gebaut. Etwa 80 n. Chr. in einem 3 tägigen Ausbruch des Vesuvs von einem Regen aus Asche und Bims zugedeckt. Die Decke lag 8 m über den höchsten Gebäuden. Die Stadt hatte etwa 25 000 Einwohner. Heute hat man [sie] in jahrzehntelanger, mühevoller Arbeit zum allergrößten Teil wieder freigelegt und z. T. wieder

aufgebaut. Es ist erstaunlich, welche hohe Kultur die Leute damals entwickelten. Die Anlage der gesamten Stadt, der einzelnen Häuser, öffentlichen Gebäude, (Theater, Bad usw.) der Straßen, Plätze und Gärten, der Gebrauchs- und Kunstgegenstände sind so hoch entwickelt, daß man aus einem Staunen ins andere gerät.

Zuerst die Straßen. Es herrschte damals nur Einbahnverkehr. Riesiges Steinpflaster, regelrechte Bürgersteige. Wollte man eine Straße überqueren, gab es in den Straßen besonders erhöhte Trittsteine, damit man sich bei Regenwetter die Toga nicht beschmutzte. Die Häuser waren sämtlich nach einem Stil angelegt, etwa so

[Abbildung]

Manche Häuser sind nun größer, manche kleiner, manche haben nur 2 Schlafzimmer, manche mehr. Aber die Anordnung ist immer die gleiche. Der Boden ist mit schöner Mosaikarbeit ausgelegt, die Brunnen,

Schalen, Tische, Bänke, aus wunderbar geschliffenem Marmor in schönen Linien. Die Wände bemalt mit Bildern und diese in einer Farbe, die sich über 2000 Jahren so fabelhaft gehalten haben, daß man sie mit dem Messer nicht abkratzen oder beschädigen kann. Die Herstellung der Farben, besonders des „pompejisch rot“ ist heute noch ein Rätsel. Als Hintergrund für den Blick, wenn man in den Gärten steht, ist entweder die Gebirgskette, der Vesuv, oder das Meer.

Das Bad:

Zuerst kommt man in eine Halle, verziert mit entsprechenden Fresken. An den Wänden Marmorbänke (der Warteraum). Dann gibt’s 4 Abteilungen.

1.) ein Turngarten f. Turnen, Spiele, Gymnastik.

2.) Das Kaltwasserbad. Eine schöne Halle. An der einen Seite eine Kuppel, unter dieser Kuppel in die Erde eingelassen ein kreisrundes Marmorbecken aus schneeweißem Marmor mit einer Stufe. Durchmesser etwa 4 m, tief etwa 1,30 m. Um das Becken ein Marmorsteg und 4 Nischen zum Ablegen der Toga.

3.) Das Schwitzbad. Ebenfalls eine Halle. An einem Kopfende ein riesiges, starkverziertes Bronze--Kohlenbecken. Darum wieder schöne Sitzbänke.

4.) Das Warmbad. Eine große Halle mit doppelten Wänden. In den Hohlraum wurde heiße Luft gebracht. An einem Ende wieder ein riesiges Marmorbecken, ebenfalls weiß, für das Warmwasserbad. Am anderen Ende eine riesige auf einem Fuß stehende Marmorschale, etwa 2 m im Durchmesser, mit Springbrunnen, um, wenn das warme Bad beendet war, sich Gesicht und Hände zu erfrischen.

Dann das wunderbar angelegte Freilichttheater mit aus Stein aufgebauten Kulissenhäusern, 8.000 Personen fassend, das riesige Amphitheater mit Kasernen f. die Gladiatoren. Dann die schönen Schmuckstücke aus Bronze, Gold, Silber, Steinen. Die fein gearbeiteten Öllampen, Töpfe, Bratpfannen, die herrlichen Tonkrüge. Ärztliche Bestecke, Messer, Scheren, Pinzetten. Ach, man könnte sich am Aufzählen halten und doch den Eindruck nicht so wiedergeben.

Nun, Mittags gingen wir essen. Die Besichtigung hatte 35 Lire gekostet. Das Essen mit einem Glas Wein ebenfalls 35 Lire. Im ganzen hatte ich 200 einschließlich Vorschuß auf meine nächste Wehrsolddekade. Gegessen haben wir Spaghetti mit Tomatensauce, eine etwas „lange“

Angelegenheit, dann Kotelett mit Bratkartoffeln u. Obst.

Bilder von Pompeji 20 Lire. So war ich denn die Hälfte meines Vermögens schon um Mittags

13 Uhr los. Dann fuhren wir nach Neapel. Sahen uns Neapel an. Aßen Eis, ein Stück Kuchen und zu Abend. Rest 40 Lire. Wir kamen an einem Schnellfotografen vorbei. Und da sagte ich mir: „Halt, Frauchen soll mich mal, braungebrannt, in ,Ausgehuniform‘, kitschig unter Palmen sehen“. Das Produkt siehst Du einliegend. 6 Stück 20 Lire. Mit dem Rest von 20 Lire (2,60 RM) muß ich noch bis zum 1. Juli auskommen, habe aber auch noch Obst an die Marketenderin zu zahlen. Alles

Aber dann die Rückfahrt. Auf der Bahn fing es an, daß es mir so schlecht wurde. An irgendeiner Station wurden wir mit dem Krad mit Beiwagen abgeholt. Und dann haben mir die Zähne so

vor Kälte aufeinandergeschlackert, obwohl es gar nicht kalt war. Ich konnte mich nur noch mit letzter Kraft halten. Aber nun ist es vorbei und Du brauchst keine Angst haben. Und es ist im Verhältnis zu dem, was Du alles mitgemacht hast und noch mitmachst, ja doch nicht viel.

Nun zu Deinen letzten Briefen. Was ist nun in Bonn wegen Mattes herausgekommen?

Das mit Dorotheechen und Kirmes ist ja nett. Da wäre ich gern mit Dorotheechen selbst Karussell und Schaukel gefahren, hätte Lakriz gelutscht, am Gewinnrad drehen lassen, Lose genommen, gemeinsam türkischen Honig geschleckert, Fischbrötchen gegessen und Eis auf dem Wäffelchen gelutscht.

Auch das Namenstagspäckchen mit Zigaretten, Deinem schön gemalten Gruß und das Herzchen von Dorotheechen habe ich bekommen. Vielen Dank dafür. Dorotheechen schreibe ich jetzt sowieso noch besonders zum Geburtstag.

Die Bilder verteile ich wie folgt. 2 1 Dir, 1 Vater, 1 Anna, 1 Hubert u. 1 halte ich. Ich schicke Dir nur eins, halte dafür 1 für Dorotheechens Geburtstag.

Ich grüße und küsse Dich innig auf Deinen lieben Mund und bin immer
Dein Hannes.