Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 10. September 1940

10. September 1940

Meine liebe Elsbeth!

Ich habe heute Deinen lieben Brief vom 6. 9. bekommen. Den Brief mit der Vergrößerung von Dorotheechen, den Du erwähntest, habe ich aber nicht erhalten. Ich sage Dir nochmal, daß ich ein über den anderen Tag geschrieben habe. Ich ärgere mich sehr darüber, daß Du die Post nicht bekommst. Man schreibt doch Sachen, die nur für uns beide bestimmt sind und bei denen man gern hätte, daß sie den andern erreichen. Z. B. muß ich jetzt wieder raten, ob Du diesen Brief bekommst.

Ich bin so froh, daß Du nun den „ersten“ Arzt gefunden hast, der wenigstens positiv festgestellt hat, was Dir fehlt und zu dem Du Vertrauen hast. Man weiß, auch wenn das Resultat ja gerade nicht herzerfrischend ist, wenigstens, wo man dran ist und hat die Aussicht, daß es richtig angepackt werden kann. Und, wie Du schreibst, wird es ja, wenn auch erst in längerer Zeit, besser. Voraussetzung ist da ja der gute Wille meines lieben Frauchens. Aber ich bin gewiß, daß es daran im Interesse unserer aller Drei nicht fehlen wird. Stell' Dir mal vor, wenn ich eines Tages wieder nach Hause komme, sehe ich ein vollerblühtes Weib, daß gegen früher gar nicht wiederzuerkennen ist, vor mir. Ich könnte den Dr. Lauenburg vor Freude umarmen. Ist die Anemie auch nicht schon

zu weit vorgeschritten?

Ist er vielleicht doch noch in der Krankenkasse? Wenn nicht, würde ich vielleicht einmal an meine Krankenkasse schreiben wegen eines Zuschusses. Die können auch etwas für Kriegerfrauchens tun.

Heute ist meine Sache wegen Offiziers-Anwärter abgegangen. Vom Chef ist eine Beurteilung beigefügt, die sich gewaschen hat. Was für ein „fabelhafter Mensch“ ich bin, habe ich da erst mal erfahren.

Übermorgen fahre ich wahrscheinlich nochmal nach Paris. Da ist nun mal wieder ein Tag anders als die andern. Und Paris ist, wie ich Dir schrieb, ja so schön. Ich möchte nur zu gern mal in Notre Dame rein.

Die letzten 4 oder 5 Tage habe ich Dir täglich geschrieben. Merk' Dir das einmal und sieh mal, ob Du alles bekommst. Schreibe mir auch, ob Du die Sachen von dem Gefr. Müller bekommen hast.

Und nun setze ich dich auf meinen Schoß und schlinge meine Arme um Dich. Ich drücke Dich fest an mich und gebe Dir einen festen Kuß. Ich bin immer Dein sehnsüchtiger und getreuer
Hannes