Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 24. Oktober 1939

24. Oktober 1939

Mein lieber Moritz!

Zuerst will ich meinen Gefühlen einmal Ausdruck geben und Dich mal recht kräftig an mich drücken und küssen. Und dann, damit ich's nicht vergesse, was mir gerade einfällt, möchte ich Dich bitten, doch ja das Buch von Dorotheechen recht fleißig weiterzuführen. Und noch etwas, warst Du schon beim Arzt? Wenn nicht, bitte ich Dich nochmal recht sehr, es bald zu tun. Du weißt, es beruhigt mich wirklich und Du wirst das kleine Opfer doch wohl schon meinethalben auf Dich nehmen. Dafür steht Dir und mir ja auch eine „große Freude“ bevor. In der ersten November[woche] sind wir sag und schreibe 5 Tage zusammen. Das ist fein, was, mein liebes Busselchen.

Gestern Abend haben wir gelacht. Ein Bär von einem Menschen kommt zur Tür herein, schlägt die Hacken zusammen und sagt: „Pionier soundso läßt um eine tägliche zweite Verpflegungsportion bitten.“ Wir waren sprachlos. „Ja, ich komme mit dem Essen nicht aus.“ Der Spieß fragt ihn: „Was essen Sie denn am Tag?“ „Ach, mittags

3 Kochgeschirre voll“ (stell Dir vor, ein Geschirr faßt 2 Liter = zusammen 6 Liter Essen.) „Ja, und abends?“ „Och, ein Kommisbrot“!

Wir haben Tränen gelacht. Sein Zugführer erzählte uns nachher, daß er auf der Baustelle arbeitet wie ein Berserker.

Du fragst übrigens in einem Brief wegen „Freizeit“. Dein Mannchen erstattet hierüber Fehlan­zeige. Vorgestern Abend warens ½ 12 Uhr abends, als wir fertig waren mit unserem schriftlichen Kram. Daß ich dann keine Partie Schach mehr schieben konnte, ist klar. Um V ein nachts, als wir gerade lagen, rappelte das Telefon. Ein Befehl wurde durchgegeben, mußte noch getippt werden und (ich war im Schlafanzug) auf der Straße der Wache zur weiteren Beförderung ins Lager gegeben werden. Aber jetzt wird es wahrscheinlich etwas besser. Gestern Abend hatten wir schon um 7 Uhr Feierabend. Ich wußte garnicht, wie ich mir vorkam.

Wo ich gerade von „Schlafanzug“ spreche. Das Ding, das ich bis jetzt jede Nacht noch angehabt habe, ist noch nicht gewaschen worden und trotzdem noch sauber - wenigstens sieht man

keinen direkten Dreck drin.

Bezüglich „Regentropfen“ meldet Soldat Ließem: „Hier das Gleiche.“ Nun ist das bei mir nicht schlimm, da ich im Trocknen sitze. Aber ich bedaure die armen Soldaten, die unten auf der Baustelle arbeiten. Wiesen vollkommen sumpfig, Schützengräben und M.G.-Nester unter Wasser - brrr -. Gerade bekomme ich Deinen Brief vom 19. und die beiden (es sind heute 2) Päckchen. Recht vielen Dank dafür. Wird Dir das denn nicht zu teuer? Aber schön ist's doch.

Auf das Kleid werde ich schon immer gespannter. Ebenfalls auf den Mantel. Wenn ich dem­nächst in Urlaub komme, kenne ich Dich sicherlich nicht wieder. Und dann neben einem solch hübschen Frauchen ein Soldat?

Dorotheechens Briefschreiberei macht mir Spaß. Ich habe auch den Gruß „dankend zur Kenntnis genommen“. Hoffentlich kann sie das nächste Mal richtig und deutlich „Vati“ sagen. Daß sie mit Onkel Mattes so enge Freundschaft geschlossen hat, ist gut. Wenn sie auch

ein so fester und kerniger Mensch wird, bin ich es zufrieden.

So, mein liebes Elsbethchen, jetzt darf ich meine Kameraden nicht mehr länger Arbeit für mich mitmachen lassen. Ich sage Dir daher auf Wiedersehen und küsse Dich recht fest.

Dein Hannes.

Ausschnitt aus einer „Schreibstube“ am „dienstfreien Abend“

Feldzug 1939