Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 29. April 1940

29.4.1940

Herzallerliebstes Mädchen!

Ich bin gerade (es ist schon 10 Uhr abends) mit meiner Arbeit fertig geworden, will Dir aber doch noch wenigstens ein paar Zeilen schreiben. Der heutige Tag war wieder, wie auch die vorhergehenden mit Arbeit dick ausgefüllt. Aber das hindert mich nicht in meiner Freude auf die kommende Urlaubszeit. Ich glaube, es geben mal wieder richtige Flitterwochen.

Unser neuer Chef ist wirklich nett. Nicht nur strenger Vorgesetzter, sondern auch nett im Wesen, der sich schon mal mit einem über private Dinge unterhält. Er hat gerade seine Frau hier. Als ich heute hereinkam, war sie gerade da und der „Herr Kompanieführer" stellte mich vor: Soldat Ließem — meine Frau. Über soviel Persönlichkeit war ich einfach baff. Während er die Post unterschrieb, unterhielt ich mich mit der Frau über Godesberg und so weiter.

Schon wieder muß ich an den Urlaub denken. Anderes schwebt einem ja nicht mehr im Kopf. Deine Briefe habe ich bekommen und mich wieder sehr über das Liebe gefreut, auch Dorotheechen macht mir aus der Entfernung so viel Spaß. Ich kann sie mir manchmal so recht vorstellen, als ob wir zusammen wären.

Es ist manchmal originell. Wenn abends der Spieß weg ist, kommt auf einmal der oder jener von den Kameraden herein, bietet mir "ne Zigarette an und dann weiß ich schon, was

los ist. Wenn ich mich auch sonst mit diesem nicht gerade viel unterhalte, aber er stellt sich ganz vertrauens­voll an meinen Schreibtisch, spricht etwas, zeigt mir Bilder von seiner Frau und den Kindern und dann kommt's so ganz nebenbei heraus: Hast Du vielleicht schon was von meinem Urlaub gehört? Aber das so nebenbei. Wenn ich ihnen dann Antwort gegeben habe, ziehen sie nach noch einigen Worten entweder betrübten oder freudigen Gesichtes wieder ab.

Manche sind auch schon mal schüchtern und können nicht direkt so fragen. Dann helfe ich ihnen etwas nach, indem ich sie frage, ob er keine Zigarette gerade zur Hand habe. Dann sollst Du mal sehen, wie schnell Zigarette und Feuer zur Hand ist und der Anschluß ist da. Du mußt nun nicht denken, daß es mir nun um die Zigarette zu tun wäre, sondern, ich finde es so originell und ulkig, das alles.

Nun liebe Elsbeth, will ich Feierabend machen. Verwahr mir 'nen Hering. Nach so etwas Herz­lichem schmeckt etwas Süßes gut. Aber Du bist ja nun herzlich und süß zugleich. Ach, wie ich mich freue — nicht nur auf den Hering — sondern auf das Herzliche — aber nicht bezügl. des Herings das Herzliche sondern in Verbindung mit dem Süßen. So, nun zerbrich Dir den Kopf über diesen Satz.

Ich dachte nämlich an Mozarts Briefe.

Nun auf Wiedersehen, liebe Elsbeth. Ich bin immer Dein glücklicher

Hannes