Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 24. Mai 1940

24. Mai 1940

Liebste Elsbeth!

Zuerst laß Dich einmal am Kopf nehmen und Dir viele Küsse auf den Mund geben. Auch wieder recht herzlichen Dank für Deine beiden Briefe vom 18. und 20. Mai. Ich habe gestaunt, daß Klaus [Hannes' Bruder] in Godesberg ist. Ob er wohl auch ein „Urlaubsgesuch“ gemacht hat? Dann hat er sicher einen guten „Kompanieführer“, daß der ihn in dieser Zeit laufen läßt.

Ja, liebe Elsbeth, nun wäre ich ungefähr mit meiner Weisheit zu Ende, denn nichts besonderes hat sich bei uns ereignet. So wollen wir uns denn so etwas unterhalten, da ich keine „Kriegserlebnisse“ schildern kann.

Dorotheechen scheint ja Herrn Mentis [Vater des Pflichtjahr-Mädchens Leni] ins Herz ge­schlossen zu haben. Das beruht ja wohl auf Gegenseitigkeit.

Wie geht es Dir denn gesundheitlich? Was sagt der Arzt? Was wiegst Du jetzt? Ist es Quälerei, wenn ich Dich das frage? Wie würde ich mich freuen, wenn ich etwas Günstiges hörte. Weißt Du, ich habe Dich doch so gern und freue mich, wenn ich höre, daß es, wenn auch nur ein ganz kleines bißchen, daß es Dir etwas besser geht. Wie schön wäre es, wenn ich [wenn ich] wieder für immer bei Euch wäre, wieder mit Dir und Dorotheechen lange Spaziergänge durch den Wald machen

könnte. Ich möchte doch das Gesicht von Dorotheechen sehen, wenn wir mal quer durch den Wald gingen und uns hinter Bäumen verstecken könnten. Dorotheechen käme lachend suchen und wenn es uns gefunden hat, erschallte ein allgemeines Daaaa!

Liebe Elsbeth, immer wieder werde ich gestört. Damit der Brief aber noch mit abgehen kann, mache ich jetzt schon Schluß, aber nicht, ohne Dir vorher nochmal viele Küsse überallhin zu geben und Dir nochmal zu sagen, wie sehr lieb ich Dich habe.

Ich bin immer Dein treuer Hannes.