Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 29. Oktober 1939

Sonntag, den 29. Oktober 1939

Liebste Elsbeth!

Zuerst laß dich mal wieder recht herzlich grüßen und küssen. Ich weiß nicht, heute habe ich ein solches Verlangen nach Dir gehabt, wie nie zuvor. Daß dies überhaupt möglich ist (ich meine damit, daß sich das Verlangen noch steigern kann) kann man kaum begreifen. Am besten dafür, daß man darüber hinwegkommt ist wohl Arbeit und Beschäftigung bis zum Insbettgehen.

Aber, heute ist Sonntag, raus kann man nicht, weil es, wie schon die ganze Zeit, regnet. Außer­dem wird heute Nachmittag zum erstenmal nicht gearbeitet, So sitze ich denn hier, meine Kameraden sitzen in der Küche bei der Oma und hören Radio. Und ich bin froh, daß ich so nach Dir verlange, denn das zeigt doch, wie gern wir uns haben. Wie freue ich mich auf meinen Urlaub! Voraussichtlich komme ich am 2. November des abends oder nachts dort an und bleibe 5 Tage. Denk Dir nur: 5 Tage.

Dann brauchst Du eine ganze Zeit nicht mehr abends allein auf der „breiten Couch" zu sitzen. Ich denke mir, dann wird es uns nicht eng genug werden oder wie denkst Du darüber, liebes Frauchen.

Ich weiß nicht, ob ich im letzten Brief geschrieben habe, daß Deine Kleid-Zeichnung mir gut gefallen hat. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, hole ich es hiermit nach. Es ist ja totschick geworden.

Kobes war hier und hat mir das leckere Paketchen gebracht. Das war aber lecker und ich werde es Dir „lohnen". Etwas Gewissensbisse habe ich aber doch dabei wenn ich denke, daß ich hier in „Saus und Braus" lebe und Du hast schließlich nicht mal das Nötigste.

Vorgestern bekam ich einen Brief von Dir, der anscheinend einen Umweg gemacht hatte. Auf der Rückseite des Briefes grüßt mich ein Uffz. Ließem, der anscheinend irgendwo bei der Feldpost beschäftigt ist. Ich füge diesen Umschlag mal hier bei. Frage mal bei meinem Vater, ob er ihn evtl. kennt.

Es geht hier das Gerücht um, daß wir mehr Wehrsold bekommen sollen. Ob etwas Wahres dran ist, kann ich nicht sagen. Ich würde mich aber freuen, wenn es stimmen würde, könnte ich Dir dann doch mal was schicken.

Übrigens Deine Päckchen habe ich auch alle bekommen.

Dorotheechen wird jetzt ja wohl langsam ein großes Mädchen. Man hörte ja viel, daß im vorigen Krieg die Kinder mangels „starker Vaterhand" zum großen Teil daneben geraten sind. Ich weiß aber, daß Du die Sache schon schmeißen wirst. Laß es nur nicht von der Oma zuviel verwöhnen und halte die Erziehung selbst in der Hand. Ich nehme dabei an, daß Du doch wohl den größten Teil des Tages selbst bei Dorotheechen bist. Wenn Du mit Deiner Methode bei Deinen Eltern nicht durchkommen solltest, lasse Dir von Mattes helfen. Ich bin froh, wenn ich jetzt im Urlaub mal wieder Dorotheechen aufs Mündchen küssen kann. Dann muß es aber auch Vati liebhalten.

Lieber Moritz, ich will jetzt Schluß machen. Nochmals grüße ich Dich und küsse Dich unend­liche Male. Und trotz des bösen Krieges, der uns räumlich trennt, bleibe ich immer und ewig mit Dir verbunden. Ich bin in alter Frische

Dein Hannes