Johannes Ließem an seine Frau Elsbeth, 7. Juli 1940

7. Juli 1940

Liebste Elsbeth!

Nun kann ich Dir auch wieder schreiben. Du Arme hast ja jetzt länger als die übliche Zeit warten müssen. Aber heute ist die erste Gelegenheit, Dich zu bedenken. In den letzten Tagen haben wir wieder 500 km hinter uns gebracht. Es geht nur immer weiter nach Nordfrankreich. Von der Schweizer Grenze bis hierher ist ja ein weiter Sprung. Auf dem Marsch war natürlich keine Gelegenheit zur Postabgabe.

Unterwegs sahen wir wieder eine Unmenge Dörfer, wo aber auch buchstäblich jedes Haus in Trümmer lag. Wo unsere Stukas hingetroffen haben, sind ungeheure Löcher. Wenn ein solches Loch mitten auf der Straße sitzt, wo keine Auswegmöglichkeit ist, sind regelrechte Brücken drübergebaut worden.

Und nun sitzen wir in einer Stadt in Nordfrankreich [Denain]. Die Bevölkerung ist die übelste Menschensorte, die Du Dir denken kannst. Industriestadt mit Kohlenzechen usw. Hier wohnen Franzosen, Italiener, Marokkaner und Neger aus dem Weltkrieg, Polen und Deutsche, die zum größten Teil als Separatisten und Kommunisten flüchten mußten und nun schon seit vielen Jahren hier ansässig sind. Heruntergekommene Menschen in Holzbaracken, Arbeitslose, Verbrecher usw. fristet hier sein Leben. Hoffentlich kommen wir bald wieder in eine etwas angenehmere Umgebung. Wir selbst wohnen allerdings wieder in der „Villa“ eines anscheinend steinreichen Arztes.

Übrigens, noch etwas Interessantes. Ein Bild aus einer großen Stadt, durch die wir kamen, war wirklich frappierend. Ein ganzer Stadtteil

war bis auf die Grundmauern niedergeschossen. Und mitten in diesen Trümmern stand unversehrt ein wunderbarer gotischer Dom, mit 4 mächtigen Türmen. Die Häuser, die 5 Meter davon abstanden, waren ein einziger Schutthaufen. Es sah wirklich seltsam aus. Augenscheinlich ist der Dom von den Deutschen geschont worden. Aber gestaunt habe ich über die Treffsicherheit, mit der die Deutschen zu Werke gegangen sind.

Und nun, liebe Elsbeth, mache ich mal meinem Herzen Luft und nehme Dich auf meine Arme. Dann setzt Du Dich auf meinen Schoß und ich drücke Dich so fest an mich, daß es Dir ganz warm wird und dann legst Du Dich auf die Couch und ich mich daneben. Ich küsse Dich dann ganz fest auf Deinen lieben, lieben und guten Mund und meine Hand lege ich auf Deine runden, weichen Hügelchen, küsse Dich auf die zarten, lieben und schönen Knöspchen und dann möchte ich mich wenigstens in Gedanken nochmal ganz innig mit Dir verbinden, einschlafen Seite an Seite, fest umschlungen. Alles ist ganz still um uns. Nur ab und zu sage ich ganz leise: „Liebe, gute Elsbeth.“ Und Du umarmst mich dann aufs Neue - und ich streichle mit meiner Hand ganz leise über Deinen Rücken, Dein Gesicht und Dein Haar, über die liebe schöne Brust und - ach, ich darf gar nicht mehr weiterdenken, denn sonst meine ich, ich müßte so von hier weg gehen zu Dir hin. Elsbeth, was wird das für ein Wiedersehen - oder hast Du davor bange. Aber das brauchst Du nicht, denn ich weiß ja, daß Du noch immer ein zartes Frauchen bist; aber ein gar zu liebes.

Nochmals einen herzlichen Kuß von Deinem
Hannes, der immer an Dich denkt und Dir immer gut ist, der Dich immer auf Händen tragen wird.