Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 25. Juni 1940

25. Juni 1940

Liebste Elsbeth!

Gestern hatten wir eine anstrengende Fahrt von weit über 200 km in offenen Lastwagen und dabei z. T. in strömendem Regen. Und das alles an meinem Namenstag. Obwohl die Gegend, durch die wir fuhren (ein Stück der Marne entlang; über die Sarne bis zur Doubs) zum großen Teil interessant war, war ich doch froh, als ich hier ankam. Ein Landstrich war besonders interessant. Die Dörfer hatten ganz stumpfe Giebel, beinahe flach. Es sah aus, als ob wir durch Spanien führen. Und die Menschen sehen ebenfalls „spanisch“ aus, brauner Teint, dunkle Augen und dunkles Haar und vor allen Dingen schmutzig! Überhaupt sind die Meisten hier in Frankreich ein regelrechtes Dreckvolk. Macht man eine Tür zu einem Schrank auf, fliegt einem der Dreck und Spinnweben schon entgegen. Aber die Mädchen und Frauen sind ge­schminkt und gepudert wie Zirkusleute.

Die Stadt an der Doubs, wo wir jetzt liegen, (Pasteur ist darin geboren) [Dole im Jura] hatte kampflos übergeben. Es ist die erste Stadt in die wir kommen, wo das Zivilleben wie im Frieden seinen Gang geht. Lediglich ein paar zerschossene Häuser am Eingang der Stadt und die üb­lichen Brückensprengungen. Die Stadt ist eine historische Stadt mit alten Kirchen und sonstigen Bauwerken. Wir wohnen in der „Ecole d'Arc“. Man findet überall eine große Verehrung für die Jeanne d'Arc, obwohl das katholische Leben über Taufe, Kommunion, Hochzeit, nicht weit hinausgehen soll. Eben waren wir einkaufen. Da ich noch meinen „Unteroffizier“ begießen muß, habe ich 10 Flaschen Sekt

mitgebracht! Preis pro Flasche: 10 Franks = 50 Pfennig. Obwohl durchziehende Truppen viel aufgekauft haben, kann man doch noch immer gut und vor allen Dingen mit deutschem Geld billig alles kaufen, Schokolade, Eier, Butter, Zigaretten (Stück 1 Pfennig) usw. Nur kann ich die französischen Zigaretten schlecht rauchen, da sie wie Feuer durch den Hals gehen. Und Filme kriege ich keine.

Es ist originell: seit ich zum erstenmal die Uffz.-Tressen trage, werde ich natürlich auch immer von den Soldaten gegrüßt. Zuerst dachte ich gar nicht, daß es mir gelten sollte.

Aber das große Ereignis, daß an meinem Namenstag eingetreten ist: der Friede mit Frankreich, war doch etwas Schönes. Überall und überall hört man: „Friede mit Frankreich“ und „la guerre finis“. (Ich weiß nicht, ob es richtig geschrieben ist.) Ein weiteres Ruhmesblatt in der neuen deutschen Geschichte. Du freust Dich doch auch, nicht war, lieber Schatz? Denk doch, in Frankreich braucht keiner mehr zu sterben und die Aussicht auf ein endgültiges Wiedersehen ist „bis auf den letzten Schritt“ nähergerückt.

Und nun, liebe Elsbeth, wie geht es Dir und Dorotheechen? Durch die dauernde Reiserei habe ich lange keine Post mehr bekommen. Im ganzen war es in Frankreich bis heute an 3 oder 4 Tagen. Aber, Du sollst Dich freuen; wenn ich wieder nach Hause komme, so, wie ich von Dir gegangen bin, nur daß ich Dich noch lieber habe und daß man durch das Viele noch mehr Mann geworden ist, dann feiern wir „unser Fest“. Und dann drücke ich Dich wieder so fest an mich und am ersten Abend sind wir ganz allein und tuen uns alles Liebe, Gute und Schöne an, was wir uns nur ausdenken können. Und in dieser Vorfreude küsse ich Dich jetzt schon im Geiste auf Deinen lieben Mund und ich bin immer Dein ganz getreuer

Hannes