Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 19. September 1940

19. September 1940

Meine liebe, liebe Elsbeth!

Für Deine letzten 4 Briefe danke ich Dir recht sehr. Sie kamen auf einen Knall hier an. Auch Deine 3 Pakete habe ich bekommen. Der Kuchen hat uns an dem heutigen Festtag fabelhaft geschmeckt. Und auch die Zigaretten- und Zigarrenauswahl war schön. Mergen freute sich auf über die Zigarren und der Chef über die Rothändle. Herzlichen Dank. Alle gratulieren. Ich war in einer festlichen Stimmung und habe dem Batl.-Geschäftszimmer 2 Kannen Bier hinübergeschickt. Durchs Telefon sagte ich ihnen, daß sie auf unser Wohl trinken sollen und ihnen gesagt, weshalb. Der nun am Telefon war, frug schlagfertig: „Habe ich richtig verstanden, drei Jahre verheiratet und zwei Kannen Bier?“ Darauf mußte ich doch schon drei Kannen stiften, oder nicht? (Eine Kanne zu 2 Liter = -,30 RM).

Mit dem R.O.A. ist es vorläufig nichts. Zuerst sind die Feldwebel zu R.O.A. ernannt worden. Es waren anscheinend zuviel Vorschläge. Aber, kann uns beide das verdrießen?

Sind die Filme bei Josef noch nicht angekommen?

Und nun nochmal zum Thema „vollerblühtes Weib“! Stellst Du Dir bei einem solchen eine Mamsell von 3 Zentnern vor mit Möhnenfett? Ich nicht. Ich denke dabei in allererster Linie an Gesundheit, Elastizität, im Wald herum strolchen können, lachend Dorotheechen in die Luft schmeißen können, sich dem geliebten Mannchen an die Brust „schmeißen“. Aber letzteres tust Du ja auch in Deinem jetzigen Gesundheitszustand.

Daß Dr. Lauerburg in der Krankenkasse ist, ist ja schön. Aber wenn er es nicht gewesen wäre und hätte mir mein liebes Frauchen gesund gemacht, hätten wir doch gern das Ersparte gegeben, nicht wahr? Aber so ist es ja besser. Auf meinen Brief an ihn, von dem ich Dir schrieb, habe ich noch keine Antwort.

Du meinst, in Paris wären keine strengen Bestimmungen. An einem Tage haben sie dort 186 Militärpersonen aufgegriffen und eingesperrt. Das Geringste ist „10 Tage geschärften Arrest“! Weißt Du was das ist? 10 Tage täglich 100 Gramm Brot und soviel Wasser, wie Du haben willst. Keine Post empfangen und absenden. Nicht lesen noch rauchen. Schlafen auf einer Holzpritsche mit einer Decke. Manchmal auch nur auf dem nackten Boden. Am 4., 7. u. 9. Tag ist „guter Tag“. Dann bekommen sie ein warmes Mittagessen, dürfen rauchen, schreiben, Post empfangen, bekommen einen Strohsack und eine zweite Decke. Dabei ist die Zelle dunkel. Bei den 186 waren Leute dabei, die lediglich das Verbrechen begangen hatten, den obersten Knopf aufzulassen, oder auf der Straße zu rauchen. Unser Fahrer wurde auch 10 Tage eingelocht, weil er Zapfen gewichst hatte.

Du schreibst, ob ich gelegentlich Mattes besuchen könnte. Das klingt so nett, als ob ich jetzt alle Wochen 2-3 mal nach Paris führe. Man denke, es sind hin und zurück 500 km.

Nun ist dieser schöne Tag, den ich am liebsten im Brautanzug an der Seite meines geliebten Frauchens verbracht hätte, vorüber. Ich sage Dir daher eine gute Nacht und einen schönen Traum (aber natürlich nicht im Keller.) Aber die Engländer werden doch wohl heute nicht so rücksichtslos sein. Ich küsse Dich ganz innig auf Deinen Mund der ja auch mir ist und lege mich ganz dicht neben Dich und drücke Dich fest an mich. Ich denke immer an Dich und bin immer Dein

getreuer Hannes, der Dich über alles liebt.